Sudan nach dem Putsch: Mit langem Atem gegen die Militärs
Bei den Protesten gegen die Machtergreifung des Militärs in Sudan setzt die Demokratiebewegung auf zivilen Ungehorsam.
Einer direkten Konfrontation mit der Armee gehen die Protestierenden offenbar aus dem Weg, nachdem Soldaten am Montag nach Berichten aus Khartum bedenkenlos von der Schusswaffe Gebrauch machten. Ein Ärzteverband meldete bereits am Montagabend vier Tote und 80 Verletzte, das Gesundheitsministerium der aufgelösten zivilen Übergangsregierung korrigierte die Bilanz später auf sieben Tote und 140 Verletzte.
Demonstrationen hatten sich zunächst vor dem abgesperrten Gelände des Oberkommandos der Streitkräfte in Khartum sowie vor dem Parlamentsgebäude in Omdurman am anderen Nilufer versammelt. Die Gewaltanwendung der Armee war aber offenbar zu groß für einen Dauerprotest an diesen Orten. Am Dienstag überwogen Bilder von menschenleeren Straßen und geschlossenen Geschäften.
Die Protestbewegung besteht vor allem aus den Gruppen, die aus dem Volksaufstand gegen den 2019 gestürzten Diktator Omar Hassan al-Bashir hervorgingen und am 21. Oktober einen „Marsch der Millionen“ in Khartum gegen eine befürchtete Rückkehr der Militärdiktatur organisiert hatten.
Rashid Abdi, Konfliktanalyst
Sie wollen nun das Militär um General Abdelfattah Burhan, der am Montag die zivile Regierung aufgelöst und die Macht an sich gerissen hatte, mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams in die Knie zwingen.
Ein „Revolutionärer Eskalationszeitplan“ des Dachverbandes der Protestgruppen sieht nach einem Bericht des Radiosenders Radio Dabanga die landesweite Gründung von „Widerstandskomitees“ vor. Sie sollen Versammlungen mit Reden und Nachtwachen organisieren.
Am Donnerstag werden alle Sudanesen zu Kundgebungen auf Hauptstraßen, vor Regierungsgebäuden und vor ausländischen Botschaften gerufen, gefolgt von Aufmärschen jede Nacht bis zu Großdemonstrationen am Samstag.
„Die Graswurzelbewegung macht massiv im gesamten Land mobil“, schrieb am Dienstagvormittag der Konfliktanalyst Rashid Abdi auf Twitter. „Die Opferzahl bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Armee steigt. Die Armee geht Berichten zufolge von Tür zu Tür, um Demokratieführer festzunehmen.“
Bürgerkrieg verhindern
General Burhan wiederholte derweil auf einer Pressekonferenz seine Zusicherung, es handele sich nicht um einen Putsch, sondern er habe bloß eingegriffen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Der abgesetzte und verhaftete zivile Premierminister Abdalla Hamdok befinde sich in Burhans eigener Residenz, „zu seiner Sicherheit“.
International stößt der Coup der Generäle auf immer deutlichere Ablehnung. Nachdem erste Stellungnahmen am Montag noch von Vorsicht geprägt waren, stand am Dienstag die Forderung nach bedingungsloser Wiedereinsetzung der aufgelösten Übergangsinstitutionen im Vordergrund.
Die US-Regierung stoppte ihre gerade erst wieder gestartete Finanzhilfe für Sudan im Umfang von 700 Millionen US-Dollar. Am Dienstagnachmittag sollte in New York der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung hinter verschlossenen Türen zusammenkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin