TV-Bürgersprechstunde mit Putin: Ganz nah am Volk

Russlands Präsident beantwortet mal wieder Zuschauerfragen und wirbt für eine Corona-Impfung. Die Fragen wurden vorher ausgewählt.

Wladimir Putin im Fernsehstudio mit Moderatorin

Showtime für Wladimir Putin im russischen Fernsehen Foto: Sputnik/Sergei Savostyanov/reuters

MOSKAU taz | Einmal im Jahr stellt sich der russische Präsident Wladimir Putin den Fragen der Bürger. 2020 musste die Bürgerbefragung erstmals ausfallen. Pandemie und Verfassungsänderungen wurden meist als Grund genannt. Am Mittwoch war der Präsident jedoch wieder zurück, sah aus als sei er in der Zwischenzeit keine Sekunde gealtert. Auch der „Bürgerstunde“ war ein neues Format verpasst worden, die sich weniger als Befragung denn als eine Unterhaltung mit dem Kremlchef darstellt.

Die Bürger wandten sich mit SMS und Videos an den Präsidenten. Bis zum Sendebeginn um 12 Uhr mittags sollen fast zwei Millionen Fragen eingegangen sein. Zwei junge Frauen begleiteten den Präsidenten auf dem neuen Weg. Sie redeten auch mal dazwischen, wenn sie es für angebracht hielten. Wladimir Putin wirkte aufgeräumt und machte eine gute Figur. Um den Auftritt war im Vorfeld nicht so viel Aufmerksamkeit entstanden, wie in den Vorjahren.

Wladimir Putin antwortete nicht mehr wie aus der Pistole geschossen. Stattdessen ließ er die Fragesteller ausreden, wirkte oft nachdenklich und überlegt. Er beherrscht das neue Image. Natürlich waren die Fragesteller zuvor in einem Auswahlverfahren bestimmt worden. Nichts war dem Zufall überlassen. Auch wenn das neue Format den Eindruck erweckte, alles laufe live ab.

Am Tag des „direkten Drahts“ verzeichnete Russland mit 669 Corona-Toten wieder einen neuen Rekord. Zudem wurden 21042 Neuinfektionen registriert. Zurzeit kämpft Moskau mit der ansteckenderen Delta-Variante, die auf die schleppende Impfkampagne in Russland zurückgeführt wird.

Verbreitete Impfskepsis

Die Menschen sollten auf Empfehlungen von „Experten“ hören, nicht auf „Gerüchte“ meinte Putin im Fernsehen. In Russland ist die Impfskepsis besonders verbreitet. Nach Monaten Versteckspiel räumte der Kremlchef am Mittwoch ein, dass er sich mit dem russischen Impfstoff „Sputnik V“ vor drei Monaten habe impfen lassen. Warum er daraus ein Geheimnis machte und die Impfskepsis im Land noch beförderte, beantwortete der Kremlchef nicht.

Laut Putin hätten mindestens 23 Millionen Menschen von 146 Millionen Russen inzwischen eine Impfdosis erhalten. Nach unabhängigen Quellen liegt der Anteil der Geimpften bei 15 Prozent. Demnach ist das Ziel des Kreml, 60 Prozent der Bevölkerung bis zum Herbst zu impfen, nicht mehr zu erreichen. „Ich unterstütze Pflichtimpfungen nicht“, sagte Putin und schob die Verantwortung unterdessen auf Regionalbehörden, die Schutzmaßnahmen wie eine Impfpflicht anordneten.

Auch die Stadt Moskau hat eine Art Impfpflicht eingeführt. Unternehmen in der Hauptstadt müssen nachweisen, dass 60 Prozent ihrer Belegschaft geimpft sind. Trotz aller Lockerheit fiel dem Präsidenten das Thema schwer. „Die Impfung ist ungefährlich“, sagte Putin und behauptete, dass das russische Vakzin besser sei als andere Impfstoffe.“ Gott sei Dank, gibt es bei uns keine solchen tragischen Situationen, wie nach der Impfung mit Astrazeneca und Pfizer“, sagte Putin und rief die Bürger noch einmal zur Impfung auf.

Die meiste Zeit der knapp vier Stunden widmete sich der Präsident wie in den vorangegangen Sendungen Fragen des alltäglichen Lebens. Wann kommt die Gasleitung in den Kaukasus, was müssen die Bürger dafür zahlen?

Ständige Störmanöver

Kleinteilige Anliegen, für die Putin früher keine Zeit hatte. Diesmal erkundigte sich der Präsident bei den Organisatoren, ob sie auch die persönlichen Daten der Fragesteller hätten. Die Nähe zum Volk war vor den Dumawahlen im September Leitmotiv der Veranstaltung.

Einmal rutschte es dem Kremlchef dennoch heraus. Wenn es nicht ständig Störmanöver gebe, so der Präsident – damit waren die USA und der Oppositionelle Alexei Nawalny gemeint,- wären die wissenschaftlichen Fortschritte Russlands schon beeindruckend.

Auch die Ukraine musste herhalten. Angeblich würde sie aus dem Ausland gesteuert. „Die Schlüsselfragen der Lebensfähigkeit der Ukraine werden nicht in Kiew, sondern in Washington und teilweise in Berlin und Paris gelöst“, sagte der Präsident. Warum solle er sich mit Präsident Wolodymir Selensky treffen, „wenn er sein Land komplett unter Verwaltung von außen gebracht hat“, so der Kremlchef. Russen und Ukrainer seien eigentlich ein und dasselbe Volk, so Putin. Das ukrainische Volk verhalte sich gegenüber Russland nicht unfreundlich. „Aber die heutige Führung steht uns eindeutig unfreundlich gegenüber“, meinte Putin.

Bei dem Zwischenfall im Schwarzen Meer in der vergangenen Woche zwischen den USA, Großbritannien und russischer Kriegsmarine sah Putin eine „Provokation“ am Werk. Es war zu Auseinandersetzungen mit den westlichen Schiffen gekommen. Aus Sicht des Westens hat Russland die Krim völkerrechtswidrig besetzt.

Abschließend bedankte sich der Präsident bei den Mitarbeitern der chemischen Reinigung seines Vertrauens, die sich täglich darum bemühe, dass er wie aus dem Ei gepellt aussieht. Auch das hatte eine neue Qualität.

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