Subkultur in der Erziehung: Jugendgefährdende Schriften
Wie erklärt man Subkultur dem Kinde? Und wie viel Subkultur kann man sich mit Kindern eigentlich noch leisten?
F rieder der Urzeitkrebs ist gestorben: später als erwartet, aber doch bevor sich abschließend klären ließ, ob sie nicht doch eine Krebsin war und eigentlich Frida hieß. Oberflächliche Internetrecherche hatte nur ergeben, dass Krebs-Frauen gute Zuhörerinnen seien, „die für ihre Freunde immer ein offenes Ohr haben und ihnen mit gutem Rat zur Seite stehen“. Mit Biologie hat das nichts zu tun, aber es stimmt trotzdem irgendwie: Frida war wirklich eine gute Zuhörerin und eine Seele von Krebs. Immerhin ist mir dank Unwissenheit auch die unschöne Situation erspart geblieben, den Kindern die urzeitkrebs’sche Selbstbefruchtung über die Zwitterdrüse zu erklären, was sie dann wieder halb verstanden in die Schule geschleppt und mich wie einen komplett Irren aussehen lassen hätten.
Das ist übrigens ein grundsätzliches Problem aller, die sich in subkulturellen Kreisen bewegen, die sich schwertun mit geraden Gedanken und jugendfreier Sprache. Leider kann ich nicht mehr sagen, wer mir die Geschichte erzählt hat, aber ich weiß noch, dass ich ungefähr drei Tage darüber lachen musste: Wie so ein Ex-Punk und werdender Vater direkt nach dem ersten Geburtsvorbereitungskurs Abschied von seinen zerrissenen Jeans nahm, weil ihm beim solidarisch mitgemachten Vierfüßlerstand die Eier aus der Hose baumelten.
Heute weiß ich: Klamotten sind ein nachrangiges Problem. Weit schlimmer ist, dass die Musik nicht mehr geht. Zwar habe ich noch immer Tränen des Glücks in den Augen, wenn ich mich erinnere, wie der Erstgeborene damals mit eineinhalb zu Novotny TV im Kreis sprang: „Überall in der Stadt pflanzt der Staat – das Scheißsystem – Bäume hin / ohne Verstand und ohne Sinn“. Vorbei war der Spaß dann aber, als er sich im Œuvre derselben Kapelle bis zum Gassenhauer „Butterfahrt im Gaza-Streifen“ vorgearbeitet hatte, bei dem ich schon mit Erwachsenen nicht gerne darüber rede, was der Scheiß soll, so mit „Arafat / rattattat“. Vielleicht sollte man es überhaupt ganz lassen mit der Musik, weil die Folgen so schwer zu kalkulieren sind. Einmal hat das Kind im Auto Rotz und Wasser geheult, weil beim zehnten Hören plötzlich ankam, dass Major Tom „völlig losgelöst“ in den Tod treibt. Der Tag war im Arsch und Astronaut will er heute noch nicht wieder werden.
Aber natürlich hören wir noch Musik zusammen. Die Pogues beim Zähneputzen etwa als mahnendes Beispiel (googeln Sie im Zweifel „Shane MacGowan“ und „Zähne“). Oder Slayer beim Kochen. Aber jedes Mal, wenn der Shuffle läuft und ich für Kartoffeln oder so was in den Keller gehe, singt oben plötzlich das Kind mit: „Q-Damm ’s börnin’ / Nananana“ Und ich dann so mit „Scheißescheißescheiße“ ohne Gemüse wieder hoch, bevor es weitergeht: „Wir waren echt begeistert / Wie das brennt, und wie das börnt / Und weil das so gut börnt / haben wir uns auch entförnt“ – weil das nämlich genau sein Humor wäre, aber morgen ja Schule ist und überhaupt.
Neulich musste ich mir danach erzählen lassen, wie sich eine Lehrerin offenbar bis zur dritten Klasse vor dem Thema Shoah wegducken wollte – dann aber kurzfristig doch mein Kind einsprang.
Und da kriegt man es schon ein bisschen mit der Angst zu tun, was genau er da wem erklärt hat. Meine pädagogische Grundregel lautet seitdem jedenfalls: Wir können über alles reden, aber du behältst es gefälligst für dich!
Man kommt eh nicht um die schwierigen Dinge drum herum, weil ja immer irgendein liegengelassener Splattercomic auftaucht, weil Nazis was anzünden, oder eben Frida/Frieder stirbt. Letzteres immerhin haben übrigens beide Kinder auf ihre jeweilige Weise gut aufgenommen. Der Kleine meinte nur, er hätte schließlich auch mich noch lieb, wenn ich bald ausstürbe, der andere wollte nur wissen, ob wir noch irgendwo Krebseier hätten. Und das haben wir.
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