Tagebuch aus Lützerath (2): Schluss mit Gute-Laune-Aktivismus

Der Energiekonzern RWE will den Weiler Lützerath abreißen. Die Polizei kommt gefühlt immer näher. Barrikaden werden gebaut.

Feuer auf einer Straßenbarrikade, im Hintergrund Polizisten

Auf der Straße brennt eine Barrikade Foto: Aron Boks

Gestern habe ich noch drüber nachgedacht, was ich tue, wenn die Polizei das besetzte Dorf, in dem ich seit ein paar Tagen lebe, stürmt. Die Frage schien mir da noch weit weg, am Montag fühlt sie sich schon realer an.

Am Abend zuvor hatte Greenpeace um Hilfe gebeten, weil sie fürchteten, dass ihre Container an den Holztoren von Lützerath geräumt werden. Meine Mit­be­woh­ne­r:in­nen wollten sich darum kümmern, dass Greenpeace bleiben kann und RWE nicht schon vor der geplanten Räumung in gut einer Woche Vorbereitungen treffen und „schweres Gerät“ vor dem Camp aufbauen kann. Was auch immer das heißen mag.

„Bullen im Camp!“, rief vorhin jemand vor dem Holztor auf der Straße. Die gehört zwar RWE, ist aber gleichzeitig auch der Eingang zum Dorf. Und genau jetzt muss der Bagger seine Schaufel direkt in Richtung des Hauses richten, in dem ich schlafe. Eine vermummte Person deutet auf mich, beginnt zu lachen, und ich merke, dass es Zeit wird, meinen Mund zu schließen.

Kompromiss klingt wie Schoki für Bahnverpätung

Ein Polizist stellt sich zwischen die Ak­ti­vis­t:in­nen und bittet um Aufmerksamkeit. „Ihr habt uns gar nichts zu sagen!“, schreit ein Maleranzug ihm entgegen. Irgendwie führt dieses Gespräch zu nichts, denke ich. Der nette Polizist probiert es noch einmal und redet jetzt wie ein ambitionierter Fundraiser. „Folgender Vorschlag“, sagt er. „Ihr zieht euch zurück, wir auch ein Stück und wenn ihr kooperiert, haben wir im Idealfall nachher die Straße frei.“ Dort liegen im Moment Barrikaden aus Holz und Pflastersteinen.

Guter Versuch, aber das klingt bei dieser Besetzung ungefähr so reizvoll wie ein Stück „Lieblingsgast“-Schokolade der Deutschen Bahn, wenn man drei Stunden vor Kassel-Wilhelmshöhe im Zug feststeckt. Oder um es mit den Worten des Maleranzugs zu sagen: „Euer Idealfall ist unser Worst Case!“

Später am Vormittag kommt die Info, dass die Polizei das ganze Dorf heute noch nicht räumen wird. Auf der Straße bricht eine Holzbarrikade und ich ziehe mich in den Greenpeace-Container zurück. „Jetzt ist hier Schluss mit Gute-Laune-Aktivismus“, sagte jemand auf der Straße. Kurz darauf brennt eine Barrikade. Eine Reihe Po­li­zis­t:in­nen ist dann doch mit Schildern und Knüppeln ein kleines Stück vorgerückt.

🐾 Das Tagebuch „Countdown Lützerath“ entsteht mit finanzieller Unterstützung der taz Panter Stiftung.

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Aron Boks lebt als Slam Poet und Autor in Berlin. Er schreibt für diverse Zeitungen und Magazine. Einmal hat er sogar einen Weihnachtsforscher aufgespürt und interviewt. Sein letztes Buch „Luft nach Unten“ erschien 2019. Im selben Jahr erhielt er den Klopstock Förderpreis für Neue Literatur.

Eine Person sitzt auf einem Ausguck. Sie trägt eine blaue Hose und hat eine goldene Wärmedecke um die Schultern geschlagen. Außerdem trägt sie eine weiße Maske und eine Mütze. Szenerie aus Lützerath

Wie lebt es sich im besetzten Weiler? Die taz-Autor*innen Aron Boks und Annika Reiß waren für die Kolumne Countdown Lützerath vor Ort. Zwischen Plenum, Lagerfeuer und Polizei

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