Südafrika in der Krise: Feiertag ohne Feierlaune
Nach über einem Jahr Coronakrise hat in Südafrika die Arbeitslosigkeit ein Rekordniveau erreicht. Die Hoffnung in die Zukunft ist geschwunden.
Was zunächst gewaltlos begann, eskalierte, als Polizei und Militär nicht nur mit Tränengas vorgingen, sondern ohne Vorankündigung auch mit scharfer Munition. Als einen der ersten von am Ende über 200 Erschossenen und 4.000 Verletzten traf es den zwölfjährigen Hector Peterson, der noch auf dem Weg ins Krankenhaus starb.
Das Foto, auf dem ein junger Mann den blutenden Jungen wegträgt, daneben seine vor Verzweiflung schreiende Schwester, ging um die Welt. Bei der Namensgebung der Hector-Peterson-Oberschule in Berlin-Kreuzberg 1989 sagte seine Schwester Antoinette Peterson: „Weil er seine Freunde nicht im Stich lassen wollte, lief er mit. An Politik war er eigentlich gar nicht so interessiert.“
Wie erleben junge Leute diesen Gedenktag in Südafrika heute, im zweiten Jahr von Corona? „Was sollen wir feiern?“, fragt Aphiwe, ein 20-Jähriger aus Crossroads, eines der wegen Gang-Kriminalität besonders berüchtigten Townships bei Kapstadt, und erklärt: „Ich habe einen guten Schulabschluss, aber ich kann seitdem wie die meisten meiner Freunde keinen Job finden, von einer Ausbildung ganz zu schweigen.“ Die 17-jährige Thembisa ergänzt: „Ich ging so gern zur Schule. Aber seit Mutter krank ist, muss ich mich um meine vier jüngeren Geschwister kümmern. Mit Corona ist vieles nur schlimmer geworden.“
Die Geduld der Jungen wird arg strapaziert
Auch schon vor Corona war die Jugendarbeitslosigkeit eines der größten Probleme im neuen Südafrika. Allein von 2013 bis 2019 stieg der Anteil derjenigen ohne Arbeit unter den 15–24-Jährigen von 52 Prozent auf 58 Prozent. Heute sind es dank der Coronawirtschaftskrise landesweit über 63 Prozent, in armen Wohngegenden noch mehr.
Die Arbeitslosenquote in Südafrika insgesamt ist im ersten Quartal 2021 auf einen Rekordwert von 32,6 Prozent gestiegen: 15 Millionen Beschäftigten stehen 7,2 Millionen registrierte Arbeitslose gegenüber.
Was 1994 mit viel gutem Willen unter Südafrikas erstem allgemein gewählten Präsidenten Nelson Mandela begann, ist durch seine Nachfolger Thabo Mbeki (1999–2008), der zu lange die Aidskrise ignorierte, und Jacob Zuma (2009–2018), der neun Jahre Veruntreuung von Staatsgeldern vorführte, ins Stocken geraten.
Der jetzige Präsident Cyril Ramaphosa arbeitet beharrlich gegen Korruption und für mehr sozialen Ausgleich zwischen der Minderheit von sehr Wohlhabenden, zu denen längst nicht mehr nur „Weiße“ gehören, und der Mehrheit der extrem Armen. Doch wie lange wird die Geduld der jungen Generation noch reichen?
Gesundheitsminister vorläufig suspendiert
Ein tragisches Indiz von Ernüchterung ist die stetig sinkende Wahlbeteiligung junger Leute. Bei den ersten freien Wahlen 1994 waren noch 86 Prozent aller Südafrikaner*innen, auch und gerade unter den jungen Erwachsenen, zu den Wahlurnen gegangen. Bei den letzten Wahlen im Mai 2019 beteiligten sich weniger als die Hälfte, bei den Erstwählern waren es unter 20 Prozent.
Es war unter diesen Vorzeichen für viele ein Schock, als Journalisten vor Kurzem dem geachteten Gesundheitsminister Zweli Mkhize vorwarfen, dass sein Ministerium einen Vertrag über 150 Millionen Rand (rund 9 Millionen Euro) mit einer Kommunikationsfirma geschlossen hatte, die nachweislich kaum Dienste zur besseren Information der Bevölkerung zu Corona lieferte, sondern ihm angeblich persönlich nahegestanden hatte.
Mkhize selbst behauptet, dass er über den Vorgang nicht ausreichend informiert war und selbstverständlich veruntreute Gelder zurückgezahlt werden müssten. Ramaphosa hat ihn vorläufig suspendiert, sein Posten wird nun von der Tourismusministerin mit geleitet.
Dies ist in vieler Hinsicht fatal, denn seit letzter Woche hat im südafrikanischen Winter auch offiziell die dritte Coronawelle begonnen – die Zahl der Neuinfektionen verdoppelte sich auf inzwischen über 9.000 am Tag, täglich werden über 100 neue Tote gezählt. Gleichzeitig ist die endlich angelaufene Impfkampagne mit immer neuen Lieferproblemen konfrontiert. Nicht zu Unrecht sprach Präsident Ramaphosa als Gast auf dem jüngsten G7-Gipfel davon, dass eine „Impf-Apartheid“ zwischen Arm und Reich in der Welt bestehen bleibt, so lange arme Länder auf Almosen angewiesen sind und Patentschutz-Gesetze die Eigenproduktion von Impfstoffen verhindern.
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