Taiwan vor der Präsidentschaftswahl: Der Niedergang der Kuomintang
Für das moderne China schufen die Kuomintang eine Grundlage. Maos Kommunisten vertrieben die Partei vom Festland. Nun droht in Taiwan ihr Niedergang.
Als ihr Spitzenkandidat die Bühne betritt, bricht Jubel aus. „Han Kuo-yu, dong suan“, rufen seine Anhänger*innen im Chor. Wählt Han Kuo-yu. Als er in seiner Rede auf die Demokratieproteste in Hongkong eingeht, ebbt die Begeisterung aber ab.
„Heute Hongkong, morgen Taiwan“, das sei doch Unsinn, ruft er seinen Anhängern zu. „Meine Haltung ist klar: Ich unterstütze das Streben der Hongkonger nach Demokratie. Ich hoffe aber auch, dass Hongkong rasch wieder zur Ruhe kommt.“
Am 11. Januar wählen die Taiwaner*innen ihren Präsidenten. Das Rennen scheint jedoch gelaufen zu sein. Obwohl die amtierende Präsidentin Tsai Ing-wen und ihre demokratische Fortschrittspartei (DPP) noch bei den Regionalwahlen vor einem Jahr bitter abgestraft wurden, liegt sie jüngsten Umfragen zufolge mit fast 30 Prozentpunkten deutlich vor ihrem Herausforderer Han von der KMT.
Hongkongs Proteste färben ab
Hauptgrund dürften die seit sieben Monaten andauernden Demokratieproteste in Hongkong sein. „Die DPP lehne ich ab“, sagt etwa die 63-jährige Wei Hsiu, bekennende KMT-Anhängerin. Sie teile aber die Angst, dass es Taiwan ähnlich ergehen könne wie Hongkong: von der Volksrepublik annektiert zu werden.
Der Auftritt ihres Spitzenkandidaten Han überzeugt sie nicht. Er sollte nicht ganz so „chinafreundlich“ sein, sagt sie. Sollten sich die Umfragen bei den Wahlen bewahrheiten, wäre das eine bittere Niederlage für die KMT – und Ausdruck des Niedergangs einer traditionsreichen Partei, die wie kaum eine andere das Geschehen des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Selbst Chinas Kommunistische Partei hat ihre Wurzeln in der KMT.
Alexander Huang, Experte
Es war die KMT, die 1912 das mehr als zweitausendjährige Kaiserreich beendete und die Republik China ausrief. 1927 errang die KMT die Herrschaft über ganz China. Da hatte sich der kommunistische Flügel bereits abgespalten.
Die KMT bekämpfte die Abtrünnigen mit Gewalt. Nach dem verlorenen Bürgerkrieg 1949 gegen Maos Kommunist*innen flüchtete die KMT mit zwei Millionen ihrer Anhänger*innen nach Taiwan, wo sie die Republik China seitdem formell fortführt.
Peking sieht Taiwan als abtrünnige Insel
De facto wird Taiwan seitdem eigenständig regiert. Es gibt eine eigene demokratisch gewählte Regierung, eine eigene Währung und ein eigenes Militär. Doch Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Insel, die sich der Volksrepublik einzugliedern hat. Notfalls, so droht Chinas Staatschef Xi Jinping, auch mit militärischer Gewalt.
Derweil setzt Peking alles daran, Taiwan zu isolieren. Nur noch 15 Staaten erkennen die Inselrepublik als Staat an. Wirtschaftlich blüht der Handel mit Taiwan aber – nicht zuletzt auch mit der Volksrepublik. 40 Prozent des Außenhandels Taiwans laufen mit China. Die Insel ist eines der wohlhabendsten Länder Asiens.
Grundsätzlich sprechen sich Taiwans beide großen Parteien für den Status quo aus. Ihre Positionen unterscheiden sich trotzdem. Ausgerechnet die KMT, die von Chinas Kommunist*innen besiegt wurde, will die Beziehungen zur Volksrepublik ausbauen.
Die regierende DPP hat ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung und geht bewusst auf Distanz zur Volksrepublik – auch wirtschaftlich. Seit vor vier Jahren die DPP an die Macht kam, hat sich das Verhältnis zwischen China und Taiwan wieder drastisch verschlechtert: Peking hat alle offiziellen Kanäle gekappt und Festlandchines*innen Individualreisen auf die Insel verboten.
Die China-Frage ist zur Generationenfrage geworden
Mit Militärmanövern in der Taiwanstraße demonstriert die KP-Führung in Peking zugleich ihre Macht. Damit bewirkt sie in Taiwan aber das Gegenteil: Bei der letzten Wahl gewann die DPP knapp. Inzwischen weiß die DPP eine satte Mehrheit hinter sich.
„Für ein kleines Land wie uns wäre es Selbstmord, sich von China abzuwenden“, warnt Alexander Huang, der KMT-Minister war und nun einen Thinktank zu Sicherheitsfragen leitet. Um den Frieden zu erhalten, müsse man einen Umgang mit Peking finden. Huang, 60, sagt von sich, er gehöre zur „Generation der friedlichen Koexistenz“.
Die China-Frage ist zur Generationenfrage geworden. Ältere betrachten sich als Chines*innen, fühlen sich mit dem Festland kulturell verbunden und setzen auf Wandel durch Handel. Die Jüngeren sehen sich als Taiwaner*innen, sind stolz auf ihre Demokratie und wollen mit der autoritären Volksrepublik nichts zu tun haben.
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