Studierende und Unis ziehen Bilanz: Ein Semester mit Corona

Die digitale Vorlesungszeit ist vorbei, das Fazit gemischt. Immerhin: das Hochschulgesetz wurde angepasst – zu spät, finden Studierendenberater*innen.

Das Eingangstor zur Humboldt Universität ist mit Ketten abgeriegelt.

Alles dicht: Vorlesungen fanden dieses Semester nur am Computer statt Foto: Emmanuele Contini/imago

BERLIN taz | So viele E-Mails wie in diesem Semester hat Paul Wienands noch nie bekommen. „Das Postfach unserer BAföG- und Sozialberatungsstelle ist so voll, dass wir Mühe haben, alle Studierende zurückzurufen“, sagt Wienands vom Asta der Technischen Universität (TU). Besonders zu Beginn der Pandemie hätten viele ihren Job verloren und finanzielle Probleme gehabt, erklärt Wienands. „Ich habe dann geraten, sich als Teilzeitstudierender zu melden, um Arbeitslosengeld II beantragen zu können.“

Seit Freitag sind die Vorlesungen des Digitalsemesters nun vorbei, die Berliner Studierenden wurden in die zoomfreie Zeit entlassen. Während Unis jetzt ihre Evaluationsbögen auswerten, ziehen auch Asten und Studierende ihr Resümee eines Semesters, das viele an ihre Grenzen brachte: Ein knappes Drittel der Studierenden verlor wegen Corona den Job oder war von Einkunftseinbußen betroffen, wie eine nicht repräsentative Umfrage des Ref­rats der Humboldt Universität (HU) unter Studierenden ergab.
 30 Prozent der Teilnehmenden erwogen sogar, ihr Studium wegen der erschwerten Bedingungen abzubrechen.


„Von vielen Studierenden haben wir das Feedback, dass sie die Onlinekurse zu herausfordernd fanden“, sagt Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident für Lehre, Digitalisierung und Nachhaltigkeit an der TU. So habe es etwa an Möglichkeiten zur Gruppenarbeit gefehlt, auch berichteten Studierende von Schwierigkeiten, sich zu Hause zu disziplinieren, erklärt Heiß. Für ihn sei klar: „Trotz großer Anstrengungen werden wir vermutlich im Schnitt nicht den gleichen Lernerfolg erreichen.“



Dass es gelungen sei, einen Großteil der Kurse überhaupt ins Digitale zu übertragen, stimme Heiß hingegen positiv. Auch ein Sprecher der HU zeigt sich zufrieden: 87 Prozent des Lehrangebots könnten von der Uni bereitgestellt werden. An der TU seien es mit etwa 90 Prozent ähnlich viele Kurse, meldet die dortige Pressestelle. Veranstaltungen wie Laborpraktika, Sportkurse oder Exkursionen seien an den Unis hingegen weitestgehend ausgefallen.



Keine zuverlässigen Finanzhilfen

Während sich die Studierenden mit fortlaufendem Semester immer mehr an die digitale Ausnahmesituation gewöhnten, war in den Beratungsstellen noch immer viel los. Zwar habe der Senat Finanzhilfen auf den Weg gebracht, aber diese seien nur unzureichend, kritisiert Juliane Ziegler vom Refrat der HU.

Wie viele Hochschulen hat Berlin? In Berlin gibt es fünf Universitäten, die Charité mitgezählt. Dazukommen fünf Fachhochschulen, drei Kunsthochschulen und zwei konfessionelle Hochschulen.

Wie viele Studierende sind das insgesamt? Rund 194.000 Studierende waren im Wintersemester 2019/20 eingeschrieben, gibt Statista bekannt.

Wie vielen davon fehlte die Technik für das Digitalsemester? Sechs Prozent, wie eine Umfrage des Refrats der Humboldt-Universität ergab. Befragt wurden dafür 4.215 Studierende. (taz)

So müsse die Notfallhilfe des Studierendenwerks von über 500 Euro monatlich neu beantragt werden. Das Geld würden zudem nur diejenigen bekommen, die weniger als 500 Euro auf dem Konto hätten. „Es ist eine Katastrophe“, so Ziegler, „es gibt keinerlei zuverlässige Hilfe für Studierende.“

Auch Paul Wienands vom Asta der TU hält die Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung für zu gering: „Der KfW-Studierenden-Kredit läuft schlecht, weil die Studierenden Angst haben, sich zu verschulden“, sagt der Studierendenberater.

Als gegen Vorlesungsende dann die Unterlagen fürs BAföG-Amt abgeschickt werden mussten, seien viele Studierende verunsichert gewesen. „Es gibt keine einheitlichen Regelungen, was passiert, wenn man die Leistungsnachweise nicht erbringen kann oder die Regelstudienzeit überschritten hat“, sagt Wienands.



Individuelle Regelstudienzeit soll kommen

Eine Änderung im Hochschulgesetz soll das Problem nun lösen. Der Berliner Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach (SPD), erklärte gegenüber der taz: „Es wird eine individuelle Regelstudienzeit eingeführt. Wer BAföG bekommt, kann deshalb also ein Semester länger gefördert werden.“

Zusätzlich hätte die Landesrektorenkonferenz beschlossen, das Semester nur auf Wunsch als Fachstudienzeit zu zählen. Die Änderung gelten erst ab Oktober, laut Krach hätten die Ämter aber schon jetzt eine Weisung, BAföG-Anträge entsprechend zu bewerten.



Für Paul Wienands kommt das zu spät: „Bundesländer wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen haben früher reagiert. Das hätte in Berlin auch passieren müssen.“ Er sei skeptisch, ob die Weisung an das BAföG-Amt die Situation schon tatsächlich verbessert: „Ich glaube, dass da eine handfeste Lösung besser wäre. Etwa eine grundsätzliche Aussetzung der Regelstudienzeit“, sagt der Studierendenberater. Für Wie­nands ist darum sicher: Fragen zu BAföG-Anträgen werden die Beratungsstellen auch weiterhin zahlreich erreichen.



Präsenzveranstaltungen für Erstsemesterstudierende

Was Studierendenvertretungen, Politik und Universitäten mit Blick auf das kommende Semester eint: Der Wunsch nach einer Rückkehr zum Präsenzbetrieb. Für das Wintersemester sei eine Mischung aus Digital- und Präsenzveranstaltungen geplant, teilten die Berliner Universitäten der taz mit.

Hans-Ulrich Heiß von der TU denkt dabei auch an die Bachelor-Jahrgänge: „Wir wollen Erstsemester-Studierende nicht in einem Digitalsemester abspeisen, darum bieten wir für jeden mindestens eine Präsenzveranstaltung an“, sagt Heiß und ergänzt: „Neue Freunde zu finden, gehört zu Studium schließlich dazu.“

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