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Suizidhilfe in DeutschlandAuch psychisch Erkrankte können entscheiden

Das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben setzt einen „autonom gebildeten freien Willen“ voraus. Die Einzelheiten sind allerdings noch umstritten.

In Karlsruhe kommen die Richter nicht zum Schluss, dass eine psychische Krankheit generell eine freie Entscheidung ausschließt Foto: Nicholas Orchard/imago

Karlsruhe taz | Wann darf ein Arzt einer psychisch kranken Person beim Suizid helfen? In Deutschland ist das bisher nicht gesetzlich geregelt. Bis auf weiteres muss das deshalb die Rechtsprechung klären. Von zentraler Bedeutung ist dabei das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, das das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet hat. Die Entscheidung zu sterben, sei ein „Akt autonomer Selbstbestimmung“, der von Staat und Gesellschaft zu respektieren sei. Dieses Recht haben nicht nur Schwer- und Todkranke, es gilt vielmehr in jeder Phase des Lebens.

Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben setzt allerdings einen „autonom gebildeten freien Willen“ voraus, so das Karlsruher Gericht. Eine psychische Krankheit könne „eine erhebliche Gefahr für eine freie Suizidentscheidung“ sein. Die Rich­te­r:in­nen zitierten Sachverständige, wonach bei rund 90 Prozent der erfolgreichen Suizide eine psychische Störung vorlag.

Die Richter kommen aber nicht zum Schluss, dass eine psychische Krankheit generell eine freie Entscheidung ausschließt. Sie stellen fest, dass zwar 40 bis 60 Prozent der erfolgreichen Suizide auf Depressionen beruhen, die Depression aber nur bei 20 bis 25 Prozent der Sui­zi­den­t:in­nen zu einer eingeschränkten Einwilligungsfähigkeit führte.

An einer anderen Stelle des Urteils betont das Gericht, dass der freie Wille „unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ gebildet werden muss. Auch dies zeigt, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht jede psychische Erkrankung die Freiheit der Entscheidung aufhebt, sondern nur die „akute“ Störung. Vor allem betont Karlsruhe, dass die Entscheidung zum Suizid von einer gewissen „Dauerhaftigkeit“ und „inneren Festigkeit“ getragen sein muss. Dieses Konstanz-Erfordernis betrifft nicht nur psychisch Kranke, aber auch.

Der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten

Damit ist klar: Gerichte dürfen psychisch Kranken nicht generell das Recht auf selbstbestimmtes Sterben (und entsprechende ärztliche Hilfe) verweigern. Der genaue Maßstab, wann der Wille einer psychisch kranken Person beachtlich ist und wann nicht, muss von der Rechtsprechung aber noch entwickelt werden.

Die Entscheidung des Landgerichts Berlin am Montag und ein ähnliches Urteil des Landgerichts Essen vom Februar sind die wohl ersten entsprechenden Versuche. Die schriftlichen Urteilsgründe, die noch nicht vorliegen, werden genau diskutiert werden. Allerdings wird in beiden Verfahren der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Revision angerufen. Der BGH kann dann einen bundesweit gültigen Maßstab entwickeln.

Wenn der BGH die strafrechtliche Verurteilung der Ärzte aufrechterhält, können diese noch das Bundesverfassungsgericht anrufen, das den Maßstab des BGH verändern könnte, wenn er zu streng ist. Kommt der BGH zu Freisprüchen, ist der Weg zum Bundesverfassungsgericht jedoch verschlossen.

Auch der Gesetzgeber kann sich jederzeit einschalten und verbindliche Regeln aufstellen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Bundestag ausdrücklich offen gelassen, „ein prozedurales Sicherungskonzept zu entwickeln“, also vor allem das Verfahren zu regeln. Dies versuchten zwei Gesetzentwürfe, die im Juli 2023 im Bundestag jedoch keine Mehrheit fanden. Beide Entwürfe sahen übereinstimmend vor, dass ein:e Fachärztin für Psychiatrie prüfen soll, ob eine „die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt“. Nur nach dieser Prüfung (und einer Beratung) sollten Ärzte legal bei der Selbsttötung helfen dürfen.

Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 /111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter http://www.telefonseelsorge.de

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1 Kommentar

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  • Mich hat das Urteil vom Montag schockiert, in dem ein Arzt zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, nachdem er einer Frau auf ihren Wunsch beim Sterben geholfen hatte. Das Ventil zum tödlich wirkenden Medikamente hatte die Frau selbst geöffnet.

    Ich denke jeder Mensch sollte in jeder Phase seines Lebens über die Frage seines Lebensendes selbst entscheiden können, unabhängig von schweren und unheilbaren Krankheiten.

    In Deutschland gibt es jedes Jahr 10000 Suizide, davon 900 Schienensuizide, welche auffindende Angehörige, Rettungskräfte und Zugführer belasten und traumatisieren..

    Die Lebensmüden sollten eine Möglichkeit bekommen, ihr Leben friedlich und human zu beenden, mit einer zeitlichen Frist von mindestens 2-4 Wochen und nach Konsultation von einem Arzt und einem Psychotherapeuten. Einigen könnte möglicherweise ein Ausweg oder eine Behandlungsform aufgezeigt und von sie von ihrem Todeswunsch abgebracht werden.

    Die jetzige Praxis, das sich Menschen vor Züge werfen, sich erschießen und von Hochhäusern stürzen „müssen“, ist einfach nur barbarisch.

    Sicher 95 % der Menschen lieben ihr Leben und wollen es bis zum letzten Atemzug auskosten, ihnen dabei zu helfen, sollte das bestimmende Ziel der Politik sein.



    Aber auch der kleine Teil der Lebensmüden hat das Recht auf humane Hilfe.

    Ich hoffe, das dieses Urteil revidiert und eine Urteil auf Bewährung umgewandelt wird.

    Die Politik misstraut scheinbar ihren Bürgern und hat Angst, das eine solche Regelung reihenweise missbraucht wird, das Ältere dann gedrängt werden könnten sich zu töten, weil sie sich als Last empfinden.

    Die freie Sterbehilfe wäre zugleich die Aufgabe an die Politik, sich mit Betreuungsangeboten noch mehr um die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu kümmern. Gerade in den Zeiten des Klimawandels, wo immer deutlicher wird, das sich in den kommenden Jahren die Umweltbedingungen schrittweise immer weiter verschlechtern und Depression & Hoffnungslosigkeit zunehmen werden.