Super Recognizer bei der Polizei Berlin: Claudia sieht alles
Die Berliner Polizei will dauerhaft „Super Recognizer“ einsetzen: Menschen, die Gesichter besonders gut wiedererkennen. Sie sollen sogar KI überlegen sein.

„Claudia“ selbst wiederum ist besonders gut darin, Gesichter wiederzuerkennen: Sie ist eine sogenannte Super Recognizerin. Weil sie etwa bei Großveranstaltungen Ausschau nach sogenannten Gefährdern hält, möchte die Polizei verhindern, dass sie dort bemerkt wird. „Vielleicht hat ja auch die Gegenseite Super Recognizer“, argwöhnt der stellvertretende Chef des Berliner Landeskriminalamts (LKA), Stefan Redlich.
Super Recognizer sind Personen, die eine – nachweislich – überdurchschnittliche Fähigkeit zur Gesichtserkennung besitzen. Auch wenn sich die Frisur, der Haarwuchs oder die Gesichtsfülle verändert haben, machen sie bereits bekannte Personen mit hoher Treffsicherheit auch in größeren Gruppen, bei schlechter Beleuchtung oder auf verwackelten Fotos aus. „Was ich sehe, das sehe ich“, sagt „Claudia“ dazu. Es sei ein intuitiver, unbewusster Mechanismus: „Wir liegen eigentlich immer richtig.“
Die Berliner Polizei möchte diese Fähigkeiten nutzen und richtet nun nach zwei Jahren Probelauf dauerhaft eine Dienststelle im LKA mit fünf Super Recognizern ein. Sie unterstützen die übrigen Dienstbereiche der Polizei bei Ermittlungen und Einsätzen.
Wenig Erkenntnisse über Erfolgsquote
Dabei geht es vor allem darum, Videoaufnahmen von Straftaten auszuwerten und bekannte Personen zu identifizieren – oder zu entdecken, dass es sich bei verschiedenen Taten um dieselbe Person handelt. Im Außeneinsatz suchen die Spezialkräfte in Menschenmengen nach Personen, gegen die Auflagen vorliegen. So waren sie etwa während der Fußball-EM 2024 am Eingang der Fanzonen postiert und hielten Ausschau nach polizeibekannten Hooligans.
Das habe sich bewährt, bilanziert am Mittwoch Ann-Cathrin Spranger-Rittmann, stellvertretende Dezernatsleiterin beim LKA, die an der Entwicklung der neuen Einheit mitgewirkt hat. „Mit dem Einsatz von Super Recognizern können wir Einsätze deutlich effizienter gestalten.“ Das zeige auch die anhaltend hohe Nachfrage nach den Kolleg*innen: Im vergangenen Jahr habe es durchschnittlich 94 Aufträge im Monat an die Dienststelle gegeben. Von Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Kapitaldelikten sei alles dabei gewesen.
Der Effekt ihres Einsatzes ist dabei nur schwer messbar. Laut einer Senatsantwort auf eine Grünen-Anfrage aus dem Jahr 2024 gilt jeder abgeschlossene Auftrag als Erfolg: egal, ob dabei jemand identifiziert oder Ähnlichkeit festgestellt wurden – oder potenzielle Tatverdächtige ausgeschlossen wurden.
„KI stellt keine Konkurrenz dar“
Für Spranger-Rittmann steht dennoch fest, dass die Super Recognizer bei Einsätzen mehr Nutzen für die Polizei haben als Gesichtserkennung mittels künstlicher Intelligenz (KI). „Bei operativen Einsatzlagen stellt KI keine Konkurrenz dar für die Fähigkeiten der Super Recognizer“, so die LKA-Beamtin. Das liegt allerdings nicht nur am Stand der Technik, sondern auch an der derzeitigen Rechtslage, die anlasslose Videoüberwachung und automatisierte Live-Auswertung verbietet.
Beim zweiten Einsatzbereich der Spezialkräfte, den Ermittlungen nach Straftaten, ergänzen sie oft softwarebasierte Erkennungsverfahren. Letztere sortieren vor allem Gesichter aus, die nicht gesucht werden, stoßen bei Aufnahmen in schlechter Qualität aber früh an ihre Grenzen.
Dass es in der Hauptstadt jetzt die LKA-Dienststelle gibt, ist das Ergebnis eines jahrelangen Forschungs- und Testzeitraums, in dem die Berliner Polizei unter anderem eng mit der Schweizer Neurowissenschaftlerin Meike Ramon zusammengearbeitet hat. Dabei ging es auch darum, valide Kriterien zu entwickeln, nach denen Super Recognizer identifiziert werden können.
Seitenhieb gegen die Konkurrenz
Auf das Ergebnis, den als eingetragene Marke geschützten Test „beSure“, ist man ziemlich stolz. „Wir haben den weltweit einzigen wissenschaftlichen Test mit authentischem Material aus erkennungsdienstlicher Behandlung und Fahndung erarbeitet“, sagt Ramon am Mittwoch auf dem Podium. Bei der Berliner Polizei haben ihn 1.500 Beamt*innen durchlaufen. 22 Super Recognizer wurden identifiziert, darunter die fünf, die nun in der Dienststelle arbeiten.
In Ramons Aussage verbirgt sich auch ein Seitenhieb gegen die Konkurrenz. Denn auch in sechs weiteren Bundesländern – Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg – sowie der bei Bundespolizei werden Super Recognizer eingesetzt. Eine umfassende taz-Recherche aus dem Jahr 2023 hat jedoch Zweifel an dem Auswahlverfahren geweckt, das in den meisten Ländern angewendet wird – und damit auch an der Eignung der Spezialkräfte.
Am Mittwoch erneuert Ramon ihre Kritik an dem Testverfahren in anderen Bundesländern. Die Prozesse seien nicht veröffentlicht worden, es habe kein Peer-Review-Verfahren gegeben; die Ergebnisse seien so nicht reproduzierbar: „Wesentliche Kernaspekte der Wissenschaft sind in diesem Verfahren nicht gegeben“, so die Forscherin.
Derzeit arbeiten Ramon und ihr Team an einer Neuauflage des Tests, damit dieser auch für andere Bundesländer einsetzbar ist; bislang sei das aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Polizei NRW habe großes Interesse, auch in Rheinland-Pfalz gab es in der Vergangenheit eine Kooperation mit der Wissenschaftlerin.
Unterdessen sei weitere Forschung zu den Fähigkeiten und Grenzen von Super Recognizern notwendig, betont Ramon. Wenig bekannt ist etwa über den sogenannten Other-Ethnicity-Effekt. Demnach funktioniert die Erkennung besser, je vertrauter Gesichtszüge sind: Weiße erkennen am besten Weiße. Doch dazu gibt es bislang erst zwei Studien, deren Ergebnisse sich widersprechen.
Mitarbeit: Katharina Andresen
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