Ströbele, Snowden und Asyl: Versuchen wir das Unmögliche
Christian Ströbele landet mit seinem Moskau-Besuch einen Coup. Und er sucht nach einem Weg, dem Whistleblower Asyl in Deutschland zu gewähren.
BERLIN taz | Christian Ströbele ist gerade, vor ein paar Stunden, aus Moskau zurückgekommen und hat sehr gute Laune. Er habe im Juni Bundesregierung und Generalbundesanwaltschaft aufgefordert, Edward Snowden zu kontaktieren. Leider erfolglos.
„Da dachte ich: Dann mache ich es eben selber“, so Ströbele vor Hunderten von Fotografen und Journalisten in Berlin. Er ist der Star des Tages, blaues Jackett, roter Schal, weiße Haare. Es ist seine Performance, er tritt auf als Mixtur aus Anwalt, der professionell schweigen kann, und als Sponti, der einfach mal macht.
Und als Politiker, der etwas will. Etwas, was gerecht wäre, aber unwahrscheinlich ist. Nämlich Snowden zu Asyl in Deutschland zu verhelfen. Aber man muss laut einem verwitterten Sponti-Spruch auch Chancen nutzen, die es nicht gibt. Gerade die.
Drei Stunden haben Ströbele und Snowden in Moskau diskutiert. Man habe viel, schnell, intensiv geredet. Und der Grüne ist begeistert von dem Whistleblower: „Gut drauf“ sei der, ein reflektierter junger Mann, und „ganz bestimmt kein Feind der USA“. Sondern ein Moralist, der keinen anderen Weg sah, auf Straftaten der NSA aufmerksam zu machen. Ein Held der Aufklärung, dem wir viel verdanken.
Der Ex-NSA-Mann „weiß viel“, berichtet Ströbele. Aber was, das will der grüne Rechtsanwalt nicht sagen. Niemandem. Auch nicht der Kanzlerin, wenn sie fragen würde.
Eine kühne Hoffnung
Dieses verabredete Schweigen war die Voraussetzung für das Gespräch in Moskau. Snowden hat in Russland bis zum Sommer 2014 Asyl. Was danach kommt, ist unklar. Er hat allen Grund, sich Sorgen zu machen Die USA haben in Deutschland schon mal vorsorglich ein Auslieferungsgesuch gestellt für den Fall, dass der Verräter deutschen Boden betritt.
Die Bundesregierung hat es noch nicht bewilligt. Nochjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sträubt sich. Doch ginge es nach manchen Unionsministern, hätte Deutschland längst auch dabei in vorauseilendem Gehorsam vor den USA kapituliert.
Snowdens einziges Kapital in dieser bedrohlichen Lage ist sein Wissen. Er hat dem Grünen beim Abschied einen Brief in die Hand gedrückt, in gedrechselter, formelhafter Sprache. „Ich hoffe, dass ich, wenn ich die Schwierigkeiten meiner humanitären Lage überwunden habe, mich verantwortungsvoll und gesetzestreu an der Aufklärung der Sachverhalte beteiligen kann“, steht am Schluss. Übersetzt ist das ein Angebot, vielleicht auch ein Ruf nach Hilfe. Snowden wird Informationen liefern, gegen einen sicheren Hafen. Aufklärung gegen Asyl.
Es ist eine kühne Hoffnung, dass ausgerechnet Angela Merkel wegen des von den USA als Staatsfeind gesuchten Edward Snowden einen Konflikt mit Obama riskieren könnte. Aber wenn, dann gibt es die Chance jetzt – nachdem klar ist, dass die USA die Kanzlerin und die gesamte politische Klasse bespitzelt haben. Das ist wohl auch der Grund, warum Snowden den grünen Politiker, der schon lange nach Moskau kommen wollte, gerade jetzt traf.
In der Trommel ist noch eine andere Möglichkeit. Nämlich dass das Parlamentarische Kontrollgremium oder ein NSA-Untersuchungausschuss, den es allerdings noch nicht gibt, Snowden als Zeugen befragt. Das könnte auch in Moskau geschehen. Doch der Ex-NSA-Mitarbeiter habe da „erhebliche Vorbehalte“, so Ströbele, die er allerdings nicht zu erläutern befugt sei.
Humanitäres Aufenthaltsrecht auf Dauer?
Doch wenn man Ströbeles Puzzle aus Andeutungen, Zwischentönen und Auslassungen eigenhändig zusammensetzt, ergibt sich doch ein Bild. Skeptisch ist Snowden wohl nicht deshalb, weil die russischen Behörden mitspielen müssten, was schwierig würde, sondern weil eine solche Aussage dem von lebenslanger Haft Bedrohten nicht viel nutzt, eher sogar schadet. Denn seine Chancen jenseits von Moskau, am liebsten offenbar in Deutschland oder Frankreich Asyl zu bekommen, steigen nicht gerade, wenn er schon vorher Informationen liefert.
Entsprechend vorsichtig ist Ströbele auch angesichts der neuen, flexibleren Linie, die Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Freitag antickte. Bislang schien Snowden für die Bundesregierung nicht zu existieren, schon gar nicht als jemand, mit dem Gesprächsbedarf besteht. Nun ventilierte Friedrich, dass sich die Bundesregierung irgendwie doch vorstellen könne, mit dem Whistleblower zu reden. Mit dem Mann, ohne den Merkel noch immer von der NSA abgehört würde. Doch Ströbele schränkt ein: Falls der Bundesregierung vorschwebe, „mal einen BND-Beamten nach Moskau zu schicken, um dort ein Haufen Material abzuholen“, könne sie das gleich wieder vergessen.
Ströbele hofft auf etwas anderes: dass Snowden in Deutschland als Zeuge in der Causa „Großer Lauschangriff der USA“ aussagen wird. Die Bundesregierung könnte dem Staatenlosen dafür ein humanitäres Aufenthaltsrecht einräumen – auch dauerhaft. Auch das Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten könnte man umschiffen, wenn Snowden als politisch Verfolgter behandelt würde. Rechtlich geht viel, wenn der politische Wille da ist.
Das klingt, als könnte es eine Art Königsweg sein. Wenn man will. Aber bei der Merkel-Regierung ist dies wohl nur ein ganz dünner Steg.
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