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Syrischer Geflüchteter bei TeslaKarims langer Weg zur Schicht

Unser Autor nahm 2016 einen jungen syrischen Geflüchteten bei sich auf. Der hilft mittlerweile mit, das Tesla-Werk in Brandenburg am Laufen zu halten.

Läuft hier: Tesla-Mitarbeitende am Band in Grünheide Foto: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Wie soll ich Karim nennen? Meistens sage ich „unser ehemaliger Flüchtling“, wenn ich von ihm erzähle. Jetzt hält er das Land am Laufen.

Wir treffen uns auf einem Gleis des Bahnhofs Ostkreuz in Berlin, wo die Regionalzüge nach Brandenburg abfahren. Karim, der eigentlich anders heißt, trägt eine graue Arbeitshose und feste Schuhe, unter der Regenjacke baumelt die Einlasskarte der Firma. Basecap mit Schirm nach hinten, Bart und Augenbrauen dunkel, er guckt wie immer ein bisschen finster. „Zur Arbeit jetzt, Scheiße“, sagt er, und dann: „Ich liebe meine Arbeit.“

Im Zug fällt mir auf, dass einige der Passagiere ihre Schuhe ebenfalls mit roten Schnürsenkeln binden, wie Karim. Die gehören zur Arbeitsuniform des US-amerikanischen Autoherstellers Tesla. Eine halbe Stunde später hält der Zug in Fangschleuse, einem Dorf hinter der Berliner Stadtgrenze. Auf dem schmalen Bahnsteig drängeln sich nun zahlreiche junge Männer, die dasselbe tragen wie Karim. Sie streben zur Bushaltestelle. Zwei Gelenkbusse kommen. Im Nu sind sie voll. Es müssen an die 200 Arbeiter sein, die alle möglichen Sprachen sprechen, die meisten wohl zwischen 25 und 35 Jahren alt.

Ein paar Minuten später an den Werkstoren treffen weitere Busse aus anderen Orten ein. Die jungen Leute drängeln sich durch die Drehkreuze auf das Fabrikgelände. Fast 14 Uhr: Gleich geht die Spätschicht los in Grünheide, wo Tesla Tag und Nacht seine Elektroautos baut.

Höhere Zäune trotz Mangel an Arbeitskräften

Zurzeit läuft wieder eine hitzige Debatte darüber, ob nicht zu viele Einwanderer nach Deutschland kommen. Manche Po­li­ti­ke­r:in­nen überbieten sich mit Forderungen, die Zahl der Ankommenden zu verringern. Während die Europäische Union höhere Zäune baut, herrscht hierzulande ein zunehmender Mangel an Arbeitskräften. Deshalb verlangt etwa der Deutsche Städte- und Gemeindebund, Geflüchtete sollten schneller Jobs annehmen dürfen, anstatt untätig herumzusitzen. Karims Geschichte ist ein Beispiel, wie Einwanderung, die viele als Problem empfinden, am Ende funktionieren kann.

2016 kam Karim in meiner Familie an, aus dem Krieg in Syrien, auf der Flucht vor dem Islamischen Staat, seine Eltern tot, das Haus zerstört. Meine Tochter hatte ihn nachts in einem Club kennengelernt. Ihm zu helfen schien nötig. Wir nahmen ihn bei uns auf und versuchten, seinen Weg zu ebnen: Bürokratie, Papiere, Geld, Wohnung, Sprachkurs, ein bisschen Aufgehobensein. Er war oft müde, depressiv, ließ sich hängen, lag tagelang im Bett. Jedenfalls sahen wir das so. Sein Hineinfinden ins neue Leben im kalten Berlin ging uns nicht schnell genug. Wir waren überfordert.

Nach einem knappen Jahr verschafften wir ihm woanders ein Zimmer, in das er zuerst nicht einziehen wollte. Er krallte sich an uns fest. Ich schrieb damals in der taz über unsere Kämpfe mit ihm. Der Artikel „Karim, ich muss dich abschieben“ erschien 2017.

Danach ging es auf und ab. Manchmal strandete er fast auf der Straße – bis ein deutscher Freund eine kleine Wohnung für ihn fand, in der Karim sich wohlfühlte. Allmählich kam er auf die Füße. Diese Zeit ist beschrieben im Artikel „Sein Name an der Tür“ von 2019.

Karim rettete mich

Später erzählte mir Karim, dass er einen Job gefunden habe in einer Filiale der Modekette Zara. Ich holte ihn dort ab: Nun war er einer der hippen Großstädter mit trickreich gefrästen Bärten, die Tou­ris­t:in­nen aus aller Welt bedienten. Er lud mich nach Neukölln in sein arabisches Lieblingsrestaurant ein. Sein Deutsch wurde besser, wir unterhielten uns, hatten Spaß.

Einmal trafen wir uns nachts zufällig vor einem Club. Ich gehörte da eigentlich nicht mehr hin. Nach zwei Stunden Anstehen hätte mich die Türsteherin beinahe nach Hause geschickt. Karim rettete mich. Ohne ihn und seine Freunde, die den alten Mann adoptierten, wäre ich nicht reingekommen.

wochentaz

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Und jetzt Tesla. Ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit allem Drum und Dran. Karim arbeitet am Band. In einer Schicht von acht Stunden müssen er und sein Team ungefähr 300 Fahrzeuge bearbeiten. Das bedeutet anderthalb Minuten Zeit, um die jeweiligen Teile einzubauen. Das ist harte, oft stressige Arbeit. Dafür bekommt Karim monatlich 2.200 Euro netto überwiesen.

Das entspricht nach Angaben der Industriegewerkschaft Metall nicht dem Tarifgehalt. Für Karim bedeutet diese Bezahlung jedoch, dass er im deutschen Lebensstandard angekommen ist. Flucht- und Bittstellerstatus sind zu Ende. Per Whatsapp schreibt er mir: „Jetzt habe ich guten Job.“ Dann schickt er das listige Emoji mit der Sonnenbrille. „Ich bin auf der Suche neue Wohnung. Und will auch Familie machen vielleicht.“

Plötzlich hat er kaum mehr Zeit

Manchen anderen in seinem Team geht es ähnlich. Mit zwei Deutschen arbeitet er zusammen, sagt Karim, außerdem mit acht Kollegen die Migrationshintergrund hätten, aber hier geboren seien. Und dann gäbe es noch die fünf jungen Männer, die wie er selbst seit 2015 eingetroffen seien, aus Afghanistan, Irak, Syrien. Das örtliche Büro der IG Metall berichtet, dass in den Beratungen „viele verschiedene Sprachen“ zu hören seien: Polnisch, Tschechisch oder auch Ukrainisch, Letzteres sprechen die neuen Kriegsflüchtlinge. Die migrantischen Arbeiter tragen einen guten Teil dazu bei, Tesla am Laufen zu halten. Ohne sie würde das Werk nicht funktionieren.

Im Vergleich zu Benzinfahrzeugen seien die Elektro­autos von Tesla „gut für die Umwelt“, findet Karim. Außerdem meint er, dass Firmenchef Elon Musk „ein sehr kluger Mensch ist und sorgfältig nachdenkt, bevor er etwas unternimmt“. Die Einschätzungen über Musk und sein Unternehmen gehen weit auseinander. So berichtete der Stern kürzlich über viele Arbeitsunfälle und diverse Ökohavarien in Grünheide.

Karim zu sehen, ist nun nicht mehr so einfach wie früher. Er hat jetzt einen eigenen Plan. Monatelang versuchen wir, einen Termin zu finden. Ist ein Treffen verabredet, kommt kurz vorher eine Whatsapp: „Keine Zeit, Arbeit macht mich richtig fertig.“ Beim nächsten Mal: „Freitag kann ich nicht. Müssen länger arbeiten, sagt Chef.“ Nervig, aber normal. Dann klappt es doch, in einem Schawarma-Grill in Kreuzberg. Karim kommt vorbei auf dem Weg zur nächsten Schicht. An der Theke bestellt er auf Arabisch. Er wählt aus den Speisen, die hinter der Glasscheibe auf der linken Seite der Auslage warten, rechts lässt er weg. Dort liegt das Gemüse. Er bestellt einen Riesenteller und bezahlt für mich mit.

Beim Essen zeigt er ein Video. Holztisch, drumherum stämmige Jungs mit breiten Schultern und rasierten Nacken. Armdrücken, Karim gewinnt, großes Palaver. Ein deutscher Kollege habe ihn zum Grillen in den Garten eingeladen, erzählt er, „guter Mann“. Kürzlich verbrachte er mit einem Freund und dessen Mutter eine Urlaubswoche in Slowenien. Mit seinen Verwandten in Syrien telefoniert Karim kaum noch. Von dort gebe es fast nur schlechte Nachrichten, die wolle er sich vom Hals halten. Hier sei das Leben erfreulicher. Vermutlich wird es sehr lange dauern, bis er wieder in seine Heimat reisen kann, wenn überhaupt. Er hat Angst, dass sie ihn dort zum Militär einziehen und nicht mehr rauslassen.

Für Januar 2024 habe er einen Termin beim Amt, berichtet er, um sich für den deutschen Pass zu bewerben. Dafür muss er unter anderem Deutschkenntnisse auf B2-Niveau nachweisen. Das ist die vierte von sechs Stufen beim Spracherwerb. „Das schaffe ich“, sagt Karim. Kann gut sein, dass er Recht behält.

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