TV-Debatte der EU-Spitzenkandidaten: Von der Leyen unter Druck
Migration und Kooperationen mit Rechtsextremen: Bei einer TV-Debatte der Spitzenkandidaten muss sich die EU-Kommissionspräsidentin rechtfertigen.
„Frau von der Leyen, schaffen Sie endlich Klarheit“, forderte der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Nicolas Schmit. Die CDU-Politikerin müsse erklären, ob sie nach der Wahl am 9. Juni mit Rechtskonservativen von der EKR (Europäische Konservative und Reformer) oder Rechtsextremen von ID (Identität und Demokratie) kooperieren wolle. Bisher agiere sie in einer „Grauzone“.
Von der Leyen erwiderte, dass sie sich bei ihrer Arbeit von „sehr klaren Prinzipien“ leiten lasse. Wer mit ihr kooperieren wolle, müsse sich zur EU, zur Ukraine und zum Rechtsstaat bekennen. Die AfD und das französische Rassemblement National um Marine Le Pen kämen nicht infrage, da sie „Putin“ unterstützten. Beide Parteien waren bisher in der ID-Fraktion, die AfD wurde am Donnerstag ausgeschlossen.
Von der Leyen distanzierte sich jedoch nicht von Giorgia Meloni, der postfaschistischen Regierungschefin in Italien, und von der rechtskonservativen EKR. Meloni hatte angekündigt, im Europaparlament neue Mehrheiten rechts von der Mitte organisieren zu wollen. Ganz nach dem Vorbild ihrer eigenen Koalition in Rom. Dort arbeiten Konservative, Rechtspopulisten und Rechtsextreme zusammen.
Abkommen mit „hässlichen Diktaturen“?
Ausweichend antwortete die deutsche Politikerin auch auf Fragen nach Tunesien. Mehrere Medien, darunter der Spiegel und Le Monde, hatten berichtet, dass das islamisch regierte Land unerwünschte schwarzafrikanische Migranten zurück in die Wüste schicke und dabei EU-Mittel nutze. „Das ist nicht mit europäischen Werten vereinbar“, empörte sich Schmit. „Sie haben ein Abkommen mit einer hässlichen Diktatur geschlossen“, warf er von der Leyen vor.
„Wir müssen in Herkunfts- und Transitländer investieren, das ist die beste Politik“, erwiderte die Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei EVP. Auf die detaillierten Berichte, die auf systematische Menschenrechtsverletzungen hinweisen, ging sie aber nicht ein. Vielmehr nutzte sie die fast zweistündige Debatte, die vom Parlament und der Europäischen Rundfunkunion (EBU) ausgerichtet wurde, um eine Erfolgsbilanz ihrer Brüsseler Arbeit zu ziehen.
Mit dem sogenannten Green Deal sei Europa zum Vorreiter im Kampf gegen die Klimakrise geworden, so von der Leyen. Die grüne Spitzenkandidatin Terry Reintke warf ihr hingegen vor, sich von diesem Deal zu verabschieden und das Klima gegen die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit auszuspielen. Walter Baier von der europäischen Linkspartei forderte mehr Investitionen, vor allem in soziale Projekte. Ansonsten drohe der Green Deal zu scheitern.
Der Spitzenkandidat der Liberalen, Sandro Gozi, forderte mehr Geld für Rüstung und Verteidigung. Damit die Ukraine im Krieg gegen Russland obsiege, müsse die EU einen neuen, 100-Milliarden-Euro schweren Fonds auflegen, so Gozi. Dem widersprach der Linke Baier. Die EU-Mitglieder der Nato gäben jetzt schon doppelt so viel Geld für Rüstung aus wie Russland und China zusammen. Die EU müsse sich um eine politische Lösung bemühen, statt weiter aufzurüsten.
EKR und ID nicht zur Debatte eingeladen
Neue Vorschläge brachte die englischsprachige Debatte, an der Zuschauer aus mehreren EU-Ländern beteiligt wurden, nicht. Die Fragen der Moderatoren und die Antworten der Kandidaten gingen kaum über das hinaus, was der „Wahl-O-Mat“ bietet – sieht man von kurzen Show-Elementen ab, die wohl nicht zufällig an den „European Song Contest“ erinnern. Der ESC wird ebenfalls von der EBU ausgerichtet.
Für Ärger sorgte die Entscheidung, keine Vertreter der rechten EKR und der rechtsradikalen ID einzuladen. ID sprach von einer „Maskerade“. Die Debatte diene nur dazu, „die Kandidaten von extrem links bis Mitte zu bewerben und die Rechte auszuschließen“. Die Veranstalter erklärten, EKR und ID hätten keine Spitzenkandidaten aufgestellt und sich damit selbst von der Show ausgeschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo