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Talk „Maschinenraum der Zukunft“Auswege aus der Perspektivlosigkeit

Am Hamburger Schauspielhaus lotet eine Gesprächsreihe aus, wie wir dem Rechtsruck und der Macht von KI positive Zukunftsvisionen entgegensetzen können.

Schaffen echte Visionen: DiskutantInnen des „Maschinenraums der Zukunft“ Foto: Lornz Lorenzen

Hamburg taz | Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg hat eine neue Gesprächsreihe erfunden: den „Maschinenraum der Zukunft“, der im Malersaal Philosophie und Technik verbindet. Dabei spricht die öko-feministische Philosophin Eva von Redecker mit ihren Gästen über Auswege aus der Perspektivlosigkeit, über progressive Zukunftsvisionen in dystopischen Zeiten.

Zu Beginn der Veranstaltung wird der Malersaal ganz dunkel, zu Musik von „Anomic Bond“ läuft auf der Leinwand eine Präsentation über Allianzen zwischen superreichen Tech-Oligarchen wie Elon Musk und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Darum, wie Ultrakapitalisten und Rechtsextreme die US-Demokratie abbauen. Und es geht um den rasanten Aufstieg künstlicher Intelligenzen.

An einem der Abende sprach Eva von Redecker mit dem Journalisten Lukas Hermsmeier über die Tech-Industrie, über die politischen Entwicklungen in den USA und neue linke Protestbewegungen. Weitere Gäste bisher waren die Autorin Theresia Enzensberger, die über libertäre Ideologien des „silicon valley“ sprach, und die Künstlerin Moshtari Hilal mit dem Thema „gewaltvolle Schönheitsnormen“.

Stets suchten sie dabei nach Wegen in eine andere Zukunft, nach Möglichkeiten des Widerstands. „Ich habe mich in dieser Reihe dafür entschieden, speziell antifaschistisches Wissen zu kultivieren und zu würdigen“, sagt von Redecker.

Dieser Chatbot speist sich nicht aus Daten aus dem Internet, sondern aus selbst geschriebenen

Ferner versuchen die Philosophin und ihre Mitwirkenden, einen neuen Blick auf Künstliche Intelligenz zu ermöglichen. „Ich hasse Technik“, sagt sie über sich selbst. Doch KI ist allgegenwärtig, kaum jemand kommt umhin, sich mit dem Thema zu befassen. Aber Funktionen und Technik hinter Künstlichen Intelligenzen sind kompliziert und intransparent. „Ich hatte das Gefühl, dass es im KI-Diskurs überhaupt keinen Erkenntnisfortschritt mehr gab, sondern immer größere Mythologisierung und Geheimniskrämerei“, sagt von Redecker.

Der „Maschinenraum der Zukunft“ versucht KI nun spielerisch nahbarer zu machen und aufzuzeigen, dass es Alternativen gibt zu der Ohnmacht, die aus sich überschlagenden technischen Entwicklungen und Machtkonzentration entstehen kann. Immer dabei ist deshalb eine kleine, selbst entwickelte KI namens „Botchen“, entwickelt von der Computerlinguistin Aurelie Herbelot.

„Botchen“ ist Teil des Dialogs, wird befragt und erinnert sich vergangener Gespräche. So wird das Diskursformat zu einem Experiment, um die Kontrolle über allumfassende Technologien nicht einigen Mächtigen zu überlassen.

Der Name „Botchen“ weist darauf hin, dass KI-Modelle nicht zwingend gigantische Ausmaße haben müssen wie bekannte Modelle von OpenAI oder Google. Dieser Chatbot speist sich auch nicht aus Milliarden von Daten aus dem gesamten Internet, sondern aus handverlesenen, selbst geschriebenen Daten.

100 millionenmal weniger Daten als die großen Sprachmodelle hat „Botchen“ gesehen, sein „Gehirn“ enthält 400.000-mal weniger Synapsen. Dadurch verbraucht es weniger Wasser und Strom als die großen Modelle, die riesige Serverfarmen und Kühlsysteme benötigen. Es ist der Versuch einer Technologie, die „mit Care, Geduld und Mitgefühl“ gebaut ist, wie es auf der zugehörigen Website heißt.

Die Gesprächsreihe

Maschinenraum der Zukunft #5: Was ist Tech-Kapital?“ von und mit Eva von Redecker, Amira Möding, Aurelie Herbelot, Fulvia Modica und Botchen: Fr, 11. 4., 20 Uhr, Schauspielhaus / Malersaal, Hamburg;

Die Veranstaltungen des „Maschinenraums“ rufen auf zwei Ebenen ins Gedächtnis, dass wir autoritären und faschistoiden Entwicklungen nicht ausgeliefert sind. Erstens zeigt das Format, dass wir uns der Technik nicht unterwerfen müssen, dass wir aus der Rolle der reinen Konsumenten heraustreten können. Wir können sie hinterfragen und selbst gestalten. Für von Redecker ist dieses „Botchen“ ein Modell für etwas, das gesamtgesellschaftlich zu schaffen sei: „Es liegt ferner denn je, aber eine Würdigung des Kleinen, Speziellen, Nicht-Megalomanischen, Nicht-Alles-Überwuchernden ist ja unsere heimliche Rettung“, sagt sie.

Zweitens vermitteln die Gespräche zwischen von Redecker und ihren Gästen ein Gefühl der kollektiven Selbstwirksamkeit. Die aktuelle Spielzeit im Malersaal trägt das Motto „Aufarbeitung der Zukunft“, und so fasst auch von Redecker die Gesprächsreihe zusammen. Autoritäre Wende, Klimakrise, Tech-Kapitalismus – die Zukunft scheint festgeschrieben und keinen Raum für emanzipative Bestrebungen zu bieten.

Von Redecker und ihre Gäste aber wollen diese Zukunft neu denken. KI kann das nicht. „Die viel gerühmte Vorhersagefähigkeit dieser Modelle basiert ja immer auf der Verlängerung vergangener Daten in die Zukunft. Und das ist das genaue Gegenteil einer Aufarbeitung der Zukunft. Das ist eine Verkleisterung, eine Verhinderung der Zukunft“, sagt die Philosophin.

Der „Maschinenraum der Zukunft“ wird so zu einem Ort philosophischen Diskurses, der nicht bei der performativen Zurschaustellung von Wissen stehen bleibt, sondern Erkenntnisgewinn generiert.

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