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Supalife Kiosk in Prenzlauer BergAnalog statt Photoshop

Der Supalife Kiosk in Prenzlauer Berg versteht sich als Plattform für die Kunst- und Siebdruckszene. Der Freiraum feierte nun sein 20-jähriges Jubiläum.

Das Sieb kommt nicht aus der Mode: Supalife-Mitbegründerin Gabriele Zygor Foto: Andreas Hergeth

Berlin taz | Mist. Das Bild des Monats ist schon längst ausverkauft, man hätte online viel schneller zuschlagen sollen. Aber es gab ja lediglich 20 nummerierte und signierte Exemplare. „Tulpe“ zeigt eben diese Frühlingsblume in einer 1970er-Jahre-mäßigen Blumenvase mit viel Dekor, es handelt sich um einen Schablonendruck in drei Farben von Martin Krusche.

Hier im Supalife Kiosk findet man viele handgedruckte, nummerierte und signierte Siebdruckarbeiten in einer Preispanne von 40 bis 400 Euro. Ideale Weihnachtsgeschenke.

Krusche lebt und arbeitet seit 2003 in Berlin. Er mag es „oldschool“ und arbeitet am liebsten analog mit Stift, Tinte, Pinsel und Papier. Er zeichnet, malt, klebt, sprüht, druckt. Krusches Arbeiten entstehen in Kleinstauflagen und sind von der Vorlage bis zum Druck selbst gemacht. Damit passen sie gut zum Supalife Kiosk, der am vergangenen Wochenende ausgiebig sein 20-jähriges Jubiläum feierte.

Der Supalife Kiosk in der Raumerstraße 40, mitten in Prenzlauer Berg nahe dem Helmholtzplatz gelegen, präsentiert seit 2004 Künst­le­r:in­nen aus den Bereichen Urban Art, Grafikdesign, Illustration und Comic. Der Laden versteht sich als Galerie und Plattform für die Berliner Grafik-, Illustrations- und Siebdruckszene und dient als Schnittstelle zu einem kunstinteressierten, internationalen Publikum. Es gibt sechs bis acht Ausstellungen pro Jahr, allesamt ehrenamtlich organisiert. Der Kiosk bietet regelmäßig Siebdruck- und Holzschnittworkshops an.

Eine neue Edition zum Jubiläum

Am Samstagabend wurde die Jubiläumsausstellung eröffnet, im hinteren Raum gibt es eine „bunte Wand“ mit einigen Arbeiten aus den Editionen der letzten Jahre zu sehen. Nicht alle, dafür ist nicht genug Platz. Es dürften 40 oder 50 Künst­le­r:in­nen sein, die sich in all den Jahren an den Editionen beteiligten. So genau weiß das niemand. „Wir müssten erst nachzählen“, sagt Supalife-Mitbegründerin Gabriele Zygor.

Bis Anfang des neuen Jahres sind die Arbeiten zu sehen. Darunter auch drei Arbeiten von Streetartist EVOL, der mit seinen Stencils (Schablonenkunst) von Plattenbauten in Ostberlin international bekannt wurde.

Seit Samstag ist auch die neue Supalife-Edition zu sehen: Zum Jubiläum wurden Künst­le­r:in­nen gebeten, das Äußere des Supalife Kiosk, also die Ladenfront, abzubilden.

Beim Jubiläum wurde bis in den Morgen hinein gefeiert, sagt Gabriele Zygor, „wir hatten ein volles Haus“, als sie am Sonntagnachmittag zusammen mit anderen aufräumt. „Auch alle aus der alten Gruppe waren da.“ Zygor gehört selbst dazu, deshalb kann sie gut von den Anfängen erzählen. Zur Gründungsgruppe gehörten noch sechs weitere Mitstreiter:innen.

Fördern, Vernetzen, Pushen

Die Geschichte nimmt schon vor 25 Jahren ihren Lauf. 1999 studiert Gabriele Zygor an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft und Berlin (FHTW). „Damals noch an der Warschauer Straße“, erzählt Zygor, sie hatte sich für Kommunikationsdesign entschieden.

„Als das Diplom näher rückte, entwickelte sich bei uns das Bedürfnis nach einem Raum für die Präsentation unserer Diplomarbeitsergebnisse. 1999 hat die Zukunft angefangen“, sagt Zygor lachend. Zusammen haben die sieben Künst­le­r:in­nen einen der ersten Projektläden im Kiez aufgemacht, in der Raumerstraße, in einer leerstehenden 2-Zimmer-Wohnung, die früher schon mal ein Laden war. Und jetzt wieder: nur eben für Kunst.

Zygor selbst hat mit dem Siebdruckprojekt „Flüstertüte“ ihr Diplom erreicht. Das war eine mit Siebdruck bedruckte große Papiertüte, die sie an Passanten verschenkte, damit diese ihre Einkaufsplastiktüten, die damals noch in rauen Mengen verwendet wurden, hineinstecken konnten. Das waren Papiertüten mit Zeilen bedruckt wie „Leben nicht vergessen!?“ und „Liebe!?“ oder „Zusammensein!?“, die über die Markenbotschaften gestülpt werden konnten.

Wir sind mit die Einzigen, die im Kiez überlebt haben

Gabriele Zygor

Sie tauften den Laden „Filesharing“, weil das kleine Kollektiv von Beginn an mit Computern der Marke mit dem angebissenen Apfel arbeitete. Was für ein sinnfälliger Name. „Das Prinzip des Förderns, Vernetzens und sich gegenseitig Pushens hat von Anfang an gut funktioniert.“ Hier gab es Raum und Möglichkeiten, zusammenzuarbeiten, zu brainstormen, Synergien zu nutzen, Netzwerke zu knüpfen, ja, und Kunst zu Geld zu machen. 2004 gab sich das Team den neuen Namen „Supalife Kiosk“, nachdem sich einige Mitstreiter aus dem Gründerteam anderen Plänen zuwandten.

„Wir haben einfach Leute, die mit Siebdruckgrafiken arbeiten und aus der Streetart-Szene angesprochen“, erzählt Zygor. Viele von ihnen können nicht ausschließlich von ihrer Kunst leben und machen Nebenjobs. Da ist der Supalife Kiosk eine wichtige Plattform, um Einkommen über den Verkauf von Werken zu generieren.

„Und wir hatten Glück“, blickt Zygor zurück. „Wir konnten einen Mietendeal vereinbaren. Wir haben viel selbst gemacht, die Türen und Böden, die Kachelöfen herausgerissen. Dafür hat der Vermieter eine Heizung und ein Schaufenster eingebaut.“ Einen „guten Mietvertrag“ für fünf Jahre gab es dazu. Heutzutage steigt die Miete sukzessive, aber das ist zu stemmen. Der Vermieter sei dem Projekt wohlgesonnen.

Der Gentrifizierung getrotzt

So gesehen lässt sich am Beispiel des Supalife Kiosk eine Gentrifizierungsgeschichte erzählen. „Im Kiez gibt es kaum noch Läden von früher“, sagt Zygor, „wir sind mit die Einzigen, die überlebt haben.“ Obwohl der Laden nie Fördermittel bekommen hat. Heute, wo Berlin sich 130 Millionen Euro an Zuschüssen für die Kultur im nächsten Jahr sparen muss, ist das sicher ein Segen.

Der Supalife Kiosk wurde und wird „bunt und lebendig“ mit unterschiedlichen Angeboten bespielt, mit Gesprächsrunden, mit Musik und Film oder mit Grafikausstellungen, die anfangs – so wie Streetart ja auch – noch nicht Usus waren.

„Wir waren einer der ersten Orte dafür“, sagt Zygor, die sich um die Ausstellungen gekümmert hat. „Und immer etwas der Zeit voraus. Wir waren ein Konzeptstore, bevor es die gab. Wir waren ein Coworking Place, bevor diese erfunden wurden“, sagt Gabriele Zygor und ergänzt: „Und wir waren früh gegen Photoshop“.

In den Jahren 2008/09 ging die Entwicklung immer mehr in Richtung Siebdruckgrafiken. Siebdruck im klassischen Sinne, beschreibt das Zygor: Künst­le­r:in­nen arbeiten auf dem Sieb mit Farben und drucken das Ergebnis. „Echte Farbe auf echtem Papier.“ Ja, es ließe sich behaupten, dass der Supalife Kiosk eine Renaissance des Siebdrucks mitbefördert hat.

Einige Leute von damals sind bis heute dabei, so wie auch Gabriele Zygor, andere sind dazugekommen. Alle sieben Künstler:innen, die schichtweise im Supalife Kiosk arbeiten, haben andere Standbeine, damit es sich rechnet.

Seit 2013 arbeitet der Supalife Kiosk als eingetragener, gemeinnütziger Verein. Zu dem Zeitpunkt hatte sich Zygor schon in Portugal, wo sie einst ein Sabbatjahr verbrachte, in das Land verliebt. 2016 ist sie ganz dorthin gezogen. Zygor ist dreimal im Jahr für ein paar Wochen in Berlin. „Und es gibt ja Onlinemeetings im Homeoffice.“ Sie fungiert heute als Kassenwart des Vereins und agiert eher im Hintergrund, so wie auch Dennis Engel.

„Man muss flexibel sein“, sagt Zygor über so ein freies Künstler:innenleben. Sie selbst bietet unter anderem Siebdruck-Workshops an. Anders formuliert: Da stecken viel Idealismus und Herzblut drin. Das ist nicht genug zu würdigen, machen solche Projekte und Läden doch Berlin aus.

Die Stadt brauche dringend solche offenen wie kreativen, ja auch anarchistischen Freiräume zum Austausch, für das Entwickeln von Ideen, für Experimente, ist sich Gabriele Zygor sicher. „Wenn die fehlen, kriegen wir gesellschaftliche Probleme. Alles andere wäre kontraproduktiv in diesen Zeiten.“

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