Studie zu Vielfalt im öffentlichen Dienst: Verwaltung wenig divers
Es mangelt nicht an Konzepten, aber an der Umsetzung. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass Vielfalt in der Verwaltung noch nicht gelebt wird.
Zu Anfang habe er „komische Sprüche“ bekommen. „Ich wusste nicht, dass Türken Schwein essen“ in der Mittagspause. Oder: „Du bist gar nicht wie andere Türken.“ Inzwischen sei er gut angekommen, trotzdem bemerke er im Alltag immer wieder gewisse Vorurteile. „Dass ich hier allein bin, ist kein Zufall“, glaubt Deniz. „Für Menschen mit Migrationshintergrund ist es immer noch schwieriger, einen Job in so einer Behörde zu bekommen.“
Ähnliches legt eine qualitative Studie mit dem Titel „Ein Zeitfenster für Vielfalt“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZim) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) nahe, die der taz vorab vorliegt. „Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. In den Behörden spiegelt sich das aber völlig unzureichend wider“, sagt Susan Javad von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Für die nicht repräsentative Studie haben die Forscher*innen 38 Integrationsbeauftragten und Personalverantwortlichen auf Bundes-, Landes- sowie auf kommunaler Ebene interviewt.
Es ist kein Zufall, dass diese Studie jetzt erscheint. Die Babyboomer*innen gehen bald in Rente. Bis 2036 treten „51 Prozent der aktuell in den öffentlichen Verwaltungen Beschäftigten“ in den Ruhestand ein, heißt es in der Studie. Entsprechend öffne sich „ein Zeitfenster für Neueinstellungen, bei dem migrationsbedingte Vielfalt explizit berücksichtigt werden könnte – wenn der entsprechende politische Willen vorhanden ist“.
Menschen mit einem statistischen Migrationshintergrund machen ein Viertel der Gesellschaft aus. Der öffentliche Dienst ist der größte Arbeitgeber in Deutschland. Zahlen dazu, wie es um die Vielfalt steht, gibt es aber kaum. Die Ebene der Bundesverwaltung hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2016 erstmals untersucht und kam auf 15 Prozent Beschäftigte mit Migrationshintergrund. 2020 soll wegen der „äußerst begrenzten empirischen Datengrundlagen“ die Folgestudie zu „kultureller Diversität und Chancengleichheit“ erscheinen. Die Organisation Citizens For Europe hat 2018 die Berliner Landesbehörden untersucht und festgestellt, dass unter den Führungskräften etwa 11 Prozent einen sogenannten Migrationshintergrund haben – in der Berliner Bevölkerung haben diesen fast ein Drittel.
Problematische Begriffslage
Der Wille, daran etwas zu ändern, ist da. Es gibt auf Bundesebene den Nationalen Aktionsplan Integration, in dem die „interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes“ explizit genannt ist. Berlin, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben eigene Partizipationsgesetze. In verschiedenen Bundesländern werben Behörden wie etwa die Polizei ganz offensiv um Auszubildende mit Migrationshintergrund. Viele Länder haben die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet, alle haben Integrationskonzepte vorgelegt, heißt es in der Studie. „Aber diese Konzepte sind Papiertiger“, sagt Anne-Kathrin Will, eine der Studienautor*innen vom DeZim. „Nur ganz selten gibt es irgendeine Art von Monitoring, und nirgends steht konkret: Dieses Ziel wollen wir in dieser Zeit erreichen, und das sind die Konsequenzen, falls es misslingt.“
Auch fehle eine einheitliche Arbeitsdefinition, wen man eigentlich fördern wolle. Mal müsse für einen Migrationshintergrund mindestens ein Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren sein, mal beide, teils würden laut Studie „Migranten und Migrantinnen, Neuzugewanderte und Menschen mit Migrationshintergrund“ gleichgesetzt. Der Begriff Migrationshintergrund sei ohnehin problematisch, heißt es in der Studie.
„Der Begriff trifft zu oft nicht das, was gemeint ist“, sagt Lucienne Wagner von Citizens For Europe, die die aktuelle Studie externe Expertin begleitet hat. „Er erfasst manche Menschen, die keine rassistische Diskriminierung erfahren, und manche, die es tun, rutschen durch.“ Das zeigte auch die Berliner Untersuchung von 2018: 13 der 17 Befragten mit Migrationshintergrund sagten, sie seien weiß und erlebten keinen Rassismus. Es sei aber scheinbar der einzige Begriff, mit dem die Verwaltung aktuell operieren könne, sagt Wagner. Auch Formulierungen wie „interkulturelle Öffnung“ führten dazu, dass die Zielgruppe als „fremd“ oder „anders“ wahrgenommen werde. „Es braucht eine grundlegende Diskussion über strukturelle Diskriminierung.“
Laut der Studie ist die häufigste Maßnahme eine Ermutigungsklausel in Stellenausschreibungen; also etwa ein „Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund sind erwünscht“. Für Menschen mit Schwerbehinderung oder für die Gleichstellung von Frauen gibt es eigene Gesetze, die deren bevorzugte Einstellung bei gleicher Qualifikation erlauben – bei Menschen mit Migrationshintergrund nicht. Darauf verweisen mehrere befragte Personalverantwortliche in der Studie. „Es wäre enorm hilfreich, wenn es hier eine gesetzliche Klarstellung gäbe“, sagt Will vom DeZim.
Flächendeckende Maßnahmen fehlen
Die öffentlichen Verwaltungen seien „unterschiedlich gut darauf vorbereitet, die bevorstehenden Neueinstellungen für eine Erhöhung des Anteils von Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu nutzen“, heißt es in der Studie. Wegen des bereits existierenden Personalmangels würde vor allem auf kommunaler Ebene bereits gezielt um diese Gruppe geworben, auf Bundes- und Landesebene sei dies „lediglich punktuell“ der Fall. Wichtig sei zudem, dass dies nicht nur bei Positionen mit Migrations- oder Integrationsbezug geschehe, sagt Susan Javad. Es fehlten außerdem flächendeckend Maßnahmen, um auch den Aufstieg in höhere Positionen gezielt zu fördern.
„Viele Maßnahmen konzentrieren sich auf die Ausbildung oder Jobs, in denen man Anweisungen ausführt, statt selbst Entscheidungen zu treffen und zu gestalten“, sagt Javad. „Wir brauchen aber Vorbilder: Wenn Kinder sehen, dass jemand wie sie Referentin im Bundesinnenministerium werden und aufsteigen kann, dann kommen solche Laufbahnen auch für sie eher infrage. Und das fördert dann auch das Gefühl von Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft.“
So sieht es auch Gonca Türkeli-Dehnert, Geschäftsführerin der Deutschlandstiftung Integration. Sie ist selbst beurlaubte Beamtin. Bis sie vor anderthalb Jahren zur Stiftung kam, war sie im Arbeitsstab der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung tätig. „Soweit ich weiß, war ich die erste türkeistämmige Beamtin im Bundeskanzleramt“, sagt sie. „Der öffentliche Dienst muss ein Spiegelbild der Gesellschaft sein, und momentan ist er es definitiv nicht.“ Vor allem in den sichtbaren Positionen, im höheren und gehobenen Dienst, müsse Diversität viel aktiver vorangetrieben. „Die Frage ist doch: Darf ich die Zukunft dieses Landes als Staatsdiener mitgestalten? Stehen mir die gleichen Türen und Aufstiegschancen offen wie Michael?“
Die Deutschlandstiftung Integration plant ab dem kommenden Jahr ein Projekt, um die Attraktivität und interkulturelle Öffnung des öffentlichen Dienstes zu erhöhen. Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollen in Ministerien hospitieren. „Wir wollen Feedback einholen und schauen, wie wir zu mehr Chancengleichheit kommen können“, sagt Türkeli-Dehnert.
Viel von dem, was die aktuelle Studie beschreibt, kann Ali Deniz aus seinem Arbeitsalltag bestätigen. Er selbst hatte Vorbilder: Sein Vater und seine Tante arbeiten im öffentlichen Dienst, ebenso seine Schwester und seine Cousine. Er wusste, was ihn dort erwartet. „Ich kenne aber viele, die haben gar keine Vorstellung vom öffentlichen Dienst, weil das in ihrem Umfeld nicht vorkommt“, sagt er. Auch er berichtet von Ermunterungsklauseln in Ausschreibungen – und tut diese als Formalität ab. „Seit ich angefangen habe, wurde hier eine zweistellige Anzahl an Stellen besetzt – keine mit jemandem mit Migrationshintergrund“, sagt er. „Es gibt hier Leute, da frage ich mich schon, wie die die Stelle bekommen haben. Aber als Migrant musst du heute die Anforderungen immer noch zu 150 Prozent erfüllen, um genommen zu werden.“
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