: Sturer Stein
■ Scheitern als Chance: Karlheinz Munds Filmessay Das Bergwerk über das Mammutprojekt des Schriftstellers Franz Fühmann
Franz Fühmann gehört zu den vielseitigsten, aber auch zu den im Westen unbekanntesten der großen DDR-Schriftsteller. Kinderbücher hat er geschrieben und aus dem Ungarischen und Tschechischen übersetzt, Essays über Trakl und E.T.A. Hoffmann verfaßt und Fotobände literarisch begleitet. Sein Bergwerk-Projekt, an dem er die letzten zehn Jahre seines Lebens gearbeitet hatte, blieb Fragment. Dieses Werk, Im Berg, und den unbequemen Fühmann porträtiert Karlheinz Munds essayistischer Dokumentarfilm Das Bergwerk.
Nun sperren sich literarische Werke meist der Bebilderung, bei der in einer Mischung aus Standbildern und Landschaftsansichten ein studienrätischer Zeigestockton den Zuschauern ihre Gedanken souffliert. Mund hat einen anderen Weg gewählt, der ebensoviel von des Genese der Werkes erzählt wie von seinem Inhalt und zugleich über den Menschen und Künstler Fühmann berichtet. Archivmaterial, das die Arbeit im Bergwerk verdeutlicht, gerät mit Selbstzeugnissen des Autors aneinander; Äußerungen von Arbeitern, denen er im Schacht begegnet ist, mit Aussprüchen von Kollegen. Eher beiläufig illustriert der Film so die Zusammenhänge, innerhalb derer Fühmann tätig war, springt inhaltlich von hier nach dort und vermeidet eine strenge Chronologie. Fühmann – so wird beispielsweise deutlich, wenn ein Stasi-Bericht vermeldet, er weise psychotische Tendenzen auf, denn er fühle sich zu Geisteskranken hingezogen – war ein Unangepaßter jenseits von Biermannscher Aufgeregtheitsgestik, ein sturer Stein in der Brandung.
Die Welt und sein eigenes Schaffen in die große Metapher des Bergwerks fassen, das wollte Fühmann: das Kratzen an der Oberfläche, das allmählich tiefergehende Schürfen, das Abtragen von Schichten, die nicht nur verbergen, sondern auch die Vergangenheit beinhalten, und das Versinken in der Materie. Fühmann, so wird in der Studie deutlich, war von seinem Bergwerks-Projekt so besessen, daß vielleicht ein Fragment die einzig angemessene Form für den großen Entwurf ist.
Vom Scheitern ist dann auch viel die Rede, das im Zeitalter der Erfolgs-Talker und all der anderen Sieger als Erfahrung wenig wohlgelitten ist. Bei einigen Äußerungen im Film beschleicht einen dann auch der Verdacht, das Fragment sei ein Makel, den es zu erklären gelte. Dabei ist Scheitern ästhetisch meist produktiver als Erfolg und nicht nur angesichts literarischer Helden von Jesus bis Holden Caulfield, die mit ihrer sendungsbewußten Mission an der Wirklichkeit zerschellen, sondern auch in bezug auf viele große Werke, die Fragment geblieben sind wie Benjamins Passagen-Werk oder Sades Sal.
Scheitern – zumindest das Scheitern auf hohem Niveau – bedeutet ja nichts anderes, als die Komplexität einer entworfenen Gegenrealität so hoch geschraubt zu haben, daß die Unabgeschlossenheit von vorn-herein in die Struktur eingeschrieben ist. So kann Scheitern, das wissen wir nicht erst seit Christoph Schlingensief, auch als Chance begriffen werden.
Malte Hagener
Premiere mit Gästen: So, 7. Februar, 11 Uhr. Weitere Vorstellungen: Sa, 13. + So, 14. Februar, 13.30 Uhr; So, 21. Februar, 11 Uhr
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