Suchtkranke Obdachlose bald ohne Bleibe: Behördlich untersagtes Wohnen

Lichtenberg hat einem Heim für suchtkranke Obdachlose die Nutzungsgenehmigung entzogen. Der Bezirk will damit das Gewerbe im direkten Umfeld schützen.

"Lichtenberg zerstört soziales Wohnprojekt" steht auf einem Protestbanner, das an einer Wand hängt - eben den von Schließung bedrohten Heim für suchtkranke Obdachlose

Das von Schließung bedrohte Wohnheim im Wiesenweg in Lichtenberg Foto: Uta Schleiermacher

BERLIN taz | Für seine Bewohner ist das dreistöckige Haus im Lichtenberger Wiesenweg ein Schutzraum. Der Bezirk hingegen meint, es sei als Wohnort ungeeignet. Damit droht einem der wenigen Berliner Übergangswohnheime für suchtkranke Obdachlose zurzeit das Aus. „Im April haben wir vom Bezirk eine Nutzungsuntersagung bekommen“, sagt Sabine Weiß. Sie ist die Geschäftsführerin von Synergetik, einem Verein, der hier eines seiner Wohnheime für ehemals Drogenabhängige betreibt. „Der Bezirk will, dass wir bis Ende Oktober hier raus sind“, berichtet sie. „Wir versuchen, das zu verhindern.“

Der Aufenthalt im Heim sei sehr wichtig für seinen Anlauf, die Sucht zu überwinden, erzählt ein Bewohner, 39 Jahre alt, der seit sechs Wochen dort lebt. Zuvor war er in einer Langzeittherapie. „Ich brauche das hier“, sagt er. „In der Klinik habe ich gesehen, wie fast jeden Tag jemand entlassen wurde, ohne zu wissen, wo es hingeht.“ Das sei gefährlich. Das Risiko sei gerade nach der Therapie groß, in der alten Umgebung oder in vorherigen Beziehungen rückfällig zu werden. Auch er sei schon einmal nach einer Entgiftung in seine bisherige Wohnung zurückgezogen. „Ein Fehler“, sagt er heute.

Das Wohnheim im Wiesenweg ist genau auf diese Phase ausgerichtet. Die Mit­ar­bei­te­r*in­nen unterstützen beim Aufbau neuer Netzwerke, einer Tagesstruktur, Beziehungen, Hobbys. Sie helfen bei Behördenangelegenheiten und der Wohnungssuche. Voraussetzung ist, dass die Bewohner – in diesem Heim alle männlich – nüchtern bleiben. „Für mich ist das hier ein sicherer Ort. Dass wir auch kontrolliert werden, hilft mir“, sagt der 39-jährige. Er will sich stabilisieren, um dann wieder die Selbstständigkeit anzugehen, also die nächsten Schritte hin zu Arbeit und eigener Wohnung vorzubereiten.

Werkstätten und Clubs sei nicht zuzumuten, sich aus Rücksicht auf die An­woh­ne­r*in­nen einzuschränken

Seit rund 30 Jahren betreibt Synergetik das Heim in einem von drei Bahntrassen eingeschlossenen Gebiet. An einer Stelle soll irgendwann einmal der nächste Bauabschnitt der A100 entlangführen. Dass das Bezirksamt dem Trägerverein nun untersagt hat, in dem Gebäude betreutes Wohnen anzubieten, begründet es damit, dass eine Baugenehmigung sowie die Genehmigung zur Nutzung als Obdachlosenheim fehlen. Und mit der „näheren Umgebung“: Die sei, mit Autowerkstätten und Clubs, „durch Nutzungen geprägt, die typischerweise das Wohnen erheblich stören“, etwa durch Lärm und Luftverschmutzung. Eine Wohnnutzung sei gegenüber den anderen Interessen „konkret rücksichtslos“. Gemeint ist: Werkstätten und Clubs sei nicht zuzumuten, dass sie sich aus Rücksicht auf die An­woh­ne­r*in­nen einschränken.

„Ganz klar ein Wohnhaus“

Synergetik-Geschäftsführerin Weiß lässt das nicht gelten: „Offiziell ist das hier kein reines Gewerbegebiet“, sagt sie, das habe ein Gerichtsurteil in einem anderen Fall bestätigt und eine „kerngebietstypische Gemengelage“ festgestellt. Das Haus sei um 1912 herum gebaut worden. „Anhand von Haushaltslisten konnten wir nachvollziehen, dass es seit 1914 durchgängig bewohnt gewesen ist“, so Weiß. „Es ist ganz klar ein Wohnhaus.“ Auch die fehlende Baugenehmigung hält sie für vorgeschoben: „Das Lichtenberger Archiv ist 1945 abgebrannt, die Baugenehmigungen fehlen für den gesamten Bezirk.“

Kevin Hönicke, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Soziales, meint dagegen, die Grundstückseigentümer müssten die Baugenehmigungen aufbewahren, „nicht irgendwelche Ämter“. Er schreibt auf Nachfrage auch, am Standort seien „keine gesunden Wohnverhältnisse“ möglich. Gleichzeitig sichert er zu, sich für den Erhalt des Heims einzusetzen. Laut Hönicke sollten sich alle Beteiligten nach einem neuen Standort umsehen. „Mein Ziel ist es natürlich auch, die Unterkunft für Obdachlose zur Notunterbringung nicht zu verdrängen“, schreibt er.

Vertrackte Doppelnutzung

Dabei könnte gerade die Notunterbringung ein möglicher Ansatz für den Erhalt sein. Denn für Wohnheime, in denen Menschen nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungesgesetz (ASOG) untergebracht sind, gelten beim Gesundheits- und Lärmschutz andere Auflagen als für Wohnhäuser. Das Vertrackte in diesem Fall: Das Haus ist derzeit weder reine Unterkunft noch reines Mietshaus. Insgesamt zwölf Männer leben hier zurzeit laut Synergetik, vier als Mieter in kleinen Wohnungen auf der einen Seite des Hauses, acht in WGs auf der anderen.

Unterkünfte nach ASOG sind generell erst einmal keine Wohnungen. Sie gelten theoretisch als Gewerbe – und hier hält der Bezirk dem Träger vor, dass er dafür eine Nutzungsänderung hätte beantragen müssen. Das Absurde ist also: Die eine Haushälfte wäre von der Nutzung her Gewerbe, ist aber nicht als solches deklariert. Die andere Hälfte gilt als Wohnnutzung, die der Bezirk in dem Gleisdreieck nicht mehr zulassen will.

Auch die Wohnungen hat der Synergetik an suchtkranke Männer vermietet. So konnte etwa einer der Bewohner der Notunterkunft eine der kleinen Wohnungen übernehmen. Inzwischen lebt er seit 13 Jahren im Gebäude und hat Hausmeister-Aufgaben übernommen – er mäht den Rasen im Hof, hat ein Beet angelegt und erledigt Reparaturen rund ums Haus. Und er betont, dass ihn genau dieses Umfeld durch all die Jahre der Abstinenz getragen habe.

„Jeder hier versteht den anderen“, sagt er. „Es gibt drei klare Regeln: Keine Gewalt, keine Drogen und keine Kontakte in die entsprechenden Szenen.“ So ließen sich alle Konflikte gut lösen, und es sei auch „wichtig, dass kein Alkohol verfügbar ist“. Gerade der Konsum von Bier oder Schnaps sei oft der erste Schritt in den Rückfall oder Kontrollverlust. „Man nimmt sich seine Sucht überallhin mit“, sagt er. Jeden Tag müssten sie sich hier neu entscheiden, nüchtern zu bleiben. „Gerade nach der Entlassung oder nach anderen Umbrüchen stehen auch wieder alle dunklen Türen offen“, meint er.

Aufgrund dieser Mischung aus langfristigen Mietern und kurzfristigerer Unterbringung wäre es für den Trägerverein auch keine Lösung, das ganze Gebäude als Notunterkunft zu führen. Geschäftsführerin Sabine Weiß hat erst einmal Widerspruch gegen die Nutzungsuntersagung eingelegt.

„Das Haus hat Bestandsschutz“

Das Haus ist auch nicht das einzige auf dem Gelände, bei dem die Be­sit­ze­r*in­nen im Konflikt mit dem Bezirk stehen: In der Wartenbergstraße um die Ecke kämpft ein Hausprojekt ebenfalls für weitere Wohnnutzung. Mit denen stünden sie im Austausch, sagt Weiß. Inzwischen wüssten sie auch, dass der Padovic-Konzern dort Grundstücke besitzt und weitere kaufen möchte. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg gehören dem berüchtigten Immobilienentwickler Dutzende Häuser, die er oft nach der Wende günstig gekauft und ohne Rücksicht auf die Mie­te­r*in­nen aufgewertet hat.

Sebastian Schlüsselburg, rechtspolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus und direkt gewählter Abgeordneter für den Wahlkreis, fände es absurd, wenn der Träger ein alternatives Gebäude suchen müsste. „Das Haus hat Bestandsschutz, und inzwischen ist auch gerichtlich bestätigt, dass Eigentümer nicht verpflichtet sind, eine Baugenehmigung vorzulegen, wenn das Gebäude bereits mehrere Staatsformen überdauert hat“, sagt er. „Das ist ja kein Schwarzbau.“

Es sei höchste Zeit, dass Sozialstadtrat Hönicke die Fehler seines Bauamts korrigiere – den Spielraum habe er. „Es ist ein Skandal, dass die Nutzungsunterlassung überhaupt herausgeschickt wurde“, so Schlüsselburg. Im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses sei das Wohnheim auch schon Thema gewesen, Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) habe signalisiert, „dass sie eine Lösung finden will“.

Noch wirkt Sabine Weiß zuversichtlich: Man sei jetzt mit mit dem Stadtrat im Gespräch. Ein erstes Treffen sei „lösungsorientiert, aber ergebnisoffen“ verlaufen. Die Bewohner und der Träger wollen für den Erhalt des Heims kämpfen – im jetzigen Haus und in der jetzigen Form.

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