Corona-Welle in Russland: Präsident der Antikörper

In Russland sterben immer mehr Menschen an Coronainfektionen. Die Impfkampagne lahmt. Nun macht der Kreml Druck.

Puitin schaut durch ein Fernglas

Russland hat den ersten Impfstoff entdeckt Foto: ap

MOSKAU taz | Die Stadt Moskau versucht es noch einmal. Diesmal sollen Ärzte einen Bonus erhalten. Für die Impfung eines Probanden zwischen 18 und 60 Jahren verspricht die Stadt 200 Rubel, umgerechnet 2,50 Euro. Für einen älteren Bürger ab 60 Jahren gibt es 400 Rubel. Russland hat Schwierigkeiten, Bürger zum Impfen zu bewegen, obwohl es mit dem Serum „Sputnik V“ den ersten Impfstoff gegen Corona schon im August 2020 vorlegte.

Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Errungenschaften im russischen Gesundheitswesen sitzt tief. Premierminister Michail Mischustin sprach vergangene Woche von 40 Millionen vollständig Geimpfter. Für die Entwicklung einer Herdenimmunität würde dies nicht ausreichen. Grundsätzlich schwanken Angaben über die Zahl der bereits Geimpften. Am Freitag erreichte Russland bei an Corona Verstorbenen mit 887 den vierten Tag hintereinander einen neuen Rekord.

Russlands Zählung entspricht jedoch nicht den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Russland bildet lediglich ab, wer „an“ Covid-19 gestorben ist. Laut der Leiterin der russischen Gesundheitsbehörde, Anna Popowa, sind in den letzten Tagen in 36 von 85 Verwaltungsgebieten der Russischen Föderation die Neuinfektionen deutlich gestiegen. Popowa warnte vor einem neuen Ansturm auf Krankenhäuser. In den letzten zwei Wochen sind die Infektionsfälle um ein Viertel gestiegen.

Inzwischen ist das Alter der Erkrankten deutlich gesunken. 80 Prozent sind unter 50 Jahre alt. Auch Präsident Wladimir Putins Pressesprecher, Dmitrij Peskow, schloss sich den Warnungen der Gesundheitsbehörde an. Für Nichtgeimpfte dürfte die Lage bald „unangenehmer“ werden, meinte Peskow. Manche Beobachter verstanden das als Aufforderung an die lokalen Behörden, die selbständig über den Umgang mit Covid-19 entscheiden können.

Druck auf Nichtgeimpfte nimmt zu

Im Frühjahr 2020 hatte der Kreml die Zuständigkeit für die Pandemie an die Regionen verwiesen. Moskau möchte nicht als Impfexekutor erscheinen. Mittlerweile appelliert der Kreml an die „besondere Autorität“ der Regionen. Der Druck auf Nichtgeimpfte nimmt zu. In sechs Regionen verlangen Restaurants und kulturelle Einrichtungen wieder den Nachweis eines QR-Codes. In Samara und Uljanowsk in der Wolgaregion, in Perm im Ural und in Udmurtien.

Erstmals gab es auch Hinweise, dass die Behörden Einkaufszentren kontrollierten und Geldstrafen verhängten. Geschäfte können bei Verstößen bis zu 90 Tage geschlossen werden. Wer als Kunde keine Maske trägt, muss mit einer höheren Buße rechnen. Der Umgang mit Schutzmaßnahmen ist in Russland ziemlich lax und fahrlässig. Masken werden in Geschäften und der U-Bahn als Kinnschutz getragen.

Vergangene Woche tauchte auch Wladimir Putin aus der Selbstisolation wieder auf, in die er sich vor zwei Wochen begeben hatte. Dutzende Mitarbeiter seien in seinem Umfeld infiziert gewesen, hieß es. Putin kehrte anlässlich des Besuchs des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoĝan ins Leben zurück. „Ich habe viele Antikörper“, empfing Putin den Gast aus Ankara. So um die 15,16, sagte Putin auf Nachfrage. „Ich über 1100“, meinte Erdogan. Das habe wohl mit unterschiedlichen Zählweisen zu tun, lachte Putin.

Der Präsident weiß, wovon er spricht.

Probleme gibt es auch bei der Berechnung der Gesamtopfer der Pandemie. Wissenschaftler gehen von der Übersterblichkeit als Richtmaß aus. Das wären in Russland in der Pandemiephase 624.000 bis Ende Juli gewesen. Die offiziellen Angaben liegen jedoch bei 200.000.

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