Stühlerücken nach Wahl in Hamburg: Anna allein im Rathaus

Der CDU fehlt in der Bürgerschaft ihr Spitzenkandidat Marcus Weinberg, der FDP-Spitzenkandidatin gleich ihre gesamte Fraktion.

FDP-Politikerin Anna von Treuenfels

Einzige liberale Stimme in der Bürgerschaft: Anna von Treuenfels Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Das gab es auch noch nie: Der Spitzenkandidat der Hamburger CDU hat kein Bürgerschaftsmandat erhalten. Weil Marcus Weinberg nur auf Platz eins der Landesliste kandidierte, nicht aber in einem der 17 Wahlkreise, reichte es für den Politiker nicht. Alle 15 Mandate, die die CDU errang, gehen an ihre Wahlkreiskandidaten. Sollte es nicht noch überraschend eine rot-schwarze Koalition geben, in der der 52-Jährige ein Senatorenamt besetzen könnte, wird der Berlin-Heimkehrer mit der verfassten Politik nichts zu tun haben.

Bei den Liberalen sieht es genau umgekehrt aus: Der Frontfrau Anna von Treuenfels-Frowein gelang es im Wahlkreis Blankenese, ein Wahlkreismandat zu erringen – dafür kam ihr beim Marsch auf das Rathaus ihre Partei abhanden. Mit 4,9 Prozent strauchelte die FDP an der Sperrhürde und ist nun nur noch durch die 57-Jährige im Parlament vertreten. „Hamburg braucht eine liberale Stimme im Parlament“, hatte die Politikerin am Vorabend der Wahl noch appelliert und nicht geahnt, wie genau ihre Anhänger da mitzählen würden.

Nach aktuellem Stand – das amtliche Endergebnis folgt erst in zwei Wochen – gehen 54 Sitze an die SPD, 33 an die Grünen, 15 an die CDU, 13 an die Linke und sieben an die AfD. Wegen des Direktmandats von von Treuenfels und der Regel, dass die Zahl der Abgeordneten immer ungerade sein muss, gibt es erstmals eine von 121 auf 123 Sitze angewachsene Bürgerschaft. Mit 87 Abgeordneten hat Rot-Grün eine potenziell verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. CDU und Linken hingegen fehlen drei Mandate, um übliche Oppositionsrechte, etwa die Einberufung eines Untersuchungsausschusses, zu erzwingen, ohne auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein.

Auffällig ist: Besonders auf der SPD-Liste gelang es erstaunlich vielen Abgeordneten mit Migrationshintergrund über eine hohe Anzahl von Personenstimmen in die Bürgerschaft zu kommen. Kazim Abaci, Danial Ilkhanipour, Güngör Yılmaz, Ali Şimşek, Baris Önes, Sami Musa und Iftikhar Malik schafften es so ins Parlament – sechs Männer und eine Frau.

Frauen muss man in der CDU-Fraktion mit der Lupe suchen

Frauen muss man bei der CDU weiter mit der Lupe suchen: Drei der 15 Abgeordneten und damit 20 Prozent sind weiblich. Damit liegt die CDU-Frauenquote erstmals unter der der AfD (28 Prozent).

Deutlich nicht ins Parlament schaffte es Tom Radtke, der mit seinen obskuren Vergleichen von Holocaust und Klimawandel die Linke kurz vor der Wahl in Erklärungsnot gebracht hatte und gegen den ein Parteiausschlussverfahren läuft. Radtke holte 2.306 Personenstimmen. Der 18-Jährige, der sich zuletzt in sozialen Medien an Protagonisten der rechtsradikalen Identitären Bewegung angelehnt hatte, hätte weit mehr als doppelt so viele Stimmen gebraucht, um trotz Listenplatz 20 in die Bürgerschaft einzuziehen. Dieses Ziel haben noch sechs Linke-Kandidat*innen mit höherer Stimmzahl verpasst, darunter der bisherige Abgeordnete Martin Dolzer.

Ebenfalls ohne Mandat blieb erwartungsgemäß die unabhängige Kandidatin Bérangère Bultheel.

Die meisten Personenstimmen in allen 17 Wahlkreisen erhielten Finanzsenator Andreas Dressel (79.863) von der SPD, Grünen-Fraktionchef Anjes Tjarks (59.715) und die relativ unbekannte Grüne Alske Freter. Die 29-Jährige hatte es nur auf Platz 37 der Landesliste geschafft, holte im Wahlkreis 9, Barmbek-Uhlenhorst-Dulsberg, aber 58.338 Personenstimmen.

Die Hochburgen der Parteien bleiben nahezu unverändert. Die SPD holte in Stadtteilen mit sehr niedrigem Durchschnittseinkommen wie Billstedt, Waltershof/Finkenwerder und Steilshoop über 50 Prozent. Die Grünen kamen in Sternschanze, Eimsbüttel und Hoheluft-West auf jeweils rund 40 Prozent.

Die CDU hingegen hielt ihre Hochburgen alle im ländlichsten Bezirk Hamburgs, in Bergedorf, die Linke lag am Kleinen Grasbrook ganz vorn, holte aber auch in St. Pauli und auf der Veddel zwischen 27 und 30 Prozent. Dort fuhr auch „Die Partei“ ihre höchsten Ergebnisse ein, immerhin zwischen 6 und 4,5 Prozent. Die FDP erzielte in den wohlhabenden Elbvororten Nien­stedten, Blankenese und Othmarschen jeweils mindestens 12 Prozent, während die AfD im Südosten Hamburgs zwischen Billstedt und Harburg-Hausbruch ihre Hochburgen hat, wo sie noch gerade zweistellig ist.

AfD-Hochburg in Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder

Drei der 17 Hamburger Wahlkreise, in denen jeweils mehrere Stadtteile zusammengefasst sind, stechen heraus: Den Wahlkreis Altona gewannen die Grünen mit 34,7 Prozent und auch die Linken holten hier mit 18,1 Prozent ihr bestes Wahlkreisergebnis. SPD (27,5%), CDU (6,2%) und AfD (2,3%) erreichten hier ihr jeweils schlechtestes Resultat.

In Billstedt-Wilhelmsburg-Finkenwerder hat die AfD mit 8,1 Prozent ihre Hochburg, während Grüne (15,3%) und FDP (2,8%) hier so schlecht abschneiden, wie nirgends sonst. Hochburg der FDP ist der Wahlbezirk Blankenese mit 7,8 Prozent – hier schneidet die Linke (6,1%) schlechter ab als in allen anderen Wahlbezirken.

Eine hohe Wahlbeteiligung gab es auch 2020 überwiegend in den Stadtteilen, in denen die Wohlhabenden und Gebildeten ihr Domizil haben. Um die 80 Prozent der Wahlberechtigten wählten in den Elbvororten, unter 45 Prozent in Jenfeld, Billstedt und Billbrook/Rothenburgsort – da, wo die Menschen am wenigsten von der Politik erwarten.

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