Studie zur politischen Mitte: Die gespaltene Republik
Eine Studie sieht keinen wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland. Wohl aber eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft.
Seit Mittwoch liegt nun eine wissenschaftliche Untersuchung der aktuellen politischen Gemengelage vor: Die Universität Leipzig hat ihre neue „Mitte“-Studie veröffentlicht. Und die präsentiert einen auf den ersten Blick erstaunlichen Befund: Trotz aller Anti-Asyl-Proteste haben sich rechtsextreme Einstellungen in Deutschland nicht weiter ausgebreitet. Diejenigen aber, die diese Positionen vertreten, treten inzwischen deutlich gewaltbereiter und „enthemmter“ auf.
2.420 Personen haben die Wissenschaftler für ihre Studie in diesem Frühjahr befragt. Als Ergebnis bemerken sie eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft. So lassen sich inzwischen 60 Prozent der Befragten dem aufgeschlossenen, demokratischen Milieu zuweisen – einem Milieu, das die Demokratie klar bejaht und sich politisch einbringt.
Vor zehn Jahren war diese Gruppe noch um 23 Prozentpunkte kleiner. Das Gegenlager der „Vorurteilsgebundenen“ und „Antidemokratisch-Autoritären“ schrumpfte dagegen im umgekehrten Verhältnis auf 40 Prozent.
Auf der anderen Seite aber verbreiten sich über alle Gruppen hinweg Vorurteile, vor allem gegen Muslime, Flüchtlinge sowie Sinti und Roma. So sagen 41 Prozent der Befragten, Muslimen sollte generell die Einwanderung nach Deutschland verboten werden. 59 Prozent werfen Flüchtlingen vor, nicht wirklich verfolgt zu sein. Von einer „gefährlichen Überfremdung“ in Deutschland spricht jeder dritte Befragte. Und die Hälfte fordert, Sinti und Roma aus Innenstädten zu „verbannen“. Auch erschreckend: Immer noch elf Prozent sagen, der Einfluss von Juden sei „auch heute noch zu groß“.
Handgreiflich „für Ordnung sorgen“
Vorurteile, die sich immer mehr in die Mitte der Gesellschaft einschleichen. Denn: Zu den „manifest Rechtsextremen“ zählen die Forscher nur 5,4 Prozent der Befragten – vier Prozentpunkte weniger als noch zu Beginn der Erhebung vor 14 Jahren. Und selbst bei der „Ausländerfeindlichkeit“ – immerhin bei jedem fünften Befragten anzutreffen – gab es einen leichten Rückgang über die Jahre.
Das Problem: Die schrumpfende Gruppe der Demokratieabgewandten radikalisiert sich – und zwar deutlich. Nur noch 13 Prozent aus dem „vorurteilgebundenen-autoritären“ Milieu schenken Parteien Vertrauen, gerade mal jeder Fünfte noch der Bundesregierung. Zudem erklärten 36 Prozent, bereit zu sein, sich mit Gewalt „gegen Fremde durchzusetzen“. Jeder Zweite akzeptiert, wenn andere handgreiflich „für Ordnung sorgten“.
„Die rechtsextrem Eingestellten enttabuisieren nicht nur mit Macht die Ideologie der Ungleichwertigkeit“, warnen die Studienleiter Oliver Decker und Elmar Brähler. „Sondern sie halten auch die gewaltvolle Durchsetzung ihrer Interessen für legitim.“
Tatsächlich setzen sich die Einstellungen längst in Taten um. 1.003 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gab es im vergangenen Jahr – ein einsamer Rekord. Und die Gewalt reißt nicht ab. In diesem Jahr gab es bereits erneut 484 Angriffe auf Unterkünfte, darunter 47 Brandstiftungen. Von einer „bedrohlichen Entwicklung“ sprach jüngst Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU).
AfD als neue Heimat für Rechtsextreme
Was die Studie auch feststellt: Vertreten fühlen sich die Rechtsextremen längst nicht mehr von der NPD – sondern von Pegida oder der AfD. Auch die Bindungskraft der großen Parteien für diese Gruppe lässt nach: Konnten 2014 noch Union und SPD knapp die Hälfte der rechtsextrem Eingestellten an sich binden, ist es 2016 nur noch jeder vierte. „Die Rechtsextremen haben in der AfD eine neue Heimat gefunden“, konstatieren die Autoren der Studie. Mehr als jeder Dritte mit entsprechenden Einstellungen würde heute AfD wählen, 2014 waren es nur 6,3 Prozent.
Befürwortung einer Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus – in allen Dimensionen rechtsextremer Einstellungen sei die Zustimmung der AfD-AnhängerInnen in den vergangenen zwei Jahren gestiegen, so die Wissenschaftler.
Außerdem sind die potenziellen WählerInnen der AfD, was wenig überrascht, besonders islamfeindlich, homophob, sexistisch, antiziganistisch und flüchtlingsfeindlich eingestellt. Hinzu kommt bei den AfD-AnhängerInnen eine niedrige Zustimmung zur Demokratie: Die Staatsform, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben ist, befürworten 52 Prozent, so wie sie tatsächlich funktioniert nur 11 Prozent. Selbst NichtwählerInnen sind weniger skeptisch. Gepaart mit der hohen Abwertung von Minderheiten, ergebe das „eine gefährliche Mischung an Einstellungen“, so die Forscher.
Besorgniserregend ist zudem, dass unter den AfD-Anhängern fast jeder zweite Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung anerkennt. 47 Prozent sind nach Ansicht der Leipziger Wissenschaftler sogar selbst gewaltbereit.
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