TU Hamburg verbietet Aushang: Kein Platz für Marx und Engels
Die TU untersagt ein Werbeplakat für eine kritische Diskussion über die Ausrichtung der Physik. Die Leitung findet, die Veranstaltung sei zu politisch.
Das Plakat zeigt einen nächtlichen Himmel, davor sitzt ein Mensch mit Lampe. „Selbstorganisation der Materie“, ist zu lesen. „Zur Rolle der dialektischen materialistischen Methode und Weltanschauung in der Herausbildung einer Entwicklungstheorie der Materie“. Der Physiker Christian Jooß von der Uni Göttingen spricht am 17. November in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften über sein Buch.
Eingeladen hat Ulrich Fritsche, Doktor der Biologie und bereits Rentner. Er organisiert einen kleinen „Gesprächskreis Dialektik und Materialismus“. Das sei eine Art „Graswurzel-Initiative“, sagt er, die in loser Reihe zum kritischen Dialog über Naturwissenschaften lädt. Diesmal geht es unter anderem um die Urknall-Hypothese und die aufwändige Forschung, um diese zu beweisen.
Fritsche erhielt am nächsten Tag einen Anruf von der Sekretärin des Kanzlers. Ob er eine Genehmigung fürs Plakat-Anbringen habe. Die TUHH sei seit den Terroranschlägen am 11. September vorsichtig und kontrolliere genau. Fritsche beantragte eine Genehmigung. Sie wurde abgelehnt.
Stabsstelle Arbeitssicherheit
Denn die TUHH hat eine Stabsstelle Arbeitssicherheit und die hat gegoogelt. Fritsches Kreis hat keine Homepage. Aber er wird erwähnt auf der Seite der „Marx-Engels-Stiftung“ in Wuppertal. Der Stabsstelle sei aufgefallen, dass Fritsches Club der Stiftung „unterliegt und wir an der TUHH keine politischen Vereine unterstützen“, so die Ablehnung.
Fritsche nimmt sich einen Anwalt, Rolf Geffken. „Mein Mandant ,unterliegt’ nicht der Marx-Engels-Stifung“, das sei Unsinn, kontert dieser in einem Brief an den Kanzler. Abgesehen davon, handle es sich bei der Marx-Engels-Stiftung um eine anerkannte wissenschaftliche Vereinigung, deren Ziel die Erforschung des Werks von Marx und Engels und dessen „geschichtlicher Wirksamkeit“ sei. So begründeten sie die Wissenschaftsphilosophie des „Dialektischen Materialismus“. Die TUHH sei verpflichtet, solche Anträge sorgfältig zu prüfen und nicht pauschal abzulehnen, weil ihr die Richtung nicht gefiele.
Es folgte eine Reihe von Protestbriefen. So schrieb der Psychologe Wolfgang Jantzen an die TUHH, er fände es bedauerlich, „wenn ausgerechnet im Jahr des 200sten Geburtstags von Karl Marx, der weltweit zunehmend an Bedeutung als Philosoph und Ökonom erfährt, Ihre Universität bei ihrer Haltung bliebe“. Andere fühlten sich an das KPD-Verbot von 1956 und den kalten Krieg erinnert. Und der Linke Martin Dolzer mahnt Wissenschafts- und Meinungsfreiheit an.
Eilverfahren vor Gericht
Man gehe davon aus, dass es sich um eine Veranstaltung „mit ausgeprägtem (allgemein)-politischem Inhalt handelt“, hält TUHH-Sprecher Rüdiger Bendlin entgegen. Die TUHH verfolge nun mal „selbst das Gebot der Neutralität im Bezug auf politische und religiöse Themen“. Auch Bendlin führt an, dass besagte Marx-Engels-Stiftung auf ihrer Seite von „Zusammenarbeit“ mit den Veranstaltern schreibt.
Die Sache ging im Eilverfahren vor Gericht, wo die TUHH auch ein Solidaritätsflugblatt linker Gruppen als Beleg für den politischen Charakter anführt. Hätten andere Unis dieses Plakat erlaubt, hätten sie womöglich den politischen Aspekt gar nicht gesehen.
Das Verwaltungsgericht lehnte nun am Freitag einen Eilantrag Fritsches ab und gab der Hochschule recht. Es sei deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass „insbesondere (allgemein-)politischer Disput aus dem Raum der Hochschule ferngehalten wird“.
Fritsche hält dagegen, dass es eine unpolitische Wissenschaft nicht gebe. Auch Naturwissenschaft sei „hochpolitisch“.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung