Suizidversuch wegen Abschiebung: „Mein Leben zog vor meinen Augen vorbei“
Ali Reza Karimi ist knapp seiner Abschiebung nach Afghanistan entkommen. In der Ausländerbehörde wollte man in festnehmen. Daraufhin versuchte er, sich umzubringen
taz: Herr Karimi, wo sind Sie gerade?
Ali Reza Karimi: In der Klinik, im UKE.
Was fehlt Ihnen?
Ich habe versucht, mich umzubringen. Ich habe große Angst, abgeschoben zu werden. Ich bin müde und ich habe keine Hoffnung mehr.
28, ist in Afghanistan geboren und lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Im Dezember ist seine Duldung abgelaufen und wird nicht verlängert.
Sie sind Ihrer Abschiebung schon mindestens ein Mal entkommen, vielleicht sogar zwei Mal.
Das erste Mal war bei der zweiten bundesweiten Abschiebung am 14. Dezember. Ich war zufällig gerade bei der afghanischen Botschaft in Berlin, um meine Heiratsurkunde abzuholen.
Ist Ihre Ehefrau auch in Deutschland?
Ja, seit einem Jahr. Sie ist in einer Unterkunft in Lübeck, ihr Asylverfahren läuft noch.
Warum ist sie in Lübeck und Sie sind in Hamburg?
Sie wurde dorthin umverteilt, ich bin in Hamburg gemeldet und muss hier bleiben. Ich hatte auch bis vor Kurzem einen Job, ich habe vier Jahre hier gearbeitet.
Und jetzt nicht mehr?
Als ich aus Berlin wieder gekommen bin und gehört habe, dass die Polizei mich gesucht hat um mich abzuschieben, bin ich untergetaucht. Ich bin nicht mehr zur Arbeit gegangen, weil ich Angst hatte, vom Arbeitsplatz abgeschoben zu werden.
Wenn das Asylverfahren Ihrer Frau noch offen ist, können Sie als Ehemann doch gar nicht abgeschoben werden.
Die Ausländerbehörde erkennt die Heiratsurkunde aber nicht an. Sie sagt, es sei eine religiöse Urkunde. Aber es ist ein offizielles Dokument. Da steht drauf: „Heiratsbescheinigung der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan, Berlin“, und dass wir die Ehe nach afghanischem Recht geschlossen haben.
Was hatte die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde daran auszusetzen?
Als ich am Dienstag in der Behörde war, um meine Duldung zu verlängern, hat sie die Urkunde nicht anerkannt, und auch mein ärztliches Attest nicht. Auch dass ich seit vier Jahren hier arbeite, zählt nicht. Was soll ich machen?
Was hat sie gesagt?
Sie hat mich gefragt, ob ich freiwillig ausreisen will. Ich habe gesagt, ich muss erst mit meinem Anwalt sprechen. Sie hat gesagt: Dann nehmen wir Sie jetzt fest. Ich hatte eine Rasierklinge in der Hand und habe es einfach gemacht. Ich habe sie zwanzig Sekunden lang in meinen Arm gedrückt. Mein Leben ist vor meinen Augen vorbeigezogen.
Wie geht es Ihrem Handgelenk?
Es hat sechs Schnitte. Sie haben mein Handgelenk versorgt und mich zur Haftanstalt gebracht. Ein Psychotherapeut hat mit mir gesprochen und gesagt: „Du kannst nicht nach Afghanistan fliegen, du bist krank.“
Zur Haftanstalt – warum?
Ja, vom Krankenhaus zu einer Haftanstalt, wo ein Richter war. Sie haben gesagt: „Jetzt kommt ein Dolmetscher und du musst vor das Gericht.“ Ich habe gesagt: „Ich muss mit meinem Rechtsanwalt sprechen.“ Sie wollten aber nicht warten. Ich durfte auch nicht telefonieren. Dann kam jemand mit einem Schreiben von der Klinik und sie haben mich ins UKE gebracht, ohne dass ich zum Haftrichter musste.
Warum sollten Sie in Haft – weil Sie sich der Abschiebung entzogen haben?
Ich weiß es nicht.
Aus welcher Region in Afghanistan kommen Sie?
Ich bin Hazara und komme aus Daikundi in Zentralafghanistan.
Ist das eine sichere Region?
Ganz Afghanistan ist kaputt. Es gibt keine Sicherheit, nirgends.
Der Innenminister behauptet das aber.
Ja, ich weiß, er sagt viel. Aber immer, wenn er gefragt wird, welche Regionen sicher sein sollen, sagt er nichts. Er weiß es auch nicht. Die Ausländerbehörde schickt einfach alle nach Afghanistan, aber es ist nirgendwo sicher.
Wohin gehen Sie, wenn Sie aus der Klinik kommen?
Erst mal zu meinem Rechtsanwalt. Ich respektiere das Gesetz, aber ich erwarte, dass andere es auch respektieren. Die Ausländerbehörde respektiert das Gesetz nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen