Syrisch-türkische Beziehungen: Tauwetter im Sinne Putins
Syriens Diktator Assad und der türkische Präsident Erdoğan nähern sich an. Vor einer echten Verständigung sind aber komplexe Fragen zu klären.
Putin drängt Erdoğan seit Langem, sich mit Assad zu verständigen, um weitere kriegerische Auseinandersetzungen in Syrien zu verhindern. In einem ersten Schritt hatten sich vor zwei Wochen der türkische und der syrische Verteidigungsminister in Moskau getroffen, nun hat Russlands Außenminister Sergei Lawrow ein baldiges trilaterales Treffen der Außenminister angekündigt. Läuft dieses gut, soll auch ein Treffen auf höchster Ebene stattfinden. Putin will in Moskau direkte Verhandlungen zwischen Assad und Erdoğan moderieren.
Die Pläne sind Putins Alternative zu Erdoğans angedrohtem Einmarsch in Nordsyrien. Zwar wäre Assad von einer erneuten türkischen Invasion nur mittelbar betroffen, weil das Gebiet, das Erdoğan im Nordosten Syriens besetzen will, von den syrischen Kurden der DYP mit ihrer YPG-Miliz kontrolliert wird. Doch ein erneuter türkischer Einmarsch würde Syrien insgesamt destabilisieren und das derzeit fragile Gleichgewicht im Land infrage stellen. Außerdem will Assad auf längere Sicht wieder die Kontrolle über das gesamte syrische Staatsgebiet erlangen, statt Teile des Landes mit der Türkei teilen zu müssen.
Doch eine Vereinbarung zwischen Erdoğan und Assad bleibt schwierig – nicht nur weil beide Seiten jahrelang erbittert gegeneinander gekämpft haben, sondern auch weil die dabei zu lösenden Probleme hochkomplex sind.
Drei Schritte müssen erfüllt sein für ein Treffen
Damit Erdoğan auf ein Treffen eingehen kann, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss Assad eine sichere Rückkehrmöglichkeit für mindestens einen Teil der knapp vier Millionen syrischer Flüchtlinge schaffen, die teils seit Jahren in der Türkei leben.
Zweitens muss Assad Garantien für Erdoğans syrische Partner geben, also für verschiedene sunnitisch-islamistische Organisationen, die an der Seite der türkischen Armee gekämpft haben und jetzt in den von der Türkei kontrollierten Gebieten in Nordsyrien eine wichtige Rolle spielen.
Drittens muss Assad dafür sorgen, dass in Nordsyrien kein kurdischer De-facto-Staat wie im Nordirak entsteht, denn die türkische Seite geht davon aus, dass einen solchen die PKK kontrollieren würde.
Für Assad wiederum wäre eine Vereinbarung mit der Türkei nur attraktiv, wenn er die Kontrolle über die nordwestliche Provinz Idlib zurückbekommt, den letzten Zipfel Syriens, der noch mit türkischer Unterstützung von bewaffneten Aufständischen kontrolliert wird, die einst Assad stürzen wollten.
Schon jetzt gibt es Proteste bei Erdoğans syrischen Verbündeten. Sie haben Angst, die Türkei könnte sie fallen lassen. Erdoğan ist zwar nicht dafür bekannt, besondere Skrupel bei politischen Schwenks zu haben, aber er müsste sich überlegen, welchen Eindruck ein „Verrat“ an seinen bisherigen Verbündeten in der arabischen Welt machen würde.
Noch größer aber dürfte Erdoğans Angst sein, dass bei einem Deal mit Assad über Idlib Tausende syrische Familien, die vor Assads Armee dorthin geflohen sind, erneut fliehen würden und dann versuchen würden, sich in der Türkei in Sicherheit zu bringen. Insbesondere vor der für den 14. Mai geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei sind neue syrische Flüchtlinge das Letzte, was Erdoğan will.
Es ist Wahlkampf in der Türkei
Im Gegenteil: Sein wichtigstes Anliegen bei möglichen Gesprächen mit Assad wäre, dass Bedingungen geschaffen werden, die es syrischen Flüchtlingen ermöglichen, aus der Türkei nach Syrien zurückzugehen. Eines der Hauptthemen im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf ist die Rückkehr der Flüchtlinge. Je schlechter es vielen Türken wirtschaftlich geht, desto stärker wird die Abneigung gegen die Millionen Flüchtlinge, die ihnen angeblich die Jobs wegnehmen und darüber hinaus auch noch staatliche Unterstützung beziehen.
Die türkische Opposition hat deswegen bereits angekündigt, nach einem Wahlsieg gleich das Gespräch mit Assad zu suchen, um eine „Rückführung“ der Flüchtlinge zu ermöglichen. Erdoğan steht im Wahlkampf mit dem Rücken zur Wand und braucht deshalb unbedingt eine eigene Perspektive, um wenigstens einen Teil der Flüchtlinge wieder zurückschicken zu können. Sein ursprünglich geplanter Einmarsch in Nordsyrien sollte ja nicht nur dazu dienen, die Kurden aus einer 30 Kilometer breiten Pufferzone entlang der Grenze auf syrischem Gebiet zurückzudrängen, sondern sollte in diesem Gebiet ausdrücklich auch Platz schaffen für Hunderttausende syrische Flüchtlinge.
Da die Wahlen in der Türkei bereits im Mai stattfinden sollen, dürfte Erdoğan bereit sein, sich schon bald mit seinem Amtskollegen Assad zu treffen. Doch der hat es offenbar weniger eilig. Nach inoffiziellen Informationen aus Ankara steht Assad derzeit noch auf der Bremse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen