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Syrische Rebellen in Ost-GhoutaSie sollen abziehen

Russland bietet syrischen Rebellen im Umland der Hauptstadt freies Geleit durch einen Korridor. Nahe Idlib sind Auffanglager für 170.000 Menschen geplant.

Verlassen und zerstört: Die Stadt Duma wird derzeit belagert Foto: reuters

Moskau/Ankara/Beirut rtr | In Syrien steuern die Gegner von Präsident Baschar al-Assad auf die zweite schwere Niederlage seit dem Fall der Metropole Aleppo Ende 2016 zu. Russland bot den Rebellen und ihren Familien am Dienstag den sicheren Abzug aus Ost-Ghuta an, die letzte Hochburg der Aufständischen vor den Toren von Damaskus.

Die Rebellen warfen der Regierung in Moskau vor, die Bevölkerung aus dem Umland der Hauptstadt vertreiben zu wollen. Über die Zukunft Syriens wollen Russland, der Iran und die Türkei im kommenden Monat beraten.

Russland garantiere den Kämpfern und ihren Familien freies Geleit durch einen Korridor, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Die Männer dürften persönliche Waffen mitnehmen. Ein Ziel wurde nicht genannt.

Bei früheren Abkommen wurde den Rebellen die Flucht in andere, von Assad-Gegnern beherrschte Gebiete gestattet. Beobachter gehen davon aus, dass die Rebellen aus Ost-Ghouta in Gebiete nahe der türkischen Grenze im Norden Syriens ziehen dürfen.

In Kreisen türkischer Diplomaten hieß es, es sollten Flüchtlingslager für 170.000 Menschen an neun Standorten in der Umgebung von Idlib im Nordwesten Syriens errichtet werden. Weitere Auffanglager seien weiter östlich im Norden Syriens geplant. Ob ein Zusammenhang mit dem Angebot Russlands besteht, blieb offen. Die Türkei hatte vor sechs Wochen eine Offensive gegen die kurdische Miliz YPG in der Region Afrin im Norden Syrien gestartet.

780 Menschen seit Februar getötet

Russland setzt mit dem Angebot auf eine Taktik, die seit dem Kriegseintritt des russischen Militärs an der Seite Assads 2015 bereits mehrmals erfolgreich eingesetzt wurde. Zunächst werden Gebiete der Aufständischen eingekreist und aus der Luft bombardiert. Darauf folgen Bodenoffensiven, die die Rebellen zwingen, Angebote zur Aufgabe und freies Geleit anzunehmen. Nach diesem Schema war auch der Großraum Aleppo eingenommen worden, eines der wichtigsten Rebellengebiete.

Den Truppen Assads und ihren Verbündeten ist es bislang gelungen, ein Drittel von Ost-Ghouta zu erobern. Zudem läuft die Rebellen-Enklave Gefahr, in zwei Teile gespalten zu werden. In der Region leben nach Angaben der UN rund 400.000 Menschen. Nach Angaben der oppositionellen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind seit dem 18. Februar durch Luftangriffe 780 Menschen getötet worden.

„Moskau besteht auf einer militärischen Eskalation und will eine Vertreibung durchsetzen“, sagte der Sprecher der Rebellengruppe Failak al-Rahman, Wael Alwan, zu Reuters. Sollte das landwirtschaftlich geprägte Ost-Ghouta, in dem mehrere Ortschaften liegen, für die Rebellen verloren gehen, hätte sie auch keine Möglichkeiten mehr, Damaskus direkt anzugreifen.

Die beiden Verbündeten Assads, der Iran und Russland, wollen zusammen mit der Türkei die Neuordnung Syriens auf einem Gipfeltreffen im April vorantreiben. Daran würden die Präsidenten Russlands, der Türkei und des Iran, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan sowie Hassan Ruhani, teilnehmen, erklärte ein Sprecher des türkischen Außenministeriums.

Bereits nächste Woche werde der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach Moskau reisen und eine Woche darauf in die USA. Die USA beschränken sich in Syrien im wesentlichen auf den Kampf gegen die Extremisten-Miliz Islamischer Staat, lehnen aber ebenso wie die Türkei Assad ab.

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11 Kommentare

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  • Im Zentrum der zwei bis drei Kilometer tief im von Terroristen beherrschten Gebiet in Ost-Ghouta liegenden Ortschaft Hamouriya haben Einwohner am heutigen Dienstag die syrische Fahne gehisst.

    Gegenüber einem syrischen TV-Sender erklärte einer der Organisatoren in Hamouriyah dazu, dass die Bewohner der Ortschaft die Terroristen leid sind und wollen, dass die syrische Armee die Kontrolle über den Ort übernimmt. Im benachbarten Saqba zogen Leute mit syrischen Fahnen durch die Straßen des Ortes. Die Ereignisse lassen hoffen, dass die Herrschaft der Terroristen kollabiert und die Einnahme dieser und vielleicht auch anderer Orte in Ost-Ghouta weitgehend kampflos verlaufen kann. - WIE "denkt" also ost ghouta????

  • In Aleppo sprachen die UN von 250.000 eingeschlossenen Zivilisten. Am Ende waren es 92.000, von denen sich nur ein Bruchteil per Bus nach Idlib evakuieren ließ (wahrscheinlich weil der Rest sie sonst gelyncht hätte).

     

    Auf Ost-Ghouta übertragen, kann man hier wohl statt von 400.000 von vielleicht 150.000 Eingeschlossenen ausgehen, die natürlich in der Mehrheit keine islamistischen Kämpfer, Angehörige oder Kollaborateure sind.

    Wozu also in Idlib ein Auffanglager für 170.000 Menschen geschaffen wird, ist erst einmal unklar. Möglicherweise will die türkische Regierung die Lager auf ihrem Staatsgebiet verkleinern.

  • Nachdem die Bild-Zeitung heute mit großformatigen Artikeln und Bildern wegen Syrien auf die Russen eingeschlagen hat, werde diese sich sicherlich zurückziehen... im Ernst: es ist unglaublich, wie sich die meisten deutschen Medien auf die Seite Terroristen schlagen. Jetzt besteht aber die Hoffnung, dass der Krieg nicht mehr lange weitergeht. Das kann man im Sinne der Opfer nur begrüßen.

  • "Sollte das landwirtschaftlich geprägte Ost-Ghouta, in dem mehrere Ortschaften liegen, für die Rebellen verloren gehen, hätte sie auch keine Möglichkeiten mehr, Damaskus direkt anzugreifen."

     

    Ohne Worte. Dann ist das syrisch-russische Vorgehen ja wohl gerechtfertigt.

  • "...hätte sie auch keine Möglichkeiten mehr, Damaskus direkt anzugreifen."

    Die Einwohner von Damaskus werdens verschmerzen können.

  • Das Kalkül von Assad und Moskau ist, dass sich die Dschihadistenbanden gegenseitig an die Gurgel gehen, wenn sie erstmal in einem geografischen Gebiet miteinander eingepfercht sind. Und dieses Kalkül fängt an aufzugehen: https://en.m.wikipedia.org/wiki/Syrian_Liberation_Front%E2%80%93Tahrir_al-Sham_conflict

    • @El-ahrairah:

      Das läuft doch schon länger so.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Dass sich alle anderen gegen Hetesh verbünden ist neu.

    • @El-ahrairah:

      Wenn sie sich nur gegenseitig an die Gurgel gehen würden, wäre es ja nur halb so schlimm.

       

      Blöderweise gehen sie nun zusammen mit der Türkei auch den Kurden an die Gurgel.