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Studie zu Ageism in DeutschlandAltersdiskriminierung ist Alltag

Alte Menschen werden in Deutschland regelmäßig benachteiligt, zeigt eine neue Studie. Aber auch Jüngere sind von Ageism betroffen.

Smells like teen spirit Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Berlin taz | Zu Beginn ihrer Amtszeit als Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung hatte Ferda Ataman angekündigt, Altersdiskriminierung zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit zu machen. Am Donnerstag stellte Ataman nun Ergebnisse aus der Studie „Ageismus – Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland“ vor, die als empirisches Fundament für den Kampf gegen Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung gegen Menschen fortgeschritteneren Alters dienen soll.

„Trotz der vielseitigen Ergebnisse der Untersuchung bin ich erschrocken darüber, dass ein signifikanter Teil der Gesellschaft offenbar denkt, ältere Menschen haben zu viel Macht und seien rückschrittlich“, kommentierte Ataman die Studie in der Pressekonferenz. Rund ein Drittel der 2.000 Befragten zwischen 16 und 94 Jahren stimmten der Aussage zu, dass alte Menschen wichtige Berufe und gesellschaftliche Rollen an jüngere Menschen abtreten sollten. Über 50 Prozent würden sogar eine gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren für politische Ämter begrüßen.

Studienleiterin Eva-Marie Kessler, die an der Medical School Berlin forscht, zog in der Begründung dieser Ablehnungshaltung gegenüber älteren Menschen eine weitere Zahl heran: Mehr als die Hälfte der Befragten meinen, dass ältere Menschen nicht entscheidend zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen würden. Insbesondere bei der Bewältigung des Klimawandels: Junge Befragte fühlten sich meist von älteren Menschen im Stich gelassen oder werfen ihnen vor, Veränderung zu blockieren.

Gleichzeitig haben über 15 Prozent der Befragten Altersdiskriminierung selbst erlebt: bei der Bewerbung auf einen Job, eine Wohnung oder einen Kredit und bei ihren Tätigkeiten im Ehrenamt. Ageism – ein Begriff aus der angelsächsischen Forschung – beschreibt hierbei das Phänomen, dass Menschen aufgrund ihres Lebensalters Vorurteilen, Stereotypen und Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Extra-Studie über Diskriminierung Jüngerer geplant

Auch Jüngeren würden regelmäßig Fähigkeiten und Rechte aufgrund ihres Alters abgesprochen, so Ataman. Die Unabhängige Beauftragte kündigte an, dass man Altersdiskriminierung gegen Jüngere in einer weiteren Studie untersuchen wolle. Dass Ageism ein gravierendes, gleichzeitig unbeachtetes Problem darstellt, sei jedoch durch die erste Studie zur Haltung gegenüber älteren Menschen deutlich geworden. „Gerade mit Blick auf den demografischen Wandel ist es wichtig, dass wir über die Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihres Alters stärker aufklären“, appelierte Ataman.

Eine Ursache für die ausbleibende Debatte über Altersdiskriminierung sei auch ein fehlendes geteiltes Verständnis darüber, ab wann ein Mensch als alt gilt: „Für etwa 15 Prozent der Stu­di­en­teil­neh­me­r:in­nen gilt man bereits ab 50 als alter Mensch, für weitere 15 Prozent erst ab 70“, so Studienleiterin Kessler. Ein daraus abgeleiteter Durchschnittswert von 61 Jahren bewertet Kessler als eine niedrige Altersgrenze: Es sei ein grundlegendes Problem, dass man relativ früh als alt wahrgenommen wird. In den Niederlanden läge der Durchschnittswert etwa bei 71 Jahren.

Mangelndes Wissen gebe es auch in Bezug auf den Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft: Zwei Drittel der Befragten überschätzen, wie viele Menschen über 70 in Deutschland leben. Tatsächlich machen über 70-Jährige 18 Prozent der Gesellschaft aus, häufig wurde der Anteil auf über 30 Prozent geschätzt. Begriffe wir Überalterung und Pflegelast würden zu dieser Fehleinschätzung beitragen, so Kessler.

Ataman hob ebenfalls hervor, dass Menschen im fortgeschrittenen Alter oft ausschließlich anhand ihres vermeintlichen gesellschaftlichen Nutzen bewertet werden. “Wenn die Daseinsberechtigung eines Menschen nur über einen spezifischen Nutzen gewährt wird, ist das ein menschenrechtliches Problem“, mahnte Ataman. Sie forderte, den Begriff “Lebensalter“ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen, sodass Altersdiskriminierung als verfassungswidrig gelten würde und umfassender bekämpft werden könne.

Ataman forderte auch, dass Höchstaltersgrenzen für ehrenamtliche Tätigkeiten abgeschafft werden. Mit Blick auf die jüngste Debatte über den Renteneintritt mit 67 forderte Ataman eine flexiblere, menschlichere Diskussion, die sich nicht an starren Vorstellungen von Alter festklammere: “Wir müssen besser verstehen, warum manche Menschen bereits vor dem Regelalter in Rente gehen und Abschläge in Kauf nehmen, andere gleichzeitig aufgrund ihres Alters aus dem Beruf entlassen werden, obwohl sie gerne weiterarbeiten wollen würden“, so Ataman.

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7 Kommentare

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  • Sehe da leider nirgends ein Problem, letzlich weil die Alten das ja prima vorgemacht haben wie mit den jüngeren Generationen umzugehen ist. Junge zu benachteiligen geht gar nicht und ist ein Riesenproblem! Demographisch wahlseitig und zukünftig sowieso.



    Angefangen vom heutigen Standard, dass das Gehalt steigt mit dem Lebensalter bis zu den sonstigen Lasten die auf die Jungen zukommen werden. Alles in Verantwortung der Generation Boomer plus.



    Dass das Thema jetzt auch forschungsseitig aufschlägt! Tja, wen wundert! Hätten die heute Alten das mal vor 30 oder 50 Jahren gegenüber den Jüngeren erforschen und abstellen sollen. Haben sie aber nicht. Klar und jetzt die Gesamtgeselschaft beschallen und eine Opferhaltung einnehmen und Geld bereitstellen lassen. Zeigt übrigens wie falsch die offensichtlich ihre Kinderleins erzogen haben wenn sie jetzt Angst bekommen vor denen. Peinlich eigentlich auf vielen Ebenen.

    • @Tom Farmer:

      Als Vater von jungen Berufstätigen kann ich das nur vollauf bestätigen. Die "etablierten" Kollegen blockieren und sind nicht bereit, flexibel zu sein. Zudem fahren die wohlständigen Alten die Linie "alles richtig gemacht zu haben" und die armen Alten, dass irgendwelche feindlichen "ausländer" oder "Die da oben", die sie selber vorher gewählt haben, an ihrer Situation "schuld" sind.

      • @Klaus Hübner:

        Ich kann mir sehr gut vorstellen, warum die "etablierten" Kollegen bei manchen Dingen blockieren. Die werden das nur aufgrund von Lehren, die auf in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen beruhen, machen. Und diese Erfahrungen müssen die jungen Berufstätigen halt erst machen.

        Oder glauben Sie, die machen das nur, um die jungen Berufstätigen zu behindern?

        Ich für meinen Teil habe in meinem Berufsleben von Ratschlägen und Erfahrungen der Älteren Semester mehr profitiert als Schaden davongetragen...

  • Am Arbeitsmarkt ist die Altersdiskriminierung besonders auffällig. Wer mit 55 noch einen neuen Job sucht, hat es schwer, auch wenn er arbeiten will und kann.



    Da sind die USA mal vorbildlich: In Bewerbungsschreiben und Arbeitsverträgen nennt man sein Alter nicht, das geht den Arbeitgeber einfach nichts an und der weiß oft gar nicht wie alt seine Angestellten sind.

  • Das Thema ist viel zu komplex. Es mag Vorurteile geben, sie mögen teilweise zutreffen und trotzdem ist die ganze Beurteilung fragwürdig. Wenn man sich die politische Haltung und die Umweltbilanz ansieht, dann sind eher nicht die Alten dass Problem, sondern die extrem konsumorientierten Mittelalten. Die Jungen bringen zwar das richtige Denken mit, verkennen aber ihr eigenes Verhalten. Heutige 80jährige kommen vielleicht auf eine Handvoll Flugreisen in ihrem Leben, die haben auch die meisten heute 14jährigen schon auf dem Buckel. Neues ist gut und wichtig, Erfahrung aber auch, und das stärkere Sicherheitsbedürfnis in zunehmendem Alter ist natürlich. Fazit: man sollte sich schon gegenseitig ordentlich kritisieren und hinterfragen, sich selber aber auch.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Die Zukunfts-Ignoranz, die daraus spricht ist typisch. Reduziert auf hohe Komplexität wird nicht nach Ursachen geforscht, sondern nur postuliert.



      Es ist kein wissenschaftlich-soziologisches Problem, sondern basiert auf alltägliche Fakten einer überalterten Gesellschaft, in der sich die Alten eingerichtet haben. In Konsequenz werden die schlauen jungen Menschen gehen und die Alten brauchen Ersatz, um die selbstignorierten Probleme durchzuwursteln. Selbsterkenntnis und Konsequenz der Selbstbeschränkung darf ja nicht gefordert werden.

  • Auch die Presse bedient sich solcher Vorurteile. Gerade bei Unfällen wird gerne das Klischee bedient, und das Alter der Senioren angegeben.