TV-Experiment „Plötzlich Krieg?“: Sozialexperiment in Zeiten von Pegida

ZDFneo versucht am lebenden Objekt zu erklären, wie Konflikte entstehen – und wie schnell sich Menschen in Gruppen manipulieren lassen.

Viele Bildschirme und Technik in der Schaltzentrale

Die überdimensionierte „Schaltzentrale“ in einem ehemaligen Berliner Stasi-Krankenhaus Foto: Thomas Ernst/ZDF

Ein mysteriöser Wald. Unschärfe. Menschen laufen durch die Wildnis. Abrupter Kameraschwenk: eine kleine Menschengruppe, Hektik in einem zerstört wirkenden Gebäude. Roter Farbfilter, schnelle Schnittbilder. Schließlich ein gleitender Schwenk auf einen grauen Gebäudekomplex. Auf dem Dach steht ein Fernsehteam. Moderator Jochen Schropp begrüßt die Zuschauer: „Der Mensch: eine Spezies, die sich für zivilisiert und moralisch hält. Nur leider ist er es nicht.“ Das Thema und die Atmosphäre sind gesetzt.

Mit „Plötzlich Krieg? – Ein Experiment“ möchte ZDFneo zeigen, „wie schnell sich Menschen in Gruppen manipulieren lassen, eine Situation eskalieren kann und wie zwei Gruppen sogar bereit sind, sich zu bekriegen.“

Der Sender nennt das Format einen Versuch, den es so im Deutschen Fernsehen noch nicht gegeben habe, und schließt damit doch an vorangegangene Experimente an, wie das scharf kritisierte „Auf der Flucht“, bei dem man Prominente auf die Spuren von Flüchtlingsrouten schickte, oder „Der Rassist in uns“, mit dem man verdeutlichen wollte, wie Vorurteile entstehen und sich anfühlen.

27. und 28. Oktober, 21.45 Uhr, ZDFneo

Zwölf Männer und Frauen wurden dafür nun „aus der Mitte der Gesellschaft“ gecastet und in einem ehemaligen Berliner Stasi-Krankenhaus aus einer verborgenen Schaltzentrale heraus gegeneinander ausgespielt. So soll die Frage nach der Entstehung von Konflikten beantwortet und die in zwei gegnerische Gruppen aufgeteilten Teilnehmer sollen so beeinflusst werden, „dass sie sich ohne großes Zögern in einem kriegerischen Konflikt aufeinanderstürzen“. Begleitet wird das TV-Experiment von Konfliktcoach Christopher Lesko. Er benennt die Schlüsselfaktoren (“1. Wir sind die Guten, 2. Die da sind die Bösen, 3. Die nehmen uns was weg“) und hat die als Spiele getarnten Konfliktsimulationen entwickelt.

Wie entsteht subjektiv gefühlte Wirklichkeit?

„Ein Kern besteht in der Frage, wie genau jene Stimmungen entstehen, die weit über Aspekte erwachsener Vernunft hinaus unser Handeln bestimmen, wenn sie die primäre Steuerung über unser Verhalten übernehmen. Wie entsteht subjektiv gefühlte Wirklichkeit? Gerade in Zeiten von Pegida und Co., von Asylbewerberdiskussionen und in Zeiten eines Europas mit implementierten Sollbruchstellen ist das eine sehr aktuelle Frage.“ Und eine, die die Gesellschaft schon lange beschäftigt. So zum Beispiel in Morton Rhues Roman „Die Welle“ aus dem Jahr 1981, in dem ein Lehrer mit seiner Klasse den Konformitätsdruck des Nationalsozialismus nachempfindet. Oder auch in Mario Giordanos „Das Experiment Black Box“, das Freiwillige in Gefangene und Wärter unterteilt. Bei beiden Versuchen geht bekanntlich etwas schief.

Konfliktcoach Christopher Lesko

„Gerade in Zeiten von Pegida und Co. und von Asylbewerberdiskussionen ist das eine sehr aktuelle Frage“

Dass die Voraussetzungen für das nun von ZDFneo so spektakulär angekündigte Sozialexperiment recht bekannt wirken, hängt natürlich auch damit zusammen, dass ähnliche Versuchsanordnungen bereits seit anderthalb Jahrzehnten medial auf unterschiedlichen TV-Sendern durchgespielt zu werden scheinen, von „Big Brother“ bis „Dschungelcamp“ verfolgen wir regelmäßig freiwillig in Extremsituationen gebrachte Menschen, beobachten sinnlos wirkende Spielchen, entstehende Gruppendynamiken und psychische Entgleisungen.

„Als Sozialexperiment würde ich keines der erwähnten Formate bezeichnen“, widerspricht Lesko. „Wir haben weder medienerfahrene C-Promis dafür bezahlt, ihren Platz in der dritten Reihe angestaubter TV-Regale mit einer Chance auf mediale Revitalisierung zu tauschen, noch haben wir Menschen wie bei ‚Big Brother‘ unter grenzwertiger Auflösung von Intimsphäre Peinlichkeiten beschert. Wir haben mit durchgängig großem Respekt und Ernst unseren Teilnehmern zugemutet, Gemeinsamkeit, Wut und Konfliktbereitschaft zu entwickeln. Ein diametraler Fokus und eine diametrale Haltung also. Und wir hätten jederzeit damit gearbeitet, wenn sich das ergebnisoffene Experiment in eine völlig andere Richtung entwickelt hätte.“

Dass es „Plötzlich Krieg?“ tatsächlich nicht um sensationsgeilen Voyeurismus sondern um die Sache geht, wird im Laufe des zweiteiligen Formats durchaus deutlich. Zugutehalten muss man dem Konzept außerdem, dass am Ende ein ebenso wichtiger Fokus auf die Herstellung des „Friedens“ gelegt wird, wie zuvor auf die Auslösung des „Krieges“ – auch wenn dies im vorab vom Sender zur Verfügung gestellten Zusammenschnitt nur angedeutet wird.

Überzeugend ist das Format dennoch nicht, was an dem aufgebauschten Drumherum liegen könnte, wie beispielsweise der überdimensionierten „Schaltzentrale“, die bei aller bemühten medialen Seriosität an der Grenze zur Karikatur entlangschlittert. Weitgehend unkommentiert hat man auch die eingangs beschriebene inszenierte Spannungsästhetik der erwähnten Reality-Showformate übernommen oder bekannte Mittel, wie eine als Plumpsklo getarnte „Kommunikationseinheit“, durch die die Teilnehmer von einer verzerrten Stimme Informationen und Anweisungen erhalten. So läuft die Produktion in vielen Momenten im Leerlauf zwischen Show und Sozialexperiment – und kommt nicht so recht von der Stelle.

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