Studie zu Gefahr durch Hitze: 60.000 Hitzetote in Europa
Ein Forschungsteam hat die Zahlen der Hitzetoten in Europa im Sommer 2022 ermittelt. Expert:innen fordern, gerade in Städten auf Prävention zu setzen.
Auf die Einwohnerzahl gerechnet waren es hierzulande 98 Hitzetote pro eine Million Einwohner. Damit steht Deutschland unter 35 europäischen Staaten auf Rang 13. Spanien gehört mit 237 Hitzetoten pro eine Million Einwohner zu den am stärksten betroffenen Ländern, neben Italien (295), Griechenland (280) und Portugal (211).
Der vergangene Sommer war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. „Kleinkinder und alte Menschen sind besonders gefährdet, weil deren Herz-Kreislauf-System noch nicht beziehungsweise nicht mehr so stark ist, was aber nötig ist, um Schwitzen zu ermöglichen“, sagt Jürgen Kropp der taz. Er ist Leiter der Forschungsgruppe Urbane Transformationen am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und war nicht an der Studie beteiligt.
Bei Senioren komme ein verringertes Durstgefühl hinzu, was dazu führe, dass sie oft zu wenig trinken. „Das Wichtigste ist, viel zu trinken, weil erst dadurch der Körper die Körpertemperatur durchs Schwitzen regulieren kann“, sagt Kropp.
Hitze belastet vorerkrankte Körper zusätzlich
Das Forschungsteam hat für die Studie die Zahlen der Hitzetoten über Datenanalysen und Computermodelle ermittelt. Als direkte Todesursache, etwa durch Hitzeschlag oder Sonnenstich, kommt Hitze nur selten vor – in Deutschland in durchschnittlich nur 19 Fällen pro Jahr, wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte.
Um die Zahl der Hitzetoten zu ermitteln, sind die Forscher:innen deshalb auf die Auswertung von Todesfällen und den Vergleich zwischen heißen und weniger heißen Sommern angewiesen. Sterben in Wochen mit hohen Temperaturen mehr Menschen als in vergleichbaren Wochen in anderen Jahren, dann wird diese Übersterblichkeit als hitzebezogen angenommen. Zwar sind die meisten Hitzetoten an einer Vorerkrankung gestorben, doch die Hitze hat den Körper zusätzlich belastet.
Der Forscher Joan Ballester und seine Kollegen werteten mehr als 45 Millionen Todesfälle zwischen Januar 2015 und November 2022 aus, die über 543 Millionen Europäer:innen in 35 Ländern repräsentieren. „Unsere Ergebnisse mahnen eine Neubewertung und Stärkung von Hitzeüberwachungsplattformen, Präventionsplänen und langfristigen Anpassungsstrategien an“, fordern die Studienautor:innen.
Grünflächen, Wasser und Schatten kühlen
Jürgen Kropp vom PIK sagt, es gebe einige Maßnahmen die die Politik vornehmen könne, um die Städte runterzukühlen. „Vor allem geschlossene Grünzüge können dazu beitragen. An heißen Tagen ist es im Grunewald in Berlin zum Beispiel 2 bis 3 Grad kühler als in der Innenstadt.“ Bereiche, in denen man sich von Hitzeerschöpfung erholen könne, seien wichtig. In Spanien etwa würden abends die Straßen mit Wasser besprengt, um die Städte durch Verdunstungskälte zu kühlen.
Außerdem sei Verschattung in den Städten wichtig. Fußgängerzonen könnten beispielsweise mit Sonnensegeln bedeckt oder auch mit Bäumen bepflanzt werden. In Südeuropa sei das bereits üblich. Der Klimaforscher sagt, beim Bauen sollten Materialien verwendet werden, die isolierend wirken, wie Holz. „Fassaden zu begrünen hilft auch gegen Hitze, unter anderem durch die Wasserverdunstung der Pflanzen“.
Hitze kommt immer häufiger vor. Der vergangene Sonntag war in diesem Jahr in Deutschland der bisher heißeste Tag. Die Höchsttemperatur wurde laut Deutschem Wetterdienst mit 38,0 Grad im baden-württembergischen Waghäusel-Kirrlach gemessen. In Europa drohen laut Experten auch wegen der derzeit hohen Wassertemperaturen im Nordatlantik verstärkt Extremwetterereignisse. Der Nordatlantik sei einer der wichtigsten Treiber extremer Wetterlagen sowohl in Europa als auch an der Ostküste Nordamerikas, erklärte die Weltwetterorganisation (WMO) am Montag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin