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Tarifeinigung an den deutschen SeehäfenSchiffbruch verhindert

Mit einer deutlichen Lohnsteigerung endet der Arbeitskampf an den Seehäfen. Viele anderswo Beschäftigte beklagen dagegen Reallohnverluste.

Demonstration der Hafenarbeiter in Hamburg Mitte Juli 2022 für eine höhere Entlohnung Foto: Marcus Brandt/dpa

Berlin taz | Der Druck war enorm hoch. Wenn es keine Verständigung bis zum Ende der Friedenspflicht diesem Freitag gegeben hätte, wären die nächsten Warnstreiks an den norddeutschen Seehäfen wohl zwangsläufig gewesen. Doch nun hat sich der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) mit der Gewerkschaft Verdi auf deutliche Lohnerhöhungen für die rund 12.000 Hafenar­bei­te­r:in­nen geeinigt. Damit dürfte die härteste Tarifauseinandersetzung in der Hafenbranche seit Jahrzehnten ihr Ende gefunden haben.

Rückwirkend erhöht sich der Stundenlohn für alle Ha­fen­ar­bei­te­r:in­nen ab dem 1. Juli um 1,20 Euro, hinzukommt eine Pauschale zwischen 750 und 1.500 Euro sowie ein einmaliges Inflationsgeld von 700 Euro. Das ergibt zusammengerechnet eine Lohnsteigerung zwischen 7,9 und 9,4 Prozent.

Ab Juli nächsten Jahres kommen weitere 4,4 Prozent hinzu – wobei es hier noch eine Inflationsklausel gibt: Sollte die Preissteigerungsrate darüber liegen, wird sie bis 5,5 Prozent ausgeglichen. Für den Fall einer höheren Inflationsrate kann Verdi zwei Nachverhandlungsrunden verlangen. Wird man sich dort nicht einig, gibt es ein Sonderkündigungsrecht zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Tarifvertrag. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 24 Monate.

„Unser wichtigstes Ziel war ein echter Inflationsausgleich, um die Beschäftigten nicht mit den Folgen der galoppierenden Preissteigerung allein zu lassen“, sagte Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth. Das sei gelungen. „Ohne den außerordentlichen Einsatz der Kolleginnen und Kollegen, die mit Warnstreiks und Demonstrationen für ihre Ziele eingetreten sind, wäre das nicht möglich gewesen.“ Am 5. September will die Verdi-Bundestarifkommission endgültig über die Annahme des Tarifergebnisses entscheiden.

Maßstab für kommende Tarifverhandlungen

Mit Warnstreiks im Juni und Juli hatten die in Verdi organisierten Dock­ar­bei­te­r:in­nen den Güter- und Containerumschlag in Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven, Emden und Brake erst für 24, dann für 48 Stunden weitgehend lahmgelegt. Das waren die ersten Hafenstreiks in Deutschland seit 40 Jahren. Bei einer Kundgebung in Hamburg war es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.

„In einer gemeinsamen Kraftanstrengung auf Arbeitgeberseite ist es uns auch mit Hilfe neuer Instrumente gelungen, einen Kompromiss zu finden“, kommentierte die ZDS-Verhhandungsführerin Ulrike Riedel die jetzt gefundene Verständigung. Gleichwohl stelle dieses Verhandlungsergebnis für die Seehafenbetriebe „eine sehr hohe Belastung“ dar.

Die Tarifeinigung bei den Seehäfen habe „einen Maßstab gesetzt“, sagt Thorsten Schulten, der Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), der taz. Besonders hervor hebt er die vereinbarte Inflationsklausel, die dafür sorge, „dass auch im nächsten Jahr die Realeinkommen bis zu einem bestimmten Grad gesichert werden“.

Schulten weist darauf hin, dass die diesjährigen Tarifverhandlungen unter äußerst schwierigen Rahmenbedingungen stattfinden. „In den kommenden Tarifauseinandersetzungen wird es darum gehen, dass die Reallohnverluste der Beschäftigten nicht noch größer werden“, so der Tarifexperte. Das zu erreichen, werde aber ein enormer Kraftakt.

Falsche Maßhalteapelle

Die bisher in diesem Jahr gültig gewordenen Tarifverträge zeichnen jedenfalls überwiegend ein anderes Bild, wie eine aktuelle Analyse des WSI zeigt. Danach sind in der ersten Jahreshälfte die Tarifgehälter bei weitem nicht so schnell gestiegen wie die Verbraucher:innenpreise. So hat das Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung errechnet, dass nach den bislang vorliegenden Abschlüssen die Tariflöhne 2022 durchschnittlich nominal um 2,9 Prozent steigen, nach Abzug der Inflationsrate real jedoch um 3,6 Prozent sinken.

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Das liegt zum einen an den Tarifverträgen mit mehrjähriger Laufzeit, die bereits 2021 oder früher vereinbart wurden, als noch von deutlich geringeren Inflationsraten ausgegangen wurde. Aber auch wenn bei den in diesem Jahr abgeschlossenen Verträge ein Trend zu höheren Tarifzuwächsen erkennbar ist, bleiben auch sie in der Regel hinter der aktuellen Preisentwicklung zurück.

„Angesichts der vollkommen ungewissen Entwicklung des Ukraine-Krieges und seiner wirtschaftlichen Folgen ist die Tarifpolitik allein in vielen Branchen überfordert, die Kaufkraftverluste der Beschäftigten auszugleichen“, konstatiert Schulten. Hier seien zusätzliche Entlastungsmaßnahmen durch den Staat notwendig.

Allerdings gibt es auch einige Tarifbranchen, in denen gegen den Trend auch Reallohnzuwächse zu beobachten sind. Hierzu gehören vor allem eine Reihe von klassischen Niedriglohnbranchen wie zum Beispiel das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Gebäudereinigungshandwerk oder die Leiharbeit. In diesen Branchen konnten vor allem für die unteren Entgeltgruppen Lohnerhöhungen im zweistelligen Prozentbereich vereinbart werden. Das gilt auch für das Bodenpersonal der Lufthansa.

„Mit außergewöhnlich hohen Entgeltzuwächsen reagieren diese Tarifbranchen auf den zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangel“, erläutert Schulten. Dabei reagierten sie auch auf die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro.

Scharf kritisiert der WSI-Mann die Maßhalteapelle an die Gewerkschaften: „Ein nüchterner Blick auf die Tarifdaten zeigt: Die vielbeschworene Lohn-Preis-Spirale ist eine Fata Morgana“, sagt Schulten. Es bestehe im Gegenteil „die Gefahr, dass Reallohnverluste die private Nachfrage weiter schwächen und damit die wirtschaftliche Entwicklung zusätzlich beschädigen.“

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