Talkshow-Marathon vor der Wahl: Lehrreiches Gelaber
Mit „hart aber fair 360“ und „Klartext“ binden ARD und ZDF ihr Publikum stärker in ihre Polit-Talks ein. Das klappt mal mehr und mal weniger gut.
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I m Akkord quatschen sich die Parteispitzen zum Wahlkampf-Endspurt über die Fernsehbildschirme der Republik. Dafür entwickeln vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender zunehmend Formate, in denen das Publikum zu Wort kommt. Insgesamt ist das eine Bereicherung für die politische Debattenkultur, doch nicht jedes Format funktioniert gleich gut.
Ein Beispiel, wie politischer Diskurs nicht geht, lieferte das ARD-Format „hart aber fair 360“. Die angedeutete Gradzahl spielt darauf ab, dass die einzelnen Politiker*innen hier von ihren Diskussionspartner*innen umringt sind. Die können sich mittels Buzzer auf Redezeit bewerben und werden, so scheint es, zufällig ausgewählt, das Wort zu ergreifen.
Allerdings kommen hier nur Kommunikationsprofis zu Wort, viele von ihnen verdanken ihre Bekanntheit sozialen Medien. Darunter mehrere Nachwuchspolitiker*innen, eine Landwirtin (826.000 Instagram-Follower), ein Youtuber (493.000 Abonnent*innen) oder der Gründer der Facebook-Gruppe „Fridays for Hubraum“ (442.000 Mitglieder).
Selbstdarstellung, Unterbrechungen, nervige Buzzsounds
Was die ARD damit bezwecken will, ist klar: Die Influencer sollen ihr Publikum aus dem Internet mit in die Öffentlich-Rechtlichen nehmen. Was ein nachvollziehbarer Versuch ist, den Wahlkampf für eine jüngere Zielgruppe zu öffnen, schwächt die Debatte.
Denn viele der Internetpromis bringen vor allem die überhitzte Diskussionskultur aus den sozialen Medien ins Studio und nutzen die Bühne der ARD vor allem, um sich selbst zu profilieren. Flankiert wird das ganze durch nervige Buzzersounds und ständige Wechsel der Gesprächspartner*innen. Heraus kommen vergiftete Auseinandersetzungen und unfertige Gesprächsfäden. Dafür brauchen die Öffis wirklich keinen zusätzlichen Raum mehr freizuräumen.
Mit dem Zweiten diskutiert man besser
Dass es auch anders gehen kann, zeigte dagegen die ZDF-Sendung „Klartext“, die schon bei der letzten Bundestagswahl 2021 lief. Hier kommen – vom Bauarbeiter zur Bankkauffrau – größtenteils ganz normale Bürger*innen zu Wort. Deren gewissermaßen „naturgegebene“ Authentizität zwingt die Politik-Profis dazu, aufrichtige Antworten zu geben. Zumindest mit Ausnahme von AfD-Frontfrau Alice Weidel, die ihr Gegenüber wahlweise mit falschen Fakten „korrigiert“ oder ihm vorwirft, ihr Wahlprogramm nicht gelesen zu haben.
Aber auch das gehört zu den wertvollen Erkenntnissen dieser Tage: Der AfD sind die echten Probleme der Gesellschaft schnuppe – nach diesem Abend sollte das auch in der Breite angekommen sein.
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