Studienplätze im Norden: Ansturm der Hierbleiber
An einigen Hochschulen im Norden herrscht Gedränge um Studienplätze. Das kann an Corona liegen: Es gehen kaum Abiturienten ins Ausland.
31.285 Bewerbungen auf rund 5.780 Bachelor-Studienplätze gingen für dieses Wintersemester bei der Universität Hamburg ein. Das sind sechs Anwärter pro Platz, und 5,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Besonders beliebt sind Biologie, Soziologie, Informatik, Lehramt und Psychologie. Bei letzterem kamen knapp 5.000 Bewerbungen auf 136 Plätze.
Das Problem: Normalerweise wollen drei von vier Abiturienten studieren – aber nicht alle sofort. Viele lassen sich Zeit, gehen erst mal ins Ausland, machen „Work and Travel“, ein freiwilliges Jahr oder ein Praktikum. All dies fällt unter den Begriff „Gap Year“ und ist im Jahr der Corona-Pandemie erschwert worden. Nun konkurrieren die Abiturienten von 2019, die aus dem Pause-Jahr zurückkehren, mit den frischen Abgängern von 2020 um Plätze.
Auch Fegebank räumt ein, dass die Pandemie eine Rolle spielen könne. „Bundesfreiwilligendienste, FSJ, Praktika oder Work and Travel sind für Schulabgänger in diesem Jahr nicht ohne Weiteres möglich“, sagt sie. „Das könnte sich auf die Bewerberzahlen ausgewirkt haben.“
Niedersachsen diesmal kaum Abiturenten
Ein Problem sieht die grüne Senatorin aber noch nicht, da es keine Anzeichen gebe, dass die Studienplätze bundesweit nicht ausreichen. Solche beruhigenden Worte sagt auch Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Er würde sich freuen, wenn Studieninteressierte „nicht unnötig verunsichert“ würden. Bundesweit seien sechs von zehn Studienangeboten „zulassungsfrei“. Er gehe davon aus, dass das System einen „temporären Anstieg“ verkraften würde, „zumal es sich hier nicht um ein Mehr, sondern um einen vorgezogenen Studienbeginn handelt“.
Nur, hilft das Hamburgs Bewerbern? Auch die nächstgelegene Uni, die Leuphana in Lüneburg, nur 35 Metronom-Minuten von Hamburg entfernt, meldet freudig: „Studienbewerberzahlen legen stark zu“. Es gebe fast 11.000 Bewerber für die rund 1.400 Bachelor-Anfängerplätze, ein Fünftel mehr als zuletzt. Die höchste Nachfrage gab es nach Betriebswirtschaftslehre, Umweltwissenschaften und – auch hier – Psychologie. Alle Fächer in Lüneburg sind zulassungsbeschränkt.
Andere norddeutsche Unis, bei denen die taz nachfragt, bestätigen diesen Trend allerdings nicht. Das liegt an einer Besonderheit: Das bevölkerungsreiche Niedersachsen entließ 2020 keine Abiturienten von Gymnasien, weil dort das „Turbo-Abi“ wegfällt und dort die Abiturienten erstmals noch ein 13. Jahr die Schulbank drücken. Gab es 2019 dort rund 32.000 Abiturienten, gibt es 2020 nur jene 9.884 Abiturienten der Gesamtschulen, die den Schülern immer schon bis zum Abi 13 Jahre Zeit ließen.
Dieser Null-Jahrgang bedeutet nun Glück im Unglück. Sollte es als Folge von Corona eine stärkere Nachfrage nach Plätzen geben, rechne man damit, dass dies kompensiert wird, sagt eine Sprecherin des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums.
Das strahlt nach Bremen aus. Auch dort rekrutieren Uni und Fachhochschule ein Drittel ihrer Studierenden aus Niedersachsen. Deswegen habe Bremen weniger Bewerber als sonst, heißt es aus der dortigen Wissenschaftsbehörde. An der Universität Bremen gibt es gegenüber dem Vorjahr gar einen Rückgang der Bewerber um 7,5 Prozent. Dort können sich Anfang Oktober Studieninteressierte noch einschreiben.
Als wenig dramatisch beschreiben auch die meisten übrigen Unis im Norden die Lage. An der Christian-Albrechts-Universiät zu Kiel gingen etwa 17.000 Bewerbungen ein. „Das entspricht ungefähr dem Vorjahresniveau“, sagt Sprecherin Christin Beeck. Die Leibniz Universität Hannover war noch dabei, die Zahlen zu erheben. Die Uni Göttingen meldet mit 12.850 Bewerbungen für zulassungsbeschränkte Studiengänge einen Gleichstand zum Vorjahr. Allerdings gingen dort in sechs begehrten Studiengängen über 20 Prozent mehr Bewerbungen ein.
Koordiniertes Nachrücken
Auch die Carl von Ossietzky Uni Oldenburg teilt mit, die Bewerberzahl liege „auf dem Niveau der vergangenen Jahre“. Das sei angesichts des wegfallenden Abi-Jahrgangs „positiv zu bewerten“. Und die Uni Lübeck teilt mit, es sei „ähnlich“ wie 2019. Die Universität Greifwald äußert sich zu den Bewerberzahlen nicht und verweist darauf, dass dieses Jahr mit früheren noch nicht vergleichbar ist.
Die meisten Hochschulen machen beim „Dialog-orientierten Studienplatz-Vergabeverfahren“ der Stiftung „Hochschulstart“ mit: Dabei bewerben sie sich an mehreren Unis und bekommen nacheinander nur je einen Platz an einem Ort angeboten. „Das Ziel ist, dass Bewerber am Ende nur eine Zulassung erhalten und nicht mehrere Plätze blockieren“, erklärt „Hochschulstart“-Sprecherin Kerstin Lüdge-Varney. Die „Koordinierungsphase“ läuft bis Ende September. Dann wird es etwa auch an der Uni Bremen ein „koordiniertes Nachrücken“ für abgelehnte Bewerber geben.
Allerdings dürfte das Nachfrage-Minus von rund 22.000 aus Niedersachsen rein quantitativ nicht reichen, um den Wegfall von Gap-Year-Aktivitäten und daraus folgende zusätzliche Nachfrage auszugleichen. Bundesweit erlangten 2018 rund 430.000 und 2019 rund 420.000 junge Menschen die Hochschul- oder Fachhochschulreife. Nach dem Abi ins Ausland wollte laut einer Umfrage der „Initiative Auslandszeit“ 2016 etwa jeder vierte.
Linke für Abschaffung von Nummerus Clausus
Und nicht jeder ist mobil und kann sich Studium in einer anderen Stadt leisten. Jeder Fünfte wohnt noch bei den Eltern. Und nicht jede Uni liegt in Pendel-Weite. Hinzu kommt: Auch 2021 könnten das Gap-Year ausfallen.
Müsste also doch die Politik reagieren und einen Puffer schaffen? Dass in Hamburg mehr junge Menschen an die Unis wollen, „ergibt sich daraus, dass Alternativen unter Corona nur schwer möglich sind“, sagt die Hamburger Linke-Abgeordnete Stephanie Rose. Es sei ein Unding, dass so viele Studienfächer einen Numerus Clausus haben, das verstoße gegen das Grundrecht auf freie Berufswahl. Die Stadt müsse ihre Grundfinanzierung für die Hochschulen aufstocken.
Gefragt, ob es Pläne gibt, in Hamburg wegen der besonderen Lage die Kapazität aufzustocken, teilt die Universität mit, dafür habe sie kein Geld. Und Wissenschaftssenatorin Fegebank will zunächst den Semesterstart im November abwarten. Dann könne man ein „klares Bild“ gewinnen und dies auch im Kreis der Kultusminister diskutieren.
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