Täter von Magdeburg: Schon lange polizeibekannt
Der Tatverdächtige des Angriffs auf Magdeburgs Weihnachtsmarkt fiel bereits vor Jahren mit Gewaltandrohungen auf. Aber die Behörden griffen nicht ein.
Taleb Al Abdulmohsen war 2006 nach Deutschland gekommen, damals regulär eingereist mit einem Visum, um hier eine Facharztausbildung als Psychotherapeut zu beginnen. Anfangs erhielt Abdulmohsen dabei nach taz-Informationen auch noch ein Stipendium eines saudi-arabischen Kulturbüros. Finanziell unterstützt wurde er zudem von seinem Bruder, der weiter als Lehrer in Saudi-Arabien arbeitete.
Nach Aufenthalten in verschiedenen Städten lebte Abdulmohsen dann von 2011 bis 2016 in Stralsund – und wurde bereits da auffällig. Der taz liegt ein Urteil vom April 2013 vom Amtsgericht Rostock vor, in dem Abdulmohsen wegen „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens“ zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 Euro, also 900 Euro, verurteilt wurde.
Zuvor hatte Abdulmohsen 2013 einen Zulassungsantrag zur Facharztprüfung bei der Ärztekammer in Mecklenburg-Vorpommern gestellt. Eine dortige Referentin hielt Abdulmohsens Qualifikation indes für nicht ausreichend, forderte weitere Prüfungen ein. Abdulmohsen soll die Referatsleiterin daraufhin angerufen und ihr gedroht haben, dass „etwas Schlimmes“ mit „internationaler Bedeutung“ geschehen werde, sollte sein Zulassungsantrag nicht doch bewilligt werden.
Bezug auf den Boston-Anschlag
Explizit soll er auf den islamistischen Boston-Anschlag in den USA verwiesen haben, der tags zuvor geschah und drei Menschen tötete sowie 260 verletzte. „Sowas passiert hier dann auch“, soll Abdulmohsen gedroht und der Referatsleiterin eine Frist von 10 Tagen gesetzt haben. Weitere Telefonate, E-Mails oder Faxe ähnlichen Inhalts sollen vorangegangen und gefolgt sein.
Vor Gericht soll Abdulmohsen damals seine Unschuld beteuert und eine Entschuldigung für die Drohungen abgelehnt haben. Er wurde daraufhin verurteilt. Im Nachgang soll er die Richter in Schreiben beleidigt und ihnen Rassismus vorgeworfen haben, sich auch bei einer Hotline einer Bundesbehörde beschwert haben. Den Richtern soll er auch angedroht haben, sich eine Pistole zu organisieren und sich damit an den Richtern zu rächen.
Auch einer Mitarbeiterin einer Stralsunder Sozialbehörde soll Taleb Abdulsmohsen Gewalt angedroht haben, im Jahr 2014, als es um die Beantragung von Sozialleistungen ging. Auch dort soll Abdulmohsen mit einer Tat gedroht haben, die international Beachtung finden werde und an die man sich noch lange erinnern werde. Außerdem drohte er damit, sich das Leben zu nehmen.
Laut Christian Pegel (SPD), Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, gab es nach dem ersten Vorfall 2013 eine Durchsuchung der Wohnung von Abdulmohsen in Stralsund. Dabei seien aber keine Hinweise auf einen Anschlag festgestellt worden. Ein Jahr später sei eine Gefährderansprache gefolgt. Pegels Ministerium versichert, die Informationen zu den Drohungen von Abdulmohsen am 6. Februar 2015 auch im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum aller Sicherheitsbehörden an das BKA übermittelt zu haben.
Doch Taleb Abdulmohsen, der sich in Social Media Postings und Interviews als saudi-arabischer Dissident und Ex-Muslim bezeichnete, machte weiter mit seinen Drohungen. In der Folge trafen diese auch den Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland und die Säkulare Flüchtlingshilfe. Dort berichtet man, dass Abdulmohsen die Organisationen „seit Jahren terrorisiert“ und Repräsentanten öffentlich diffamiert habe. Er habe wie ein „Psychopath“ gewirkt, der ultrarechten Verschwörungsideologien anhänge, erklärte Mina Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats.
Abdulmohsen habe kritisiert, dass der Zentralrat und die Säkulare Flüchtlingshilfe sich auch für liberale Muslime eingesetzt hätten, so Ahadi. Gegen die Verleumdungen sei die Säkulare Flüchtlingshilfe schließlich auch juristisch vorgegangen – und habe im August 2023 vor Gericht erstritten, dass Abdulmohsen diese unterlassen müsse. Dieser habe dagegen Berufung eingelegt, über die erst Ende Oktober 2024 verhandelt worden sei. Laut Zentralrat soll Abdulmohsen vor Gericht eine „Wutrede“ gehalten habe, dass er Europa vor der Islamisierung retten werde.
Deutschland ignoriere Islamismus
Bereits zuvor habe er mehrfach angedeutet, dass er die Deutschen dafür zahlen lassen wolle, dass sie die Gefahr des Islamismus ignorierten, so der Zentralrat. Auch hierzu reichte die Säkulare Flüchtlingshilfe nach eigenen Angaben bereits im vergangenen Jahr Strafanzeige bei der Polizei ein und warnte vor einem Anschlag. Das LKA Sachsen-Anhalt aber sei zu dem Schluss gekommen, dass von Abdulmohsen keine konkrete Bedrohung ausgehe.
Das LKA Sachsen-Anhalt ließ eine taz-Anfrage vorerst offen. Tom-Oliver Langhans, Direktor der Polizei Magdeburg, hatte am Wochenende aber bestätigt, dass nach einer Strafanzeige gegen Abdulmohsen eine Gefährderansprache geplant gewesen sei. Dazu sei es aber letztlich nicht gekommen.
Laut einem MDR-Bericht soll Abdulmohsen von der Polizei aber eine schriftliche Gefährderansprache geschickt worden sein. Ob ihn diese erreichte, ist unklar. Zuvor soll Abdulmohsen der Kölner Staatsanwaltschaft in einer E-Mail vom 21. August 2023 gedroht haben, dass er „kein schlechtes Gewissen“ habe für „Ereignisse, die in den nächsten Tagen passieren werden“.
Als Extremist oder Gefährder wurde Taleb Abdulmohsen bei deutschen Sicherheitsbehörden dennoch nicht geführt. Diese wurden aber auch von einem saudi-arabischen Geheimdienst im November 2023 auf gewaltandrohende Postings von Abdulmohsen hingewiesen. BKA-Präsident Holger Münch sagt, man habe diese an die Polizei Sachsen-Anhalt weitergegeben. Aber die Äußerungen seien letztlich zu „unspezifisch“ gewesen, auch sei Abdulmohsen nie selbst mit Gewalt aufgefallen.
Sturmgewehr als Profilbild
Nach taz-Informationen liefen 2022 indes Ermittlungen gegen Abdulmohsen wegen des Verdachts der Schleusung. Seit 2021 soll dieser zudem selbst zahlreiche Anzeigen gestellt haben, gegen Behörden oder eben Organisationen wie die Säkulare Flüchtlingshilfe.
Zuletzt hatte Taleb Abdulmohsen auch in Social Media Postings immer vehementer eine Gewalttat angedroht. „Gibt es einen Weg zur Gerechtigkeit in Deutschland, ohne eine deutsche Botschaft in die Luft zu sprengen oder wahllos deutsche Bürger zu massakrieren?“, schrieb er dort etwa. „Ich suche seit Januar 2019 nach diesem friedlichen Weg und habe ihn nicht gefunden.“ An anderer Stelle schrieb er, dass er „noch in diesem Jahr sterben werde“ oder dass Deutschland nur Gewalt verstehe. Sein Profilbild auf „X“ zierte am Ende ein Sturmgewehr.
Parallel lief da schon ein weiteres Verfahren gegen Taleb Abdulmohsen in Berlin. Am 23. Februar dieses Jahres soll er auf einer Berliner Polizeiwache versucht haben, eine Anzeige zu erstatten. Als er mit dem Ergebnis unzufrieden war, rief er den Notruf der Feuerwehr. Er erhielt darauf einen Strafbefehl wegen „Missbrauchs von Notrufen“ von 20 Tagessätzen zu je 30 Euro, also 600 Euro, wie die Staatsanwaltschaft Berlin der taz bestätigte. Abdulmohsen habe dagegen Einspruch eingelegt. Erst am Donnerstag, einen Tag vor der Tat in Magdeburg, sollte Abdulmohsen deshalb vor dem Amtsgericht Tiergarten erscheinen – was er nicht tat. Der Einspruch wurde daraufhin verworfen.
Abdulmohsen sitzt derweil weiter in Untersuchungshaft, Behörden ermitteln zu seinem Tatmotiv. Nach seiner Festnahme soll sich der 50-Jährige auch dazu eingelassen haben – nach taz-Informationen indes derart wirr, dass sich daraus keine klaren Schlüsse ziehen ließen. Auch für die Bundesanwaltschaft befindet sich der Fall deshalb weiter nur in Prüfung.
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