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Studieren in Zeiten von CoronaKontaktlos bitte

Zum Sommersemester wollen die Unis in Deutschland Vorlesungen und Seminare möglichst digital anbieten. Es gibt aber noch ganz andere Probleme.

Können wir das auch? Ein Professor der Universität Mailand nimmt seine Vorlesung auf Foto: Claudio Furlan/dpa

Berlin taz | Eigentlich sollte Tobias Stutz in diesen Tagen in einem Forschungslabor in München stehen, doch stattdessen sitzt der 23-Jährige in seinem alten Kinderzimmer in einem Reihenhaus in einer hessischen Kleinstadt. Tobias Stutz, Chemieingenieur-Student der TU München, untersucht für seine Bachelorarbeit verschiedene Brennstoffe in der Biomasseverbrennung auf ihre Energieeffizienz. Abgabefrist ist der 8. April.

Das Problem: Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Universität vorletzte Woche sämtliche Gebäude schließen – darunter auch die Laborräume. So wie Stutz geht es vielen Studierenden und Lehrenden an den Universitäten, deren Alltag von den umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus durcheinandergewirbelt wurde.

In ganz Deutschland laufen Hochschulen im Notbetrieb, schließen Bibliotheken, werden Prüfungen abgesagt und Abgabefristen verschoben. Der Start des Sommersemesters wurde vielerorts um eine Woche auf den 20. April verlegt – bei vielen Fachhochschulen ist das sogar ein ganzer Monat später als geplant.

Wie bereiten sich die Hochschulen nun auf den Semesterstart vor? Wie genau der Universitätsbetrieb in den nächsten Monaten aussehen wird, weiß niemand. Klar ist nur: Das Studium wird digitaler. Viele Hochschulen haben bereits angekündigt, die Präsenzveranstaltungen möglichst durch elektronische ersetzen zu wollen. Viele andere Fragen sind aber noch offen.

Nebenjob futsch, was nun?

Fünf, sechs Arbeitstage hätten ihm noch für die letzten Versuche gefehlt, erzählt Stutz, der von Anfang Januar bis zum Beginn der Corona-Pandemie fast pausenlos im Labor stand. Er fange derzeit zwar bereits mit der Auswertung an, „aber das bringt mir nicht viel, wenn der wichtigste Teil der Untersuchung unvollständig ist“, erklärt er. Ein Antrag auf Verlängerung beim Prüfungsamt soll ihm nun etwas Luft verschaffen. Ob Stutz wie geplant im Sommer die letzten Klausuren schreiben und sich dann auf einen Masterplatz bewerben kann, ist nun unklar.

Doch die Coronakrise torpediert nicht nur seine Studienpläne: Stutz jobbt in der Gastronomie, um sich sein Studium zu finanzieren. Laut der aktuellen Sozialerhebung des Studierendenwerks haben mehr als zwei Drittel der Studierenden einen Nebenjob. Mit der Schließung der Restaurants bricht Stutz sein monatlicher Verdienst weg. Das Kurzarbeitergeld greift bei der geringfügigen Beschäftigung nicht. Daher ist der Student vorübergehend zurück zu seinen Eltern gezogen.

Dass die Coronakrise bestimmte Statusgruppen an den Universitäten stark belastet, befürchtet auch Andrea Geier. Die Professorin für Literaturwissenschaft an der Universität Trier hat vor einer Woche gemeinsam mit Paula-Irene Villa Braslavsky von der Ludwig-Maximilians-Universität München und Ruth Mayer von der Leibniz Universität Hannover einen offenen Brief veröffentlicht. Darin rufen die drei Professorinnen und die inzwischen über 9.000 Unterzeichner*innen dazu auf, dass das kommende Sommersemester ein „Nicht-Semester“ werden solle. Die Forderung: Die Lehre soll stattfinden, aber das Semester nicht formal zählen. Das soll unter anderem erwerbstätige Studierende entlasten.

GEW-Hochschulexperte und Gewerkschaftsvize Andreas Keller erkennt noch ein weiteres Problem: Die Hochschulen seien nicht auf eine flächendeckende Umstellung ihrer Lehre auf ein Fernstudium eingestellt: „Dafür sind weder die Lehrenden ausreichend qualifiziert noch gibt es eine dafür geeignete digitale Infrastruktur“, so Keller.

Kreativität gefragt

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Peter-André Alt ist sich hingegen sicher, dass der Studienbetrieb mithilfe digitaler Angebote „zumindest in großen Teilen“ aufrechterhalten werden könne. Alt lehnt den Begriff des „Nicht-Semesters“ ab, auch wenn er die Idee dahinter teile. Niemandem dürften aus der aktuellen Ausnahmesituation Nachteile entstehen, so der HRK-Präsident.

Eine Nichtanrechnung des Semesters auf die Regelstudienzeit etwa beim BAföG oder die Verschiebung von Prüfungszeitpunkten könne da helfen. Zur Zusatzbelastung für die ohnehin oftmals prekär Beschäftigten in der Lehre sagt der HRK-Präsident nichts. Vielmehr fordert er das Lehrpersonal dazu auf, „diese Herausforderungen anzunehmen und auf kreative Weise Lehre in unterschiedlichen Formaten durchzuführen“.

Ob und wie gut das gelingen kann, sei von Seminar zu Seminar unterschiedlich, sagt Andrea Geier. Von ihren fünf Veranstaltungen im Sommer werde sie neben der Vorlesung drei Seminare „größtenteils ganz gut“ digital umsetzen können, erzählt die Literaturwissenschaftsprofessorin. „Es wird viel mehr über schriftliche Arbeiten als über den mündlichen Austausch gehen.“ Ihr Kolloquium dagegen müsse ganz neu geplant werden und werde in Absprache mit den Studierenden, wie und was man gemeinsam arbeiten kann, vermutlich etwas später starten.

Doch auch Banalitäten können in diesen Krisentagen den Lehrbetrieb herausfordern: „Ich stehe bei einem Seminar tatsächlich vor dem großen Problem, dass alle meine Bücher und Unterlagen dafür nicht an dem Ort sind, wo ich sie gerade brauche“, erzählt Geier.

Es kommt auf das Studienfach an

Wie leicht die Umstellung auf digital fällt, hängt auch von der Studienrichtung ab: „Eine physische Bibliothek braucht man in meinem Fachbereich gar nicht mehr unbedingt“, stellt etwa Felix Grün fest. Schließlich seien die meisten wissenschaftlichen Arbeiten als E-Paper zugänglich. Felix Grün, 30, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie und Arbeitswissenschaft der TU Berlin, wo er zum Thema Entscheidungsfindung promoviert.

Im Homeoffice bereitet Grün sein Seminar für das kommende Semester vor. Mit kleinen Video- und Audiobotschaften sowie virtuellen Gruppenaufgaben möchte der Dozent das Lehrangebot digital aufrechterhalten. Auch die Prüfung in Form eines Portfolios aus verschiedenen Prüfungsleistungen sei digital problemlos möglich. Trotz aller Schwierigkeiten überwiegen für Grün die Chancen durch den erzwungenen Digitalisierungsschub: „Die Studierenden können ihre digitalen Kompetenzen schulen und zum Beispiel das Halten eines Referats über Videokonferenz üben.“

Ähnlich optimistisch gibt sich auch die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen (LKRP): Die Berliner Universitäten würden alles in ihrer Macht Stehende organisieren, um für die mehr als 150.000 Studierenden in der Hauptstadt kontaktlose Formate zu entwickeln, Diese sollen möglichst ab dem 20. April eingesetzt werden. Für den Ausbau digitaler Lehr- und Prüfungsformate hat der Berliner Senat bereits zusätzliche 10 Millionen Euro springen lassen.

Ob der digitale Aufbruch so schnell gelingen wird, daran haben viele Studierende und Lehrende ihre Zweifel. Und selbst bei einer funktionierenden digitalen Infrastruktur blieben zahlreiche Fragen und Probleme für die Angehörigen der Universitäten offen. Vor allem für diejenigen, die sich ihr Studium ohne Job nicht mehr leisten können. Fest steht: Dieses Semester wird ein besonderes.

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1 Kommentar

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  • Das mit den externen Job können die Unis nicht regeln. Wer jetzt einen Hiwi job hat, kann homework machen oder digitale Angbeote aufarbeiten.

    Wichtig ist, dass das Semester nicht ausfällt. Lehre digital angeboten wird oder auch Selbststudium gefördert wird und Prüfungen, zu Not mit anderen Formaten stattfinden. Flexible Lösungen sind gefragt. Und vielleicht kommt man an der einen oder anderen Stelle von dem vorgesetzten Lehren und Lernen weg. Universität sollte sowieso mehr sein als eine verlängerte Schule.

    Wenn das Semester nicht ausfällt, kann man auch im Sommer den Abschluss machen und dann in den Beruf oder in ein Masterstudium gehen (die beginnen oft zum Wintersemester - ein Semesterausfall würde also ein Jahr Ausfall bedeuten).

    Dann wird eben das eine oder andere Projekt in der Theorie behandelt (auch in den MINT Fächern) und der Ansatz mal neu durchdacht. Gerade die Unis können das leisten.