Tag des Hundes: Der Menschenversteher
Wer sagt denn eigentlich, dass der Hund sich auf einer Party langweilt? Über den Hund und seine Rolle im Zivilisationsprozess.
„Am Tag des Hundes wird die besondere Rolle des Hundes für die Gesellschaft gefeiert“, heißt es. Wer denkt sich so einen Scheiß aus? Egal, Hunde sind immer ein gutes Thema, auch wenn es sich in Berlin meistens auf deren Scheiße konzentriert.
Dabei halten sich die verarmenden Berliner zunehmend weniger Hunde. Um den Proletariern die Haltung zu vermiesen wurde hier Ende des 19. Jahrhunderts die Hundesteuer eingeführt, heute kommt man dem Prekariat mit immer neuen Mieterhöhungen bei. Zumindest der Stadthund gilt als reiner Luxus, insofern er weder Wach- noch Hüte- oder Jagdaufgaben hat, er gehört zu den „companion species“ und hat soziale Funktionen. Die Hundeforscherin Katharina Rutschky meint: Wer dabei von „Ersatz“ redet, „kann natürlich nie die Frage beantworten, warum auch Leute, die weder verwitwet noch arbeits- oder kinderlos sind, einen Hund haben“.
Gleichwohl schreibt sie in ihrem Buch „Der Stadthund“ , dass er sich „unschuldig in einer evolutionären Sackgasse verlaufen hat“, weil nämlich „der Mensch mit ihm machen kann, was er will“. Hat das etwa seine „völlige Verblödung“ zur Folge gehabt, wie der Biologe Cord Riechelmann behauptet, der sich dabei auf die Philosophen Deleuze und Guattari stützen kann?
geb. 1947 in Bremen, arbeitete u.a. bei einem indischen Großtierhändler und wanderte im Herbst 1978 mit einem Pferd von Deutschland nach Italien. Seit 1971 ist er publizistisch tätig und schreibt auf taz.de regelmäßig in seinem Blog „Hier spricht der Aushilfshausmeister!“. Seit 2012 erscheint seine Reihe Kleiner Brehm im Verlag Peter Engstler, in der soeben neue Essays jeweils zum Schwan, zum Affen – und zum Hund erschienen.
Die in Berlin lebende Hundehalterin Katharina Rutschky ist zu dem genau entgegengesetzten Schluß gekommen: „Wer sagt denn eigentlich, dass der Hund sich auf einer Party langweilt, und nicht vielmehr evolutioniert?“ Und sowieso: "Im eigentlichen Sinne kann nur der Stadthund als bedeutendes Kommunikationsmedium gelten. Hunde auf dem Lande, ja schon solche mit eigenem Haus und großem Garten können wenig am Prozeß der Zivilisation mitwirken, weil sie dort, entgegen ihrer Neigung, als Naturwesen gehalten werden und darüber leicht vertrotteln. Gebildete Stadthunde, wie Kupfer (ihr Hund), finden sich überall zurecht, auch in Wald, Feld und Garten. Sie kennen die unterschiedlichsten Leute und Lebenssituationen und vor allem natürlich jede Menge andere Hunde von der Straße – wie soll ein Landhund da mithalten.“
Es geht der Autorin generell darum, Hunden die größtmöglichste Freiheit zu gönnen. Dies gilt auch für die amerikanische Hundeforscherin Elizabeth Marshall Thomas, die mit mehreren Schlittenhunden und einer Dingohündin zusammen lebte, vornehmlich indem sie deren Lebensäußerungen während ihrer städtischen und ländlichen Streifzüge wissenschaftlich protokollierte. Sie hielt sich mithin aus ihren Beziehungen raus – und so kam sie dann auch zu dem Schluß, dass „die Domestikation wenig Bedeutung hatte... Meist wollten sie leben wie Wölfe.“
Man kann sich jedoch fragen, ob die Domestikation vielleicht für andere Hunde doch bedeutsam war und ist? Sogar für die ganze Art, meint der US-Philosoph und Wolfsbesitzer Mark Rowlands, indem er eine einfache darwinistische Rechnung aufmacht: Es gibt heute über 40 Millionen Hunde auf der Welt, aber nur noch etwa 40.000 Wölfe. Wie steht es dabei mit denen, die ein Herrchen oder ein Frauchen haben – und in gewisser Weise ausgesorgt haben?
Hunde mit Mehrwert
2002 betrug die weltweit für Haustierfutter und -versorgung ausgegebene Summe bereits 46 Milliarden Dollar, Tendenz steigend, vor allem im Marktsegment „Premiumfutter“. Darüberhinaus wird die Medizintechnik für Hunde immer aufwendiger, es gibt inzwischen psychologische Therapieeinrichtungen und Krankenversicherungen, die für Haustiere bereits zur Normalität werden, wie die US-Biologin und Hundebesitzerin Donna Haraway in ihrem Aufsatz „Hunde mit Mehrwert und lebendiges Kapital“ schreibt.
Je weniger Leute sich einen Hund leisten können, desto mehr nimmt die Zahl der herrenlosen Hunde zu – vor allem in den ehemaligen Ostblockstaaten, aber auch in Arabien, Indien, Australien und Mexiko. Und dort in den großen Städten. Berlin ist eine große Ausnahme: Hier gibt es überhaupt keine herrenlosen Hunde, dafür 70.000 herrenlose Katzen.
Bilder aus lang vergangenen Tagen finden Sie hier.
Im arabischen Raum waren bis vor kurzem noch fast alle Hunde herrenlos. Da im Islam der Hund als unrein gilt, sind sie über die Jahrhunderte entsprechend verwahrlost. Berühmt wurde einst das große menschengefährliche Rudel in Istanbul, in den meisten Städten sind diese jedoch so klein, dass ihre Reviere jeweils nur eine Straße umfassen. Zudem werden sie regelmäßig mit Ausrottungsaktionen überzogen.
Das Gegenteil ist Rußland, wo es zwar infolge der allgemeinen Verarmung auch wieder viele herrenlose Hunde gibt, die jedoch zum Einen wissenschaftlich erforscht werden und zum Anderen zu vielen Lebensmittelläden und Einrichtungen (wie Flughäfen) quasi dazu gehören. In Moskau, wo es inzwischen sogar ein Denkmal für einen herrenlose Hund – namens „Maltschik“ - gibt, hat der Kynologe Andrej Gontscharow vier Gruppen von herrenlosen Hunde unterschieden – je nach ihrer Distanz zu den Menschen, wobei eine Gruppe so gut wie keine Distanz einhält, weil sie gelegentlich Bewachungsaufgaben übernimmt und dafür gefüttert wird.
Hunde mit Menschenkenntnis
Nach Australien kamen mit den Weißen ab 1788 die ersten Haushunde. Sie paarten sich schon bald mit den Dingos, den „Hunden“, die zuvor die Aborigines mit auf den Kontinent gebracht hatten. Diese richteten sie jedoch nie ab: Menschen und Hunde jagten getrennt. Die Dingos verlegten sich dann auf die mitgebrachten Schafe der Weißen. Selbst der längste Zaun der Welt, der 5400 Kilometer lange „Dingozaun“, der die Schafweiden im Süden Australiens schützen soll, kann das nicht verhindern. Australische Dingoforscher gehen davon aus, dass durch die „Mischlinge“ das „komplexe Sozialgefüge“ der Dingos zerstört wird. Schon meinen einige Dingoschützer, dass die „reinen Dingos“ zum Aussterben verurteilt sind – durch Vermischung.
Umgekehrt verhält es sich z. B. in Rumänien, wo die „reinen Wölfe“ angeblich seit dem Zusammenbruch des Sozialismus von verwilderten Haushunden aus ihren Revieren vertrieben wurden. Fest steht jedenfalls: Je näher die menschlichen Siedlungen den beiden kommen, desto erfolgreicher jagen die herrenlosen Hunde, weil sie mehr Menschenkenntnis haben als die Wölfe.
Das „Primaten Forschungs Zentrum“ des Max Planck Instituts in Leipzig stellte kürzlich Vergleichsexperimente zwischen Schimpansen und Hunden an, wobei die Kognitionsforscher zu dem Ergebnis kamen, „dass Hunde die vermeintlich so klugen Menschenaffen um Längen schlagen, wenn es darum geht, Gesten von Menschen zu deuten“ und Worte in Beziehung zu den Dingen zu begreifen. Wölfe haben solche „kommunikativen Fähigkeiten“ noch weniger als die Menschenaffen.
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