piwik no script img

Tarifstreit in Berliner Kino eskaliertDavidsterne im Fenster

Das Babylon wird bestreikt. Jetzt hängt am Haus ein Boykottaufruf in NS-Sprache – angebracht vom jüdischen Geschäftsführer. Er fühlt sich diffamiert.

Seit Dienstagabend hängt das Plakat am Babylon Mitte am Rosa-Luxemburg-Platz. Foto: dpa

Berlin taz | „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht im Babylon!“: Das Schild ist groß, und es hängt direkt über dem Eingang zum Kino Babylon in Berlin-Mitte. Die Türen zum Haus sind mit Davidsternen besprüht, Passanten bleiben ungläubig stehen. Eine Kunstaktion? Ein antisemitischer Angriff?

Beides nicht so richtig. Angebracht hat das Plakat und die Davidsterne Timothy Grossmann, Geschäftsführer des Babylon und Jude. Für ihn ist die Aktion ein Hilferuf: „Wir haben hier im Haus einen Konflikt, der uns alle Kraft raubt, den wir nach draußen tragen mussten“, sagt er am Donnerstag.

Ein Teil der Mitarbeiter versuche seit Jahren, ihm und dem Kino insgesamt zu schaden. „Die sind von Neid zerfressen auf das, was ich hier aufgebaut habe, und versuchen mit allen Mitteln, mich zu zerstören“, sagt Grossmann. Mit allen Mitteln: Damit meint Grossmann auch antisemitische Äußerungen und Anspielungen. Tatsächlich läuft gegen einen der Mitarbeiter ein Verfahren: Der Mann hatte immer und immer wieder ein Plakat zerstört, das den jüdischen Sänger Aizikowitsch zeigte – und das Timothy Grossmann immer und immer wieder aufgehängt hatte.

Für Grossmann ist klar: Die Aktion richtete sich nicht gegen Aizikowitsch, sondern gegen ihn, der Mitarbeiter sehe in ihm einen „blutsaugenden Kapitalisten“, seit Jahren führten sie eine Diffamierungskampagne gegen ihn. In einem offenen Brief an den Mitarbeiter spricht er von „psychologischer Kriegsführung“. Mit dem NS-Boykottaufruf habe er auf den Boykott aufmerksam machen wollen, zu dem seine eigenen Mitarbeiter aufrufen: Im Rahmen des unbefristeten Streiks, in den fünf Mitarbeiter Ende Juli getreten sind, verteilen diese auch Zettel an die Kino-BesucherInnen, in dem sie auf die aus ihrer Sicht mangelnde Bezahlung der Mitarbeiter aufmerksam machen und dazu auffordern, das Kino nicht durch einen Besuch zu unterstützen.

Jahrelanger Tarifkonflikt

„Das ist ein ganz normales Mittel in einem Arbeitskampf“, sagt Andreas Köhn, Fachbereichsleiter Medien bei der Gewerkschaft verdi, der den Streik begleitet. Er fühlt sich von der Aktion Grossmanns persönlich getroffen: „Es ist mir völlig egal, welche Religionszugehörigkeit Herr Grossmann hat – es geht hier um eine Tarifauseinandersetzung und um sonst nichts.“ Für ihn ist die Aktion eine „Verhohnepiepelung der Judenverfolgung, nichts anderes“.

Der Tarifkonflikt am Babylon läuft seit Jahren, zu Beginn wurde er von der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft FAU geführt, 2010 übernahm die Gewerkschaft verdi. Die Beschäftigten – drei davon arbeiten im Service, zwei als Filmvorführer – fordern einen Tarifvertrag und monieren, dass es seit Jahren keine Lohnerhöhungen gab: Zwar wurde der Lohn der Servicemitarbeiter auf das Mindestlohnniveau von 8,50 angehoben, die Filmvorführer verdienen aber nur knapp über 9 Euro die Stunde, unverändert seit über fünf Jahren. Zu wenig, finden die Mitarbeiter und verdi.

Gleichzeitig ist klar: Es geht in diesem Konflikt nicht nur ums Geld. „Niemand macht diesen Job, weil er reich werden will“, sagt Tobias Wiloth, einer der streikenden Mitarbeiter. Aber unter Grossmann, der das Kino seit 2005 leitet, sei das Betriebsklima gekippt. „Es gab Preiserhöhungen, die Auslastung ist gestiegen – aber nichts davon wurde an uns Mitarbeiter weitergegeben, stattdessen wirtschaftet er auf unsere Kosten.“

Thees Uhlmann sagt Lesung ab

Mangelnde Anerkennung spielt hier eine wichtige Rolle – und dass es die gibt, bestreitet Grossmann gar nicht. „Der Durchschnittslohn im Haus ist sehr wohl gestiegen und liegt bei über 12 Euro. Wer fähig ist, bekommt eben auch mehr – aber ungelernte Servicemitarbeiter erhalten 8,50“. Er sehe nicht ein, warum er einem Filmvorführer, dessen Aufgaben durch die Digitalisierung auf ein Minimum geschrumpft seien und der sich noch dazu weigere, Aufgaben wie Tickets abreißen oder Flaschen einsammeln zu übernehmen, nur weil dies nicht in seinem Vertrag stehe, den Lohn erhöhen solle. „Diese Leute haben einen Hass darauf, dass das hier wächst, während sie selber in ihrem Leben nicht von der Stelle kommen“, sagt er.

Seine Assistentin Barbara Löblein betont stärker die geschäftliche als die persönliche Seite: „Wenn es im Babylon gut läuft, bedeutet das, dass wir am Ende des Jahres eine Null dastehen haben“, sagt sie. Das Bild, das die Streikenden vermitteln – von dem öffentlich geförderten Kino, das seine Mitarbeiter viel schlechter bezahle, als es könnte – stimme nicht: „Wir bekommen zwar eine Fehlbedarfsfinanzierung, müssen uns für unser umfangreiches und vielfältiges Programm aber auch von Antrag zu Antrag hangeln.“ Zudem erhielten Service-Mitarbeiter in vergleichbaren Einrichtungen wie dem Kesselhaus auch nicht mehr als 8,50 Euro pro Stunde.

Ob die Aktion Grossmanns dem Babylon schlussendlich wirtschaftlich hilft oder schadet, ist derweil noch nicht abzusehen: Eine für Donnerstagabend geplante Lesung des Sängers Thees Uhlmann ließ dieser zumindest kurzfristig in ein anderes Haus verlegen. „Wer Symbole und Sprüche aus der dunkelsten Zeit Deutschlands und der ganzen Welt dazu nutzt, um auf seinen eigenen Kram aufmerksam zu machen, bei dem spiele, lese, rede ich nicht“, schreibt Uhlmann dazu auf seiner Facebook-Seite.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Warum wurde dem Plattenladen Leila M. im Babylon nach vielen Jahren gekündigt?

  • Die Frage, die mich dabei beschäftigt: Sind die Streikenden mit dem Zerstörer des Plakates von Aizikowitsch geistig Verbindung stehend ? Hier werden Motive vermischt, die in ihrer Gesamtheit erörtert werden müssen. Die Atmosphäre ist offensichtlich so Hass-geladen, dass hier die beiden Konfliktparteien zu unlauteren Mitteln greifen. Es ist unter aller Sau, den Arbeitskampf mit der Aufforderung des Nichtbesuchs des Kinos zu bestreiten, genauso wie die Eskalation mit Zuständen aus der NS-Zeit zu vergleichen. Verdi täte hier gut daran, als Vermittler zu agieren, denn als Parteinehmer. Der Arbeitskampf an sich ist immer okay, doch zuerst muss der Schlamm aus der Arena.