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Stromstreit in AfghanistanDie Spannung steigt

In Afghanistan fühlen sich tausende Mitglieder der Hasara-Minderheit diskriminiert – und protestieren. Grund ist der Verlauf einer Stromleitung.

TUTAP – so heißt das Verteilersystem, das Zentral-Afghanistan durchlaufen soll Foto: dpa

KABUL taz | Zwar sind die großen Straßenproteste in Kabul um den Verlauf einer neuen Stromtrasse, die Afghanistans Defizite in der Elektrizitätsversorgung beenden sollen, erst einmal vorbei. Angekündigte Platzbesetzungen fanden nicht statt. Kabuls Polizei räumte inzwischen die Barrieren aus Containern weg, die am Montag den Demonstranten den Marsch auf den Präsidentenpalast versperrt hatten.

Die Proteste waren erstaunlich friedlich geblieben. Die „Erleuchtungsbewegung“, ein Bündnis sozialer Aktivisten und politischer Parteien überwiegend aus der Minderheit der Hasara, hatten sie sehr gut organisiert. Es gab Sammlungspunkte mit Toilettenhäuschen, Ordner, eine Sondertruppe in orangefarbenen Westen, die sogar den Müll der Demonstranten einsammelte. Wo es brenzlig wurde, überreichte man und auch frau den Polizisten Blumen. So blieb der einzige Zwischenfall der Versuch einiger Hitzköpfe, eine Containersperre zu überwinden, worauf die Polizei sie im hohen Bogen mit einem Wasserwerfer besprühte.

Anlass für die Proteste ist der Streit um den Verlauf eines kurzen Teils einer Leitung in einem Verteilersystem namens Tutap, nämlich wo genau sie das Hindukusch-Gebirge in Zentral-Afghanistan überqueren soll. Tutap steht für die beteiligten Länder: Turkmenistan – woher aus Gas gewonnene Energie nach Mittel- und Südasien strömen soll –, Usbekistan, Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan.

Die Kabuler Regierung hatte für die Hindukusch-Querung ursprünglich die von Hasara bewohnte Provinz Bamian westlich von Kabul vorgesehen, dann aber ihre Meinung geändert. Sie schwenkte auf den Salang-Pass nördlich von Kabul um, wo vor allem Tadschiken leben, machte das aber nicht öffentlich. Als Hasara-Mitglieder der Regierung das bemerkten, begannen die Proteste.

Es ist auch ein ethnischer Konflikt

Der Marsch von über 10.000 Demonstranten hat die Regierung von Präsident Aschraf Ghani unter Druck gesetzt. Noch am Montagabend benannte er eine Kommission, die binnen zehn Tagen eine Lösung finden soll. Eine Mitarbeit in der Kommission lehnte die Führung der Protestbewegung, die eine Laterne im Wappen führt, aber am Mittwoch ab. Sie besteht auf Rückkehr zum ursprünglichen Verlauf. Die Regierung argumentiert mit höheren Kosten der Bamian-Route, die aber längst schon bekannt waren.

Grafik: taz

Die Hasara sind eine doppelte Minderheit, ethnisch und als Schiiten auch religiös. Seit Entstehung des afghanischen Staates wurden sie diskriminiert. Nach dem Sturz der Taliban, unter denen sie besonders litten, wurden sie rechtlich gleichgestellt. Doch existieren weiter starke gegenseitige Vorurteile, auch wenn die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten weit entfernt von denen in Syrien oder Irak sind. Versuche von Terrorgruppen, mit Anschlägen gegen schiitische Einrichtungen ähnliche gewalttätige Konflikte auszulösen, schlugen bisher fehl.

Dennoch hat der Streit, der eigentlich technischer Natur ist, eine zunehmend ethnische Färbung bekommen. Und er treibt unschöne Blüten. Paschtunische Ethnonationalisten, von denen einige in Regierungspositionen sitzen, bezeichneten öffentlich alle Nichtpaschtunen als „Fremdlinge“.

Die protestierenden Hasara werfen deshalb dem Präsidenten, einem Paschtunen, systematische Diskriminierung vor. Bei Protesten bei einem Ghani-Auftritt in London am vorigen Wochenende wurde er als „Rassist“ beschimpft. Im jetzigen Klima ist zu befürchten, dass die Entscheidung der Tutap-Schlichtungskommission, wie immer sie ausfällt, zu neuen Protesten führt.

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