Essaybuch „Hässlichkeit“: Im Schatten der Nase

Was ist Hässlichkeit und warum scheuen wir sie? In einem Essaybuch geht die Hamburger Künstlerin Moshtari Hilal diesen Fragen nach.

Die Zeichung einer Frau mit einer spitzen Nase und einem Oberlippenbart.

Statt Tagebuch: Moshtari Hilal zeichnete sich lange Jahre immer wieder selbst Foto: Moshtari Hilal / Hanser Verlag

„Bevor ich den Raum betrete, tritt meine Nase ein. Sie wirft einen Schatten, der mich verschlingt. In Schwarz gehüllt, blicke ich aus ihm hinaus“: Das erzählt Moshtari Hilal in ihrem Buch „Hässlichkeit“.

Bekannt geworden ist sie bislang eher als Künstlerin und Kuratorin; ihre Zeichnungen, meistens Selbstporträts oder Bilder ihrer Familie, dominieren Schwarz-Weiß-Kontraste, sie kombiniert große Flächen mit feinen Strichen und vielen Details. Für ihre Kunst nutzt sie Fotos von sich selbst und aus ihrem Familienarchiv mit der erklärten Absicht, Schönheitsideale und Ideen von Hässlichkeit zu hinterfragen.

Hat diese Art des Zugriffs nicht mehr gereicht, sodass nun das Buch entstand? Die Kunst hat offensichtlich nicht mehr gereicht – in „Hässlichkeit“ finden sich immer wieder Bilder, wie sie schon lange Teil von Hilals Kunst sind.

Geboren 1993 in Kabul, flüchtete Moshtari Hilal als Zweijährige mit ihrer Familie aus Afghanistan nach Hamburg. Ihr Aufwachsen als rassifizierte Person in einer weißen, deutschen Mehrheitsgesellschaft ließ sie sich von Kind an fremd fühlen. Das Wort „Rassifizierung“ benutzt Hilal selbst, es bezeichnet die Einordnung von Personen aufgrund bestimmter Merkmale in eine angeblich natürliche, von der Mehrheit unterscheidbaren Gruppe.

Hiklal Moshtari

„Hässlichkeit steht eben nicht isoliert. Es ist nie nur mein Empfinden, sondern: Wie sieht das im größeren Kontext aus?“

Ihre visuelle Veranlagung habe ihr bereits in der Kindheit geholfen, ihre Emotionen zu verarbeiten: indem sie zeichnete. Im Buch nun findet sich etwa das Bild „Kartographie meiner Hässlichkeit“. Hilal sagt, es sei eine kartographische Abbildung ihres Körpers in der Pubertät.

„Hässlichkeit“ kombiniert Text, manchmal sogar Gedichte, und Bilder: mal sind es Arbeiten von Hilal selbst, mal eher Materialartiges, etwa eine Charles-Darwin-Karikatur, die vielleicht noch zu einem Kunstwerk verarbeitet werden könnte.

Hilal nimmt die Lesenden mit auf ihre eigene Lebensreise, eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Hässlichkeit. Hässlich gefunden nämlich habe sie sich schon ganz früh. „Ich habe sehr lange sehr zynische, negative Zeichnungen von mir selbst angefertigt“, sagt Hilal. Das sei für sie gewesen, was für andere das Tagebuch sei.

Ihre autodidaktische künstlerische Auseinandersetzung mit Sehgewohnheiten und Schönheitsstandards stehen im Fokus: „Ich habe in meiner visuellen Arbeit versucht, durch eine ästhetische und intellektuelle Einordnung mich selbst, aber auch andere davon zu überzeugen, dass diese Eigenschaften, sei es die große Nase oder behaarte Körper, schön sein können oder ästhetisch.“ Herausgekommen sind dabei auch Selbstporträts, die schön sind, aber nicht, wenn es nach den meistverbreiteten Standards geht.

Wollte sie anfangs, als Künstlerin, neue Schönheitsbegriffe definieren, bricht sie das im Buch nun auf und fragt danach, warum es dieses Bedürfnis gibt, unsere Vorstellung davon zu erweitern, was schön ist. Schönheit, sagt die Autorin, funktioniere nur mit ihrem Gegenteil, dem Hässlichen. Ihr Buch handelt auch davon, warum wir gleichwohl Angst vor der Hässlichkeit haben.

Ausgehend von ihrer „persönlichen empfundenen Hässlichkeit“ habe sie genau diese historisch einzuordnen versucht, um herauszustreichen, „dass sie eben nicht isoliert steht“, sagt Hilal. „Es ist nie nur mein Empfinden, sondern: Wie sieht das im größeren Kontext aus?“

Moshtari Hilal: Hässlichkeit. Hanser-Verlag 2023, 224 S., 23 Euro; E-Book 16,99 Euro

Hilal studierte Islam- sowie Politikwissenschaften mit Schwerpunkt auf Gender und Dekoloniale Studien in Hamburg, Berlin und London. Sie habe sich bewusst dagegen entschieden, Kunst zu studieren, obwohl sie immer schon einen Zugang dazu gehabt habe. Als Schülerin bereits habe sie an Kunstworkshops teilgenommen und immer Menschen um sich gehabt, die damit zu tun hatten.

Als Geflüchtete, als in Deutschland aufgewachsene Afghanin, habe sie viele politische Fragen gehabt, die sie für sich selbst habe beantworten wollen. „Mir war klar, dass ich dieses Wissen nicht in einem Kunststudium bekommen werde“, sagt sie. Aber sie habe „diese Themen auch zeichnerisch weiter bearbeitet“.

Bei ihren ersten Ausstellungen standen die Themen, nicht die Kunst im Fokus: etwa als Teil einer Gruppenschau zur „zeitgenössischen afghanischen Kunst in der Diaspora“. Sie sei oft in Kontexten ausgestellt worden, „die mich wegen meiner Identität ausstellten und nicht wegen meiner Kunst“.

Do, 5. 10., 19 Uhr, Hannover, Literaturhaus; Do, 12. 10, 20 Uhr, Hamburg, Uebel & Gefährlich; Fr, 3. 11., 21 Uhr, Göttingen, Altes Rathaus (im Gespräch mit Gabriele von Arnim, die ihr Buch „Der Trost der Schönheit“ präsentiert)

Ein ganzes Buch auf Deutsch zu schreiben, war eine neue Erfahrung für Hilal, und dann auch noch in einem großen, bekannten Verlag. Eine Folge: ein ganz neues Publikum und viel größeres Interesse seitens der Medien – „eine interessante Erfahrung, aber auch befremdlich“. Schließlich behandele das Buch doch sehr spezifische Dinge, Hilal geht von einer Minderheitsperspektive aus.

Das Thema „Hässlichkeit“ ist dabei alles andere als neu, Hilal nennt Bücher wie „Die Geschichte der Hässlichkeit“ von Umberto Eco. Für eine eigene Perspektive habe sie auf sich selbst zurückgegriffen, ihre persönliche Verletzlichkeit: „Ich habe versucht, mich mit meinem Gesicht so auseinanderzusetzen wie mit einem Thema, das man recherchiert und das man ernst nimmt.“

Beim Schreiben habe sie sich vorgestellt, das Buch zu schreiben, das sie selbst hilfreich gefunden hätte. „Das ist meine Perspektive und mein Versuch, mein persönliches Hässlichkeitsempfinden hier exemplarisch für alle anderen zu historisieren und damit ihnen zu zeigen, dass auch ihr persönliches Hässlichkeitsempfinden nicht im Vakuum entstanden ist, sondern uns alle was angeht.“ So bleibt das Buch gerade nicht beim persönlichen Einzelfall, Hilal interessiert sich für die Diskurse um Hässlichkeit und ihr Gegenteil.

Dafür schaut sie sich vor allem das 19. und 20. Jahrhundert an. Für Hilal die Zeit, in der unser heutiges Verständnis vom Menschen geprägt wurde – im Guten wie im Schlechten: Marx und Darwin, aber auch Kolonialismus und Rassendenken. „Alles ist ein Ergebnis unserer Bedingungen und unserer Umgebung“, sagt Hilal, „der Ökonomie, in der wir leben, der Erziehung, der Sozialisiation.“ Nach alldem müsse fragen, wer sich ganz persönlich scheinende Fragen stelle.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.