Diskriminierung auf Ämtern: Keine Vielfalt unter dieser Nummer

Wer kein Deutsch spricht, wird in Berliner Behörden schon mal weggeschickt. Eine Form der Diskriminierung, die fatale Konsequenzen haben kann.

Eingang zum Bürgeramt Spandau.

Kein Deutsch, kein Service: Trauriger Alltag in vielen Bürgerämtern Foto: Karl-Heinz Spremberg/imago images

BERLIN taz | Mit Ämtern ist es oft so eine Sache: Selbst für deutsche Mut­ter­sprach­le­r*in­nen ist Behördensprache häufig schwer zu verstehen. Doch was, wenn die Betroffenen kein Deutsch sprechen? „Berlin hat den Anspruch, eine weltoffene und vielfältige Stadt zu sein, das steht auch so im Koalitionsvertrag“, sagt Karsten Krull von der Fachgruppe Migration der Landesarmutskonferenz (LAK) am Dienstag. „Die Realität ist unserer Erfahrung nach leider eine ganz andere.“

Die LAK wirft den Berliner Ämtern Diskriminierung von EU-Bürger*innen vor. Größtes Problem sei dabei die Sprache. „Menschen werden weggeschickt, weil sie kein Deutsch sprechen“, sagt Krull. Zwar sei Diskriminierung aufgrund von Sprache verboten, passieren würde das trotzdem immer wieder.

Mit teilweise fatalen Konsequenzen: Ahmed Ahmed ist gebürtiger Bulgare und auf der Suche nach Arbeit mit seiner Frau und seinen drei Kindern in diesem Jahr nach Berlin gekommen. Einen Job als Reinigungskraft habe er schnell gefunden, erzählt er am Dienstag mithilfe einer Dolmetscherin.

Doch weil bei den Bekannten, bei denen sie zunächst untergekommen waren, auf Dauer kein Platz für die fünfköpfige Familie war und sie auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt keine Wohnung fanden, wandte er sich an das Bezirksamt. Das ist nach dem Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) verpflichtet, Menschen bei drohender oder bestehender Obdachlosigkeit unterzubringen.

Kein Deutsch, keine Unterbringung

Also ging Ahmed mit dem ausgefüllten ASOG-Antrag zum Sozialamt. Doch statt Hilfe zu bekommen, wurde der 24-Jährige wieder weggeschickt. „Mir wurde gesagt, dass ich wegen der Sprachbarriere keine Beratung bekommen kann“, erzählt er.

Zwei Wochen hätten er, seine Frau und die drei Kinder im Alter von zwei, sechs und sieben Jahren daraufhin auf der Straße gelebt, bis sie jemanden fanden, der für die Familie übersetzt. Mittlerweile wohnen sie in einem Wohnheim, zwar zu fünft in einem Zimmer, aber besser als gar nichts. Doch das Gefühl bleibt: „Wir fühlen uns in Deutschland unerwünscht.“

Ähnlich geht es Maria Coelho. „Hätte ich gewusst, dass es hier so große Probleme mit der Sprache gibt, wäre ich gar nicht hergekommen“, sagt die gebürtige Portugiesin auf Englisch. Ob im Kontakt mit dem Ordnungsamt oder der Polizei, sobald sie frage, ob jemand Englisch spricht, werde abgewunken. Als sie dann ihren Job beim Lieferdienst Gorillas verlor und sich bei der Agentur für Arbeit meldete, sei es noch schlimmer geworden.

Maria Coelho, Einwanderin aus Portugal

„Ich bin eine Bürgerin zweiter Klasse.“

„Mir wurde gesagt: ‚Wir sind in Deutschland, wir sprechen hier Deutsch‘“, erzählt Coelho. Die Mitarbeiterin habe sich geweigert, mit ihr Englisch zu sprechen, und sie mit der Aufforderung, mit jemandem wiederzukommen, der Deutsch spricht, weggeschickt. „Es gab nicht mal die Bemühung, mir zu helfen, nur Feindseligkeit.“Auch bei Coelho bleibt das Gefühl: „Ich bin eine Bürgerin zweiter Klasse. Die aber erste Klasse Steuern zahlt.“

Ourania Kyriakopoulou ist Rechtsanwältin und kennt solche Fälle aus ihrer Arbeit beim Berliner Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit (Bema) sehr gut. „Selbst wenn die Mitarbeiter in den Behörden dieselbe Sprache sprechen, wird es ihnen untersagt, weil die Amtssprache ja Deutsch sei“, berichtet sie. Zwar gibt es durchaus Dol­met­sche­r*in­nen in den Behörden, diese haben laut LAK jedoch teils lange Vorlauffristen oder würden einfach nicht eingesetzt. Das führe dazu, dass Menschen ihre Rechtsansprüche nicht durchsetzen können.

Fachkräftemangel wird dadurch verstärkt

Das ist auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels problematisch. „Das Behördenhandeln ist ein Einwanderungshindernis, weil es durch seine Einsprachigkeit das Ankommen erschwert“, sagt Dirk Heinke, der als Sozialberater bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) arbeitet. Mi­gran­t*in­nen werden auf dem Arbeitsmarkt jedoch dringend gebraucht.

Dirk Heinke, Migrationssozialberater

„Es gibt bei den Behörden kein Verständnis dafür, dass wir in einer vielfältigen Stadt leben.“

Bereits jetzt hat mehr als je­de*r dritte Ber­li­ne­r*in Migrationshintergrund, die meisten davon kommen aus EU-Ländern. „Es gibt bei den Behörden kein Verständnis dafür, dass wir in einer vielfältigen Stadt leben. Sie sehen die Bringschuld nur bei den Zuwanderern“, sagt Heinke.

Dabei ist die interkulturelle Öffnung der Verwaltung erklärtes Ziel der Berliner Regierung – auch unter Schwarz-Rot. Im Koalitionsvertrag haben SPD und CDU eine Machbarkeitsstudie für Übersetzungsleistungen in Behörden vereinbart. Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales plant zusätzlich ein eigenes Pilotprojekt für die Jahre 2024/25 zum Audio-Videodolmetschen in Kooperation mit Bezirksämtern und Ämtern, wie ein Sprecher auf taz-Anfrage mitteilt.

Für die LAK ist das zu wenig. Sie fordert einen flächendeckenden Einsatz von Sprachmittlung per Telefon oder Videochat sowie mehrsprachige Formulare in allen Ämtern.

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