Tahar Ben Jelloun über „Charlie Hebdo“: „Keine Religion akzeptiert Ironie“

Der Bestseller-Autor Tahar Ben Jelloun über seine Freunde von „Charlie Hebdo“, das Problem mit Le Pen und den üblen, neuen Witz Houellebecqs.

Schnell ausverkauft: die neue Ausgabe des Satiremagazins „Charlie Hebdo“. Bild: dpa

taz.am wochenende: Sie haben zwei Freunde bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo verloren. Die Zeichner Cabu und Wolinksi. Wie haben Sie davon erfahren?

Tahar Ben Jelloun: Telefonisch. Ich habe zunächst nicht gewusst, dass es so dramatisch ist. Aber das war eine Exekution, das war hart. Dass sie am Ende noch gesagt haben, dass der Prophet gerächt wurde, hat mich sehr wütend gemacht. Der Prophet hat nicht darum gebeten. Das zeigt, wie leicht man heutzutage Menschen zu Mördern machen kann. Sie spüren diese Jungs auf, teils im Ausland, die eine geistige, eine kulturelle Leere haben.

Es ist leicht, sie zu manipulieren: Wenn es jemandem nicht gut geht, er keine Arbeit hat, sich von der Gesellschaft nicht akzeptiert fühlt, keinen Verantwortungssinn besitzt. Wenn er keine Struktur vermittelt bekommen hat. Da sie ungebildet sind, bekommen sie ein schematisches Bild vom Islam vermittelt. Einen Islam der Slogans.

Wo lernen sie denn etwas über den Islam? Es ist von außen schwer zu verstehen, wie der Islam in Frankreich organisiert ist.

Das ist es ja, eigentlich lernen sie gar nichts richtig. Das Problem des Islam ist, dass es keinen Vertreter, keine Hierarchie gibt. Keine Priester, keine Bischöfe, keinen Papst. Jeder, der will, kann sich zum Imam erklären. Ich miete eine Garage, hier im fünften Arrondissement, und sage: Ich bin Imam, das ist meine Moschee. Die Leute kommen, und ich kann erzählen, was ich will. Es gibt keine Kontrolle.

Gibt es keine Prüfung für Imame?

Allmählich zeigt sich, wie brüchig der Pariser Anschlag Frankreich gemacht hat. „Die Muslime werden dafür teuer bezahlen“, sagt Bestseller-Autor Taher Ben Jelloun in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015 Und: „Charlie Hebdo“ spottet weiter: ein weinender Mohammed auf der Titelseite, im Heft Scherze über Dschihadisten. Die Streitfrage „Muss man über Religionen Witze machen?“ Außerdem: Keine Angst vor Hegel. „Viele denken, sie müssten das sorgfältig durchstudieren, wie über eine lange Treppe aufsteigen. Ich finde, man kann auch mittendrin irgendetwas lesen.“ Ein Gespräch mit Ulrich Raulff, dem Leiter des deutschen Literaturarchivs in Marbach. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Nein. Das ist das Problem. Und weil Frankreich ein laizistisches Land ist, kann der Staat nicht intervenieren. Ich finde, dass alle Imame in Frankreich vom Staat bezahlt und kontrolliert werden sollten. Und nicht etwa von Saudi-Arabien. Aber das geht halt nicht, weil der Staat keiner religiösen Gruppe – egal ob jüdisch, christlich oder muslimisch - Geld geben darf. In den Gefängnissen kann man die Missionierung noch eher unterbinden als in den Moscheen. Es gibt die muslimischen Verbände, aber die haben auf die Jungen keinen Einfluss. Man sieht sie im Fernsehen, sie verurteilen die Attentate, sie sind am Sonntag mitmarschiert, aber sie sind nicht repräsentativ.

Wenn der Staat so wenig Einfluss hat, dann müsste der Anstoß von innen kommen.

Tahar Ben Jelloun wurde am 1. Dezember 1944 in Fes in Marokko geboren. Weil er an den Studentenrevolten teilnahm, landete er im militärischen Straflager. Ben Jelloun ging nach Paris, wo er Soziologie und Psychiatrie studierte. Als Autor von Büchern wie „Papa, was ist ein Fremder?“ oder „Papa, was ist der Islam?“ ist er der erfolgreichste marokkanische Schriftsteller Europas. Er lebt in Paris, verbringt aber einen Großteil des Jahres in Marokko.

Das kann dauern.

Sind sie so pessimistisch?

Ich bin sehr pessimistisch. Weil unter anderem der Islam so ist wie er ist, dass er keine Hierarchie hat und diese sich auch nicht so einfach einführen lässt – es sei denn man wird Schiit, die haben Ayatollahs, Mullahs.

Dann braucht es die Initiative einzelner fortschrittlicher Imame wie die von Hassen Chalghoumi in Drancy, der sich gegen die Burka ausgesprochen hat. Warum gibt es so wenige wie ihn?

Französische Muslime demonstrieren für die Meinungsfreiheit. Bild: dpa

Chalghoumi steht unter Polizeischutz. Es gibt auch fortschrittliche Leiter anderer Moscheen, in Bordeaux, in Paris, aber sie haben alle keine demokratische Legitimation. Und sie sind außerdem eine Minderheit. Bei den Mohammed-Karikaturen gab es einen Aufschrei unter allen Muslimen. Als man mich damals dazu befragt hat, habe ich gesagt: Für mich ist der Prophet ein Geist und über einen Geist kann man sich nicht lustig machen. Das trifft mich nicht. Für mich ist das nicht der Prophet, den man da sieht. Der ist ein großer Geist, etwas Spirituelles. Ob er eine große Nase oder einen Bart hat, ist völlig egal. Aber die Gläubigen haben sich beleidigt gefühlt.

Haben Sie mit ihren Freunden von Charlie Hebdo darüber diskutiert?

Schon. Aber sie haben vor nichts Respekt. Das ist ihr Grundsatz. Sie respektieren weder Juden noch Christen, sogar über den Dalai Lama haben sie sich lustig gemacht. Sie machen Spaß. Das ist ihre Rolle. Charlie Hebdo ist kein Wirtschaftsmagazin, sondern eine Satirezeitschrift. Das muss man akzeptieren, es sind Leute, die vor nichts und niemandem Respekt haben.

Verträgt sich Ironie überhaupt mit dem Islam?

Keine Religion akzeptiert Ironie. Man braucht nur an Umberto Ecos „Der Name der Rose“ denken. Das Lachen war untersagt in der Kirche. Wer lachte, wurde zum Tode verurteilt. Denn Lachen und Ironie bedeutet Zweifeln, und Zweifeln heißt Infragestellen. Und wer etwas in Frage stellt, ist nicht religiös.

Gleich nach den Anschlägen, als die Verfolgungsjagd noch lief, wurde von vielen die Angst vor zunehmender Islamophobie geäußert. „Die Muslime sind die ersten Opfer“, hieß es teilweise. Das wirkt wie ein Reflex, der die Sicht auf die eigentlichen Opfer verstellt und Empathie verhindert.

Vor der Revolution war die Kirche in Frankreich sehr mächtig. Damit das Land säkular werden konnte, hat es jahrhundertelange Kämpfe gegeben. Der Islam in Frankreich befindet sich in einem Umfeld, das Religion keine besondere Achtung schenkt. Den Muslimen, die nach Frankreich gekommen sind, hat man nicht erklärt, was die Trennung von Staat und Kirche bedeutet. Man muss ihnen erklären: Wir sind in einem Land, wo es die Freiheit gibt, zu glauben oder nicht zu glauben. Gleichzeitig ist die Glaubensneutralität nicht das gleiche wie Atheismus. Jeder übt seine Religion so aus, wie er will. Das bleibt Privatangelegenheit.

Das verstehen viele Muslime nicht. Das hat einerseits zu einer Ablehnung der Franzosen gegenüber den Muslimen geführt und andererseits zu einem Rückzug der Muslime auf sich selbst, das ist katastrophal, für alle Seiten. Als ich am Mittwoch von den Toten im Namen des Propheten gehört habe, wurde mir schwindelig. Die Muslime werden teuer dafür bezahlen. Gestern hat man für die vergangenen Tage 50 Anschläge auf Moscheen in Frankreich gezählt. Für jüdische Einrichtungen gibt es - zu Recht - mehr Schutz. Trotzdem verletzt das viele Muslime: dass sie im Vergleich mit zweierlei Maß gemessen werden. Auch sie haben Angst. Sie fühlen sich nicht richtig geschützt.

Müssen die Schulen mehr intervenieren?

Das ist eine langfristige Aufgabe. Ab der Grundschule sollte man Religionsgeschichte unterrichten und das laizistische Modell erklären. Kurzfristig muss man eine Lösung für die Moscheen zu finden und in den Gefängnissen besondere Arbeit leisten, die ein idealer Ort geworden sind, um Islamisten zu rekrutieren. Und außerdem müsste der französische Staat die muslimische Bevölkerung beruhigen.

Trotzdem kann man unter jungen Muslimen einen gewissen Antisemitismus feststellen.

Antisemitismus hat es in Frankreich immer gegeben. Heute ist er verschwommen, zersplittert. Sicher gibt es junge Leute in den Banlieue, die Ressentiments gegen Juden haben, weil ihrer Meinung nach die französische Regierung diesen Sommer ausschließlich den israelischen Staat im Gazakrieg unterstützt hat, obwohl über 2.000 Palästinenser gestorben sind. Das hat man in den Banlieues sehr genau registriert.

Machen Sie dort Lesungen?

Das letzte Mal war es sehr schwierig. Die Jungen fragen sofort, warum machen die Israelis das, sie fühlen sich gedemütigt. Und es ist sehr schwer, ihnen zu vermitteln, dass man sich vor Rassismus in Acht nehmen muss.

Haben Sie das neue Buch von Houellebecq gelesen?

Ja. Ein Witz. Es ist ja am Tag des Attentats erschienen, und ich dachte, das wird seiner Karriere ein Ende bereiten. Das Gegenteil ist der Fall. Es zeigt, dass der Hass auf den Islam sehr verbreitet ist. Houellebecqs Sicht auf die Zukunft ist absolut lächerlich, unglaubwürdig. Im übrigen wird es nie einen muslimischen Präsidenten geben in Frankreich, der von allen Muslimen gewählt würde. Wie schon gesagt: Jedem sein Islam. Für mich ist er ein unverantwortlicher Schriftsteller. Es ist sein Recht zu schreiben, was er will. Aber ich muss es nicht mögen. Er gießt Öl ins Feuer. Und hat ein gutes Gespür fürs Marketing.

Aber er spürt die Ängste der Leute auf.

Er ist ein guter Beobachter, ein guter Soziologe.

Wird die Spaltung in Frankreich jetzt tiefer?

Das hängt von der Regierung ab.

Die ist aber relativ schwach.

Man kann Mentalitäten nicht einfach ändern. Die Angst der Leute vor dem Islam aus den Köpfen zu kriegen, ist nahezu unmöglich. Ich bin da sehr pessimistisch.

Was fürchten Sie mehr, den Aufstieg von Marine Le Pen oder den des Fundamentalismus?

Also Monsieur Houellebecqs Szenario ist lächerlich. Mit Le Pen haben wir tatsächlich ein großes Problem. Auch wenn sie kein glaubwürdiges politisches und ökonomisches Programm hat. Sie ist auch für Europa eine große Gefahr. Es ist sehr viel einfacher, gegen den Islamismus zu kämpfen als gegen Le Pen. Sie ist jetzt bei 25 Prozent. Es gibt viele, die glauben, dass Le Pen sie retten wird.

Eine Titelgeschichte über „Die zerbrechliche Republik“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 17./18. Januar 2015.

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