Syrien ist Gedöns: Kommt nicht in den Emohaushalt
Syrer, ihr gehört einfach nicht zu uns. Wir haben uns längst entschieden und wir leben länger. Ihr nervt. Geht sterben, aber leise.
Syrien ist Gedöns, na und ob! Man muss sich nur ansehen, wie oft auch dieser kleinen Zeitung das Massensterben eine Seite 1 wert war. Mehr als 10 Finger werden zum Zählen nicht nötig sein. Dabei kümmert sich die taz um das traurige Land so intensiv wie keine andere deutsche Tageszeitung. Wie kann das sein?
Wie kann man die Vernichtung von ehemals 22 Millionen Menschen als Gedöns empfinden? Wir kennen doch die Bilder von der Apokalypse Now in Homs und Aleppo. Es fehlt auch nicht an bestürzten Kommentaren, inzwischen werden solche sogar in den Staatsmedien ZDF und ARD verlesen. Aber das ändert nichts. Syrien bleibt Gedöns. Denn die Syrer gehören nicht zu uns.
Genauso wenig, wie die Tutsi und Hutu in Ruanda damals zu uns gehörten. Da ist die zählende Weltgemeinschaft streng. Da weiß sie, wo die Barbaren sitzen, da zeigt sie feinsinnig und aufgeklärt mit den Fingern auf sie und sagt „Bäh“ und: „Du stirbst allein.“ Und weil Stigmatisierung nun mal kein Selbstläufer ist, sondern die harte Arbeit der Wiederholung verlangt, deshalb haben wir auch keine Zeit mehr, über Humanismusklimbim wie die „Duty to protect“ nachzudenken.
Auch nur nachzudenken. Syrien kommt uns nicht in den Emohaushalt, Syrien bleibt draußen, Schluss! Da können sich die Gutmenschen ruhig die Finger wund tippen, unsere Entscheidung ist längst gefallen, ist nun mal so. Und dass es sich um eine Entscheidung handelt, dass wir in unserer Aufmerksamkeitsökonomie durchaus flexibel sind, das lässt sich an unserem großen Interesse an Da’ash ablesen. (Da’ash ist das despektierliche, in der arabischen Welt gebräuchliche Akronym für das, was wir Westler respektvoll „Islamischen Staat“ nennen.)
Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.
Für die bärtigen Halsabschneider haben wir uns stante pede interessiert. Okay, nicht wirklich gleich stehenden Fußes, aber als die anfingen, Leute von uns vor laufender Videokamera einen Kopf kürzer zu machen, dann schon. Da haben wir hingesehen und uns erregt. Das tun wir noch immer, ab und an.
Blöd nur, dass wir jetzt von einem von uns erfahren müssen, dass die bärtigen Säbelträger gar nicht so fanatisch religiös, also gar nicht so anders sind als wir. Zum Beispiel haben sie sorgsam unsere Stasi-Methoden studiert und waren einst auch gute Freunde der amerikanischen Geheimdienste. Beim Gründer und auch den Kadern handelt(e) es sich um Exmilitärs aus dem Irak. In den marschierten die Amis unter Bush munter ein, ließen Bomben fallen und die Rumsfelds unserer Welt machten reiche Beute.
Fundi-Fassade
Die Frustrierten gaben sich darauf zur Tarnung eine religiöse Fundi-Fassade und setzten vom Koran unbeleckte Tschetschenen und Usbeken ein, um lokale Autoritäten sowie charismatische Demokraten auszuschalten. Das haben Syrer, die vor Da’ash fliehen mussten, uns längst erzählt, also versucht. Doch erst jetzt hören wir hin, vielleicht.
Denn jetzt erfahren wir es durch einen der ganz wenigen westlichen Journalisten, der in den letzten Jahren weiter Syrien bereiste, um weiter mit Syrern vor Ort zu reden. Christoph Reuter vom Spiegel war komischerweise nicht der Ansicht, dass man dem kleinen Araber nicht trauen kann, dem großen Assad aber schon. Und er ist nicht nur Nahost-Experte, sondern, holla, er spricht als einer der wenigen auch absurde Sprachen, Arabisch zum Beispiel.
Und nun hat er mit den Ornigrammen des vor einem Jahr ermordeten Chefs von Da’ash einen kleinen Schatz gehoben. Und damit leider böse gegen unsere Gewissheit verstoßen, dass Da’ash nun mal die Spitze des arabischen Untermenschen ist und dass, wer mit solchen Leuten zu tun hat, die Massenvernichtung schon irgendwie auch verdient.
Wie genau, wissen wir auch nicht. Aber wir Feinsinnigen, wir, die wir die Großwetterlage im Blick behalten müssen und Verantwortung tragen, wir haben anderes zu tun. Afrikaner ertrinken lassen, zum Beispiel. Und selbst das ist nicht mehr so einfach wie früher. Irgendwie wollen auf einmal alle leben. Wie soll das gehen? Es gibt nicht für jeden einen Platz an der Sonne. Und wir sterben hier mit Mitte 80, wir bleiben also noch ein Weilchen. Syrien, das musst du einfach mal einsehen, du nervst wie Hölle. Komm, Syrien, lass uns in Ruhe, geh sterben! Aber leise.
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