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Studie über KondomnutzungGebt Gummi!

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

Eine Studie der WHO zeigt, dass Jugendliche seltener Kondome benutzen als noch vor 10 Jahren. Jetzt ist dringend Aufklärung nötig.

Ästhetisch ist es nicht gerade: das Kondom Foto: TONY CENICOLA

S ex quillt aus allen Löchern. Pornos sind so leicht verfügbar wie nie zuvor. Gerade in westlichen Ländern können die meisten schlafen, mit wem sie wollen. Man würde denken, die Welt sei aufgeklärter denn je. Eine neue Studie der WHO beweist das Gegenteil.

Zwar hat die Jugend noch genauso viel Sex wie vor 10 Jahren – unter 15-Jährigen gibt ein Fünftel der Jungen und ein Siebtel der Mädchen an, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben –, jedoch ist der Gebrauch von Kondomen drastisch zurückgegangen. Ungefähr ein Drittel der Befragten in Europa, Zentralasien und Kanada sagen, dass sie beim letzten Mal kein Kondom benutzt haben. Das sind 9 Prozent mehr als noch 2014.

„Die sind unbequem“, „Viel zu klein“, „Man spürt mit denen nichts“ – jeder, der schon mal mit einem Penisträger Sex hatte oder heterosexuelle Betroffene kennt, wird diese Ausreden gehört haben. Sie mögen inhaltlich teilweise stimmen, sind aber völlig irrelevant in Anbetracht dessen, dass die Alternativen zum Gummi eine ungewollte Schwangerschaft oder sexuell übertragbare Krankheiten sein können. Wenn das ein ganzes Drittel der Jugendlichen nicht versteht, läuft etwas gehörig falsch.

Vielleicht ist es an der Zeit, sich einzugestehen, dass die 60-jährige Biolehrerin in der Schule nicht die richtige Person ist, Sexualkompetenz zu vermitteln. Denn Sexualbildung darf nicht verkümmern.

Neue Prüderie?

Dabei sind Informationen über Verhütung und Safe Sex zugänglicher denn je, klären Fachleute doch kostenlos und zahlreich in sozialen Medien auf. Und nicht nur da: Auch in TV-Sendungen, Filmen und Büchern spielt Sex eine enorme Rolle. Aber dann gibt es da noch die andere Seite der sozialen Medien – und auch im analogen Leben – wo Sex weiterhin ein Tabuthema, beschämend, sündhaft, schlichtweg falsch ist. Das Kondom, eine Waffe des Teufels.

Und trotzdem: Selbst bei aufklärerischen Inhalten bleibt die Frage, ob sich Jugendliche diese überhaupt ansehen. Eine Studie der US-amerikanischen Universität UCLA zeigt, dass junge Menschen finden, dass Sex im TV oder in Filmen überrepräsentiert ist. Die UCLA begründet das damit, dass Jugendliche ihr Sexualverhalten in den Medien nicht richtig abgebildet sehen. Etwa 48 Prozent der Befragten gab an, dass sexuelle Inhalte gar nicht nötig seien.

Wächst etwa eine neue Generation der Prüderie heran? Ist es ihnen unangenehm, über Sex zu reden, auch wenn sie ihn haben?

Kondom-Amnesie wegen Alkohol und Drogen

Dass das der Fall ist, zeigt auch die erschreckende Zahl derer, die nicht wissen, ob sie beim letzten Mal verhütet haben: Die WHO zählt, dass 9 Prozent der Jungen und 7 Prozent der Mädchen nicht wussten, ob sie selbst oder ihr Partner ein Kondom benutzt hatte. In den Köpfen vieler Mädchen ist das vielleicht noch immer „Männersache“.

Die WHO vermutet hinter denen mit Kondom-Amnesie auch Alkohol und Drogen. Doch sich betäuben zu müssen, um seine Sexualität ausleben zu können, damit die Scham nicht im Weg steht, ist schon ein Beweis für Prüderie – der allerdings nicht nur auf die Jugend zutrifft.

Hinzu kommen Klassenunterschiede: Aufklärung über Safe Sex ist nicht für alle gleich zugänglich. Die Studie zeigt, dass Jungen aus einkommensstarken Familien um 10 Prozent häufiger angaben, Kondome zu benutzen, während Jugendliche aus einkommensschwachen Familien häufiger gar nicht verhüten.

Gonorrhoe und Syphilis sind zurück

Seltsam ist aber, dass auch in wohlhabenden Ländern Kondome unbeliebt sind: Das Paradebeispiel dafür ist Schweden, mit anderen skandinavischen Ländern die Hochburg für Chlamydien, wo ganze 43 Prozent der Jungen und 68 Prozent der Mädchen angaben, keine Kondome zu benutzen – die höchste Rate aller Befragten.

Der Grund? Die Angst vor ernsthaften Konsequenzen ist gesunken, und man wiegt sich unbesorgt in den sicheren Armen der Wissenschaft. Sexuell übertragbare Infektionen sind so gut heilbar wie nie zuvor. Chlamydien wird man schnell wieder los, und auch Tests sind dort umsonst. Dafür kommen altertümlich klingende Krankheiten, die nicht so leicht zu behandeln sind, etwa Syphilis oder Gonorrhoe, zurück. Das Bewusstsein dafür, wie präsent diese Krankheiten geworden sind, fehlt nicht nur unter Jugendlichen.

Klar ist eins: Wo man hinblickt, fehlt Wissen. Vielleicht brauchen Eltern eine Schulung darin, wie sie ihren Kindern auf weniger unangenehme Art die Sache mit den Bienen und Blumen erzählen können. Vielleicht braucht es heißere Biolehrer_innen, damit man sich besser auf das, was sie einem erzählen, einlassen kann. Vielleicht muss ein aufklärerischer Aspekt oder reale Darstellungen in Pornos verpflichtend sein. Klar ist: Auf irgendeine Art wird man den jungen Menschen das Gummi schmackhaft machen müssen.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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9 Kommentare

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  • Wäre ein 60-jähriger männlicher Biolehrer besser geeignet, um den Schülern qualifizierten Sexualkundeunterricht zu geben?



    Oder wäre vielleicht eine 25-jährige Biolehrerin besser geeignet?



    Oder ist gar ein 25-jähriger männlicher Biolehrer die richtige Person, um Sexualkompetenz zu vermitteln?



    Frau Catil, Ihre Aussagen sind frauen- und altersdiskriminierend. Ich weiß, Demkschablonen (und das ist die 60-jährige Biolehrerin auf jeden Fall) ändern sich nur langsam, dennoch hoffe ich, so eine Bemerkung in, sagen wir mal, 10 Jahren nicht mehr lesen zu müssen.

  • Den Absatz mit der 60-jährigen Biolehrerin finde ich auch etwas zu plakativ. Und auch nicht wirklich passend platziert an dieser Stelle des Artikels.

  • Die 60-jährige Biolehrerin wurde sehr wahrscheinlich noch vor der Entdeckung von AIDS sexuell aktiv d.h. sie hat den Übergang vom unbeschwerten Vögeln dank Pille zu nur noch mit Gummi oder der Tod droht miterlebt. Sie gehört also zu der Generation, der es zu verdanken ist, dass Kondome vom schamhaften Einzelverkauf in der Apotheke ihren Weg in die Supermarktregale bei Edeka und im Frauentoiletten gefunden haben.

    Warum sollte sie also nicht qualifziert sein? Sie hat in ihem Leben höchtwahrscheinlich mehr gevögelt als die versammelte Schulklasse vor ihr.

    Die Autorin schein ein sehr prüdes Verständnis vom Sexualleben der heute 60-Jährigen zu haben.

    • @The61YearOldHippy:

      "Die Autorin schein ein sehr prüdes Verständnis vom Sexualleben der heute 60-Jährigen zu haben."

      Die Welt ist ja auch signifikant prüder geworden.

  • "Vielleicht ist es an der Zeit, sich einzugestehen, dass die 60-jährige Biolehrerin in der Schule nicht die richtige Person ist, Sexualkompetenz zu vermitteln. Denn Sexualbildung darf nicht verkümmern."

    Sind nicht in erster Linie die Eltern verantwortlich? Sie haben doch auch ein großes Interesse daran, dass Vorsicht waltet. Wenn solche Dinge in der Familie nicht angesprochen werden, läuft dort viel schief.

    Oder ist ein großer Teil der Jugend nur noch über TikTok & Co. ansprechbar? Dann braucht es dort Kondom Influenzier.

  • Och Jungs, gebt doch bitte nicht so an. In dem Alter sind die Mädels weiter als wir.

  • Die PReP sollte in dem Zusammenhang auch nicht vergessen werden. Die Safer Sex Kampagnen sind weg vom Kondom hin zur medikamentösen Vorsorge. Was HIV angeht ist das wohl tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Aber der Rest, den man mit Kondomen zumindest bremsen konnte, fällt da halt hinten runter.

    • @Helmut Fuchs:

      Naja. Für die Zielgruppe der PrEP stimmt das ja schon deshalb nicht, weil man sich alle 3 Monate testen lassen muss wenn man sein neues Rezept abholt - andererseits gehören Jugendliche eher nicht zu besagter Zielgruppe. Pluspunkte, wenn der PrEP-Arzt auf das Rundumpaket von Impfungen bei den betreuten Patien:innen besteht.

      • @Garak:

        Ich schrieb von Kampagnen. Vor Jahren wurde überall plakatiert, dass Kondome schützen. Jetzt sehe ich nur noch Plakate, die darauf Hinweisen, dass man zum Arzt gehen soll, wenn‘s juckt. Da hat sich also durchaus was verschoben in der Öffentlichkeitsarbeit.