piwik no script img

Tarifeinigung bei VolkswagenIG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachts­wunder“ bei VW

Deutschlands größter Autobauer vereinbart mit Beschäftigten, bis 2030 mehr als 35.000 Stellen zu streichen – aber ohne betriebsbedingte Kündigungen.

VW macht doch nicht das Licht aus in einigen Werken: mit Lichterketten geschmückte VW-Busse in Hannover Foto: Michael Matthey/dpa

Wolfsburg rtr/taz | Abbau von 35.000 Stellen, Kapazitätskürzung von einem Viertel, aber zunächst keine Werksschließungen – in einem Verhandlungsmarathon haben Volkswagen und die Arbeitnehmervertreter einen Kompromiss geschmiedet, der auf einen tiefgreifenden Umbau des größten deutschen Autokonzerns hinausläuft.

IG-Metall-Chefunterhändler Thorsten Gröger sagte am Freitagabend auf einer Pressekonferenz in Hannover, es sei ein Paket geschnürt worden, „das schmerzliche Beiträge der Beschäftigten beinhaltet, aber im gleichen Atemzug Perspektiven für die Belegschaften schafft“. VW-Finanzchef Arno Antlitz schrieb auf der Plattform LinkedIn von einer dringend benötigten Kostenentlastung. Die Autobranche ist laut dem Statischen Bundesamt mit rund 773.000 Beschäftigten Deutschlands zweitgrößte Industriebranche, die Jobs in der Zulieferindustrie kommen noch dazu.

Nach mehr als 70-stündigen Verhandlungen einigten sich beide Seiten darauf, dass zwar die seit drei Jahrzehnten geltende Beschäftigungssicherung wieder in Kraft gesetzt und bis 2030 verlängert wird. Allerdings sollen im gleichen Zeitraum an den deutschen Standorten mehr als 35.000 Jobs sozialverträglich abgebaut werden. Das ist in Deutschland jede vierte Stelle. Die Beschäftigten verzichten in den kommenden Jahren außerdem auf Lohnerhöhungen, Boni werden gekürzt. Gleichzeitig rückte Volkswagen bis auf Weiteres von dem Plan ab, Werke zu schließen, was ein Novum in der Firmengeschichte gewesen wäre. Die technische Kapazität der Werke soll aber dauerhaft um 734.000 Einheiten gekürzt werden – das ist rund ein Viertel der Produktion der Volkswagen AG in Deutschland.

Mit der Einigung, die die IG Metall als „Weihnachtswunder“ bezeichnete, wehrte Volkswagen großangelegte Streiks ab, die für den Konzern teuer geworden wären. In den vergangenen Wochen hatten sich an zwei Warnstreiks nach Gewerkschaftsangaben jeweils rund 100.000 VW-Mitarbeiter beteiligt.

Es war die bislang längste Verhandlungsrunde in der Geschichte des Autobauers

Durch den Abschluss würden mittelfristig mehr als 15 Milliarden Euro pro Jahr an Kosten gespart, allein die Arbeitskostenentlastung betrage jährlich 1,5 Milliarden Euro, erklärte der Wolfsburger Konzern. VW-Markenchef Thomas Schäfer ergänzte, dass man die drei Ziele geschafft habe: Arbeitskosten senken, Entwicklungskosten auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen und Überkapazitäten an den deutschen Standorten abbauen.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Einigung als gute Nachricht. „Bei allen Härten stellt sie sicher, dass Volkswagen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut in die Zukunft kommen können.“ Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, sieht weitere Einschnitte in der Zukunft: „Der preisliche Wettbewerbsdruck wird wohl weitere Anpassungen zu einem späteren Zeitpunkt erfordern.“ Es sehe aber nach einem Kompromiss aus, mit dem man halbwegs leben könne.

Ein Knackpunkt der Verhandlungen war die Zukunft der Werke in Dresden und Osnabrück gewesen. Laut der Vereinbarung läuft die Fahrzeugfertigung in Dresden nun Ende 2025 aus. Für die Zukunft des Werkes sollen Alternativen erarbeitet werden, erklärte Volkswagen. „Hierzu gehört auch die Möglichkeit einer Beteiligung der Volkswagen AG an einem Konzept Dritter.“ In Osnabrück soll das Cabrio T-Roc bis zum Spätsommer 2027 und damit länger als bisher geplant produziert werden. Für die Zeit danach sollen Optionen für eine andere Verwendung des Standorts geprüft werden. Die Produktion des Golf und des Golf Variant soll ab 2027 vom Stammsitz Wolfsburg nach Mexiko verlagert werden, um Platz zu schaffen für die Fertigung der Elektro-Modelle ID.3 und Cupra Born.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo sagte, unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen sei eine grundsolide Lösung erkämpft worden. „Zwar gibt es tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen – dem gegenüber stehen aber der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 und nicht zuletzt die Gewissheit für den Vorstand, dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind.“

Es war die bislang längste Verhandlungsrunde in der Geschichte des Autobauers und ein hartes Ringen um eine Lösung: Der VW-Vorstand – unterstützt von den Eigentümerfamilien Porsche und Piëch – hatte auf drastische Einsparungen gepocht und mit der Schließung von bis zu drei Werken gedroht. Finanzchef Antlitz hatte auf massive Überkapazitäten verwiesen, weil auf dem europäischen Automarkt dauerhaft weniger Fahrzeuge verkauft würden als vor der Pandemie. Zudem steckt das China-Geschäft in einer Krise, und chinesische Konkurrenten machen der weltweiten Nummer zwei in der Autobranche nach Marktführer Toyota Konkurrenz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Elektroautos brauchen bekanntlich weniger Menschen in der Herstellung, das ist ein weiteres Plus: Höhere Produktivität.

    Je weniger Menschen Autos produzieren, nebenbei, je mehr hingegen Windräder, Fahrräder, ... umso besser für die Umwelt.



    Und die Autoindustrie kostet an versteckten Zuschüssen jedes Jahr -zig Milliarden Euro (vgl. UBA). Das sofort zu stoppen sollte das Ziel jeder Regierung sein. Und einer Gewerkschaft, die nachhaltige Arbeitseinkommen anstrebt, statt Brösel vom Zuschusskuchen.

  • Ganz offenbar fährt man eine neue Kommunikationsstrategie.

    Erst tönt man



    "Ich mach hier alles platt! Ihr könnt nach Hause gehen! Alle!"

    Und wenn die Aufregung am größten ist, kommt man auf die eigentliche Forderung zurück und verkauft das dann als Kompromiß.

    Aber so neu ist die Strategie nun auch nicht ... und leicht durchschaubar ist sie allemal.

    • @Bolzkopf:

      Was beide Seiten bei Autoherstellung ganz gut können, um anschließend öffentliche Gelder zu melken (Kurzarbeitergelder, Abwrackprämien, Umweltschädentolerierung, Kommunalstraßenbau, ...).



      Die Brösel davon zu den schon arg bezahlten Angestellten, die großen Stücke an die Nazierbenfamilien Piech und Porsche.



      Niedersachsen nenne ich bewusst nicht, weil die den VWs die Infrastruktur hinstellten.

    • @Bolzkopf:

      So war die IGMetall doch schon immer drauf, nix Neues.

  • Die Eigentümer haben bereits 70% ihres Vermögens verloren.

    • @Wombat:

      Ich werde etwas weinen gehen, sobald ich die Reallohnverluste der letzten Jahre ersetzt bekomme.



      Warten wir mal ab, wann mit Krokodilstränen und Drohungen die Verluste wieder sozialisiert werden, war bisher immer so. Was hat die böse Welt dem armen Konzern auch schon immer zugemutet, an was er fast zugrunde ging, lauter Teufelszeug und jetzt auch noch günstige Elektroautos.

      • @Axel Schäfer:

        Reallohnverluste sollte man nicht in einem 2 Jahres Zeitraum betrachten sondern mindesten 20-30 Jahre da die Lohnerhöhungen im starren Tarifsysstem der Inflation hinterher hinken. Was stellen wir fest? Reallöhne sind fast 30% gestiegen aber gejammert wird trotzdem.

    • @Wombat:

      Wollen wir ihnen suchen helfen?

  • Wahrscheinlich ein Pyrrhussieg. Wenn die Produktion keine Abnehmer findet, muss sie verkleinert werden. Das ist BWL 1. Semester. Europa und Deutschland vorneweg haben mit dem Verbrenneraus die Grube ausgehoben, die nun zum Verhängnis wird. Dem Stromer gehört auf lange Sicht die Zukunft, keine Frage. Doch solange die Ressourcen fehlen, der 2. Schritt vor dem 1. Grüner Strom wird auf absehbare Zeit rar bleiben, weil auch die Industrie grün werden soll. Hätte nicht das Priorität? Die Deindustrialisierung ist jedenfalls auf dem Vormarsch.

    • @Schö51:

      Naja, ein gesuchtswahrender Scheinsieg für die IG Metall. Wenn in den kommenden fünf Jahren ein Viertel aller Stellen der Marke VW ind Deutschland verschwinden und ein Viertel der Produktionskapazitäten abgebaut werden, dann ist das nix anderes als Schließung von Werken, nur eben verschmiert auf mehrere Standorte. Der Abbau erfolgt, aber die IG Metall kann sich hinstellen und sagen: schaut, wir haben verhindert, dass Werke geschlossen werden.

    • @Schö51:

      BWL 1. Semester, allerdings wenn man nicht einmal dieses bestanden hat, wird es mit der Dialektik etwas schwierig. Und wenn man den 2. Schritt vor dem 1. macht, ist der Ausgang auch oftmals zweifelhaft. In Schland kommt noch eine dysfunktionale Infrastruktur, katastrophale Bildung, schwierige Sicherheitslage im öffentlichen Raum usw. hinzu. Wie konnte man eines der wichtigsten Industrieländer in kürzester Zeit in so etwas Dysfunktionierendes verwandeln.

      • @Leningrad:

        "...Wie konnte man eines der wichtigsten Industrieländer in kürzester Zeit in so etwas Dysfunktionierendes verwandeln..."



        Also 16 Jahre Merkel empfinde ich jetzt nicht also so kurze Zeit. Erschreckend finde ich nur das es in dieser Zeit keiner gemerkt haben will.

      • @Leningrad:

        "Wie konnte man eines der wichtigsten Industrieländer in kürzester Zeit in so etwas Dysfunktionierendes verwandeln."

        "Man" sind Sie und ich - wir alle. Wir Deutschen sind, durch eigene Entscheidungen jedes einzelnen, ein überaltertes Volk. Die beschriebenen Zustände sind eine Folge davon.

        • @Chris McZott:

          Diese eigene Entscheidung haben auch fast allen andern Länder getroffen. Kein Industrieland schafft mehr die Reproduktion der Bevölkerung. In Deutschland nur etwas früher vor allem durch die DDR welche schon vor der Wiedervereinigung überaltert war. Was aber sehr Deutschland spezifisch ist, ist die Weigerung damit umzugehen. So werden laufend höhere Renten gefordert obwohl es bereits jetzt unbezahlbar werden wird.

  • VW könnte Busse/Bahnen bauen, auch der Hufschmied musste schließlich mal umsatteln.

    • @kommentomat:

      Volks-Fahrrad: ein Modell in ein paar Größen, so robust und billig durch Großserie, dass jeder auf der Welt es haben will, ggf. mit E dabei.



      Anders als Autos werden Räder auch ohne "Abwrackprämie", versteckte Umweltschäden oder andere Zuschusstricks gekauft. Das wäre ein echter Markt.

    • @kommentomat:

      Wr hatten 30 Jahre lang einen Opel-Kühlschrank. Er gehörte zur Familie.

    • @kommentomat:

      VW ist schon der zweitgrößte NFZ Hersteller der Welt und hat Busse im Portfolio z.B. Scania oder VW do Brasil

  • So geht Realsatire



    "Warum die Porsches bei VW nicht auf eine Dividende verzichten können

    VW-Betriebsratschefin Cavallo hat von den Eigentümerfamilien Verzicht auf die Volkswagen-Dividende gefordert. Die Familie braucht die Dividende aber für die Tilgung eines Kredits, zeigen unsere Recherchen."



    Die Recherchen der ironiefreien Wirtschaftsjournalist:innen mit einem Herz für Milliardäre ist leider hinter der Bezahlschranke.



    www.wiwo.de/untern...nnen/30142036.html

    • @Nansen:

      Trifft aber auch das Land Niedersachsen, das mit der Dividende im Landeshaushalt plant!