Studie zur deutschen Einheit: „Gnadenlos abgewickelt“

Eine Studie stellt fest: Es wächst nicht zusammen, was zusammengehört. Die Ostbeauftragte Iris Gleicke schimpft über die Treuhandanstalt.

„Aufschwung“ war da, der Treuhand zum Trotz: verwitterter Schriftzug in Magdeburg. Bild: dpa

BERLIN taz | „Sind wir ein Volk?“ Dieser Frage geht eine groß angelegte Studie nach, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Am Mittwoch stellte die Ostbeauftragte Iris Gleicke die Ergebnisse in Berlin vor. WissenschaftlerInnen des Hallenser Zentrums für Sozialforschung haben den Zeitraum von „25 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ untersucht. Das Ergebnis: „Vereint, aber noch nicht eins – Ost und West wachsen zusammen“. So jedenfalls formulierte das Iris Gleicke. Die Schere zwischen Ost und West werde kleiner. Im Übrigen seien die Umfrageergebnisse eine „Klatsche für uns Politiker“.

Zeitgleich lief über die Nachrichtenagentur dpa ein aufsehenerregendes Interview mit Gleicke. Anders als man es von ihren Vorgängern in diesem Amt kannte, fand sie klare Worte, was die Rolle der Treuhandanstalt nach der Wiedervereinigung angeht. Die Bundesanstalt war gegründet worden, um im Wiedervereinigungsprozess die Wettbewerbsfähigkeit in Ostdeutschland herzustellen und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen.

Stattdessen wurde „in der Hauptsache der Markt 'bereinigt'. Es wurde also nicht entwickelt, sondern gnadenlos abgewickelt.“ Diese Erfahrung sei für viele Ostdeutsche „traumatisch“ gewesen, so Gleicke. Auch deshalb sei sie nicht bereit, 25 Jahre Wiedervereinigung als „reine Erfolgsgeschichte“ zu verkaufen.

Die an der Studie beteiligten WissenschaftlerInnen richteten ihren Blick vor allem auf die Entwicklung des innerdeutschen Zusammenwachsens. Die allgemeine Lebenszufriedenheit liegt heute bei 83 Prozent im Westen und 76 Prozent im Osten. Nur 62 Prozent der Westdeutschen bewerten die Wiedervereinigung als positiv, im Osten sehen das 77 Prozent so – obwohl Löhne und Renten dort nach wie vor niedriger sind.

Vertrauen in Polizei und Gerichte

Mit der Demokratie als Staatsform sind die allermeisten Deutschen zufrieden, immer mehr jedoch wünschen sich Mitbestimmung, etwa über Volksbefragungen. Das könnte auch erklären, warum immer weniger BürgerInnen mit der praktischen Politik zufrieden sind. Beim Institutionenvertrauen genießen die Polizei und Gerichte das größte Vertrauen der Bürger, während Parteien allgemein, das Europäische Parlament und Politiker auf den letzten Plätzen landen.

Ebenfalls interessant sind die Ergebnisse einer Medienstudie, für die überregionale Blätter wie Süddeutsche Zeitung, die FAZ und die taz untersucht wurden. Demnach dreht sich jeder dritte der 1.884 analysierten Texte über Ostdeutschland um Probleme mit der Wiedervereinigung. Aspekte der Problemlösung werden nur in 3 Prozent der Texte deutlich, während die Problemdarstellung 97 Prozent einnimmt. Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West sind nur in gut jedem zehnten Artikel beschrieben.

Obwohl in der gesamtdeutschen Berichterstattung Unterschiede zwischen Ost und West nach wie vor stärker als Gemeinsamkeiten betont werden, dürfe man nicht zu dem Schluss kommen, es gebe eine gespaltene Wahrnehmung des Wiedervereinigungsprozesses, meinen die Forscher.

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