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Streit unter Türken in DeutschlandAls Gülen-Anhänger angefeindet

Nach dem Putschversuch in der Türkei steigen auch in Deutschland die Spannungen zwischen Erdoğan-Anhängern und -Gegnern.

Zeigt ihre Überzeugung: Demonstrantin gegen den Militärputsch in Berlin Foto: dpa

Berlin taz | Ein Aushang an einer Ditib-Moschee in Hagen fordert „Vaterlandsverräter“ dazu auf, draußen zu bleiben. In Gelsenkirchen belagern am Samstagmorgen rund 150 Erdoğan-Anhänger über Stunden einen Jugendtreff der Gülen-Bewegung, sie werfen zwei Fensterscheiben ein. Die Spannungen in Folge des Putschversuchs in der Türkei reichen bis nach Deutschland.

Ercan Karakoyun ist Geschäftsführer der „Stiftung Dialog und Bildung“ in Berlin, einem deutschen Ableger der sogenannten Gülen-Bewegung. Die Anhänger des türkischen Geistlichen betreiben in Deutschland nach eigenen Angaben etwa 160 Nachhilfevereine, 30 Schulen und rund ein Dutzend Dialogvereine.

„Es geht nicht um Gülen. Das ist nur ein Vorwand, um diese Säuberungen durchzuführen“, sagt Karakoyun. Er spricht von einer „Hexenjagd“. Die meisten Gülen-Anhänger in der Türkei seien schon vor drei Jahren aus ihren Ämtern entfernt worden, als es zum offenen Bruch zwischen Erdoğan und Gülen kam. „Jetzt geht es gegen alle, von denen er nicht genau weiß, wohin sie gehören.“

Das mache sich auch hierzulande bemerkbar. So würden WhatsApp-Nachrichten mit dem Aufruf, Gülen-Anhänger bei den türkischen Behörden zu melden, in der türkischen Community die Runde machen. Auch gebe es Anfeindungen und Aufrufe, nicht bei Gülen-Leuten einzukaufen. „Aber der Supermarktleiter in Berlin hat doch nichts mit dem Putsch in der Türkei zu tun“, empört sich Karakoyun. „Für mich ist unverständlich, dass die Moscheeverbände nicht mäßigender wirken“, kritisiert er. „Sie sollten sich viel stärker gegen jede Anwendung von Gewalt aussprechen.“

Das findet auch Aziz Aslandemir, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Alevitischen Gemeinde in Deutschland. „Die, die jetzt auf die Straße gehen, folgen organisierten Aufrufen“, sagt er. „Das ist ihr gutes Recht. Aber man muss sich dabei von jeder Gewalt distanzieren.“

Unterstützung für Erdoğan

In vielen deutschen Städten sind seit dem Putschversuch bundesweit Hunderte Deutschtürken auf die Straße gegangen, um türkische Fahnen zu schwenken oder ihre Unterstützung für den türkischen Präsidenten Erdoğan zu bekunden.

Es gibt bereits erste Aufrufe, nicht mehr bei Gülen-Leuten einzukaufen

Die großen Islam-Verbände haben den Putschversuch in der Türkei scharf verurteilt und ihre „Solidarität mit den Menschen in der Türkei und der Demokratie“ bekundet. So steht es in einer Erklärung der Türkisch-Islamischen Union (Ditib), die dem Religionsministerium in der Türkei unterstellt ist. Darin heißt es auch: „Weder in der Türkei noch in Deutschland oder anderswo auf der Welt darf Gewalt als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung angewandt oder befürwortet werden.“

Aslandemir reicht das nicht. „Wir lehnen selbstredend auch jeden Putsch ab“, sagt er. „Die Entwicklungen in der Türkei beunruhigen uns aber als Demokraten und Aleviten. Die Säuberungen richten sich gegen alle, die Erdoğans System im Weg stehen.“

Die Übergriffe auf Stadtviertel, in denen vor allem Linke, Aleviten und Kurden leben, haben in seinen Augen das Ziel der Einschüchterung. Er kritisiert: „Das Demokratieverständnis der großen Islam-Verbände lässt zu wünschen übrig, das hat man schon nach der Armenien-­Resolution des Bundestags ge­sehen.“

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5 Kommentare

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  • Eigentlich sollte die Sache doch klar sein.

    Ein durchgeknallter Diktator schießt sich gerade den Weg zur Allmacht frei. Mit Säuberungen, Denunziantentum, Aufruf zur Diskrinminierung Andersdenkender. Er versteht es, eine linientreue Anhängerschaft hinter sich zu ziehen, alle anderen jubeln aus Angst mit. Fast 1:1 wie bei uns in den frühen 1930-ern.

     

    Aber was haben wir damit zu tun? Deutschland ist eine Demokratie. Da darf jeder für oder gegen etwas sein und das auch äußern. Dafür darf man nicht bestraft, diskriminiert, eingeschüchtert werden. Aber genau das passiert gerade. Vor den Augen der Öffentlichkeit. "Kauft nicht bei XY-Anhängern", Morddrohungen... Eigentlich, nach unseren Werten, müssen die Urheber solcher Machenschaften herausgefangen und bestraft werden. Oder ausgewiesen. Schickt sie dahin, wo der Pfeffer wächst, hier haben sie nichts verloren.

    Aber wahrscheinlich hat unsere Politik einfach nicht genug Schneid dafür.

  • „Weder in der Türkei noch in Deutschland oder anderswo auf der Welt darf Gewalt als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung angewandt oder befürwortet werden.“

     

    Ob das der Herr Erdogan wohl unterschreiben würde? Schwerlich!

    Aber in der Türkei wird das ja auch nicht befürwortet sondern umgesetzt. Wehrlose Soldaten, die sicherlich nicht gefragt wurden, ob sie an dem Putsch teilnehmen möchten, zu lynchen ist sicherlich kein Mittel der gewaltfreien Auseinandersetzung.

  • "Vaterlandsverräter", "Sauberungen", "Auch gebe es Anfeindungen und Aufrufe, nicht bei Gülen-Leuten einzukaufen."

    Die Türkei ist auf den Weg in den Faschismus und die Bundesrepublik sollte schnellstens Gesetze erlassen, die die Wehrhafte Demokratie auch herstellt von der immer die Rede ist.

    Wer dazu aufruft andere zu diskriminieren und das auch noch umsetzt hat in unserer freiheitlichen Gesellschaft nichts zu suchen.

    Die Unterwanderung ist immer erklärtes Ziel der Nationalisten, da sollte man auch nicht zu gutmütig sein. Verhältnismäßigkeit gilt auch hier und zu was Faschisten bereit sind haben wir in Deutschland gelernt.

  • Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Gedankengut des Faschisten Erdogan auch das Gedankengut vieler in DE lebender Türken ist.

    Was folgert daraus? Ich überleg noch.

    • @Tom Farmer:

      Ich habe immer das Gefühl gegen Windmühlen anzulaufen, wenn ich diese Frage stelle.

       

      Bei vielen Linken habe ich das Gefühl - das überhaupt begriffen möchte - was begriffen werden sollte.