Streit um doppelte Staatsbürgerschaft: Alle Jahrzehnte wieder

Alte Muster, sachter Fortschritt: Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven liefert einen Beitrag zur wieder sehr aktuellen Einbürgerungsdiskussion.

Blick in den "Saal der Debatten" im Deutschen Auswandererhaus

Im „Saal der Debatten“ erinnern lebensgroße Figuren an Demos von einst Foto: Ilka Seer/Deutsches Auswandererhaus

BREMERHAVEN taz | Erinnern Sie sich noch an diese Debatte, damals, um die Jahrtausendwende? Es ging um leichtere Einbürgerungen, um die Frage, wer zu uns gehören, wer einen deutschen Pass bekommen kann. Roland Koch von der CDU wollte gerade Ministerpräsident in Hessen werden und startete deshalb eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Mit Erfolg: Vier Millionen Unterschriften sammelte die CDU bundesweit, Koch gewann die Wahl in Hessen, die rot-grüne Bundesregierung verlor ihre Mehrheit im Bundesrat.

Das ist alles lange her. Und dann auch wieder nicht: Bundesinnenministerin Nancy Fae­ser (SPD) plant derzeit, dass Mi­gran­t:in­nen künftig in der Regel schon nach fünf statt nach acht Jahren einen deutschen Pass bekommen können.

Die Möglichkeiten zur Mehrfachstaatsangehörigkeit sollen ausgeweitet, Hürden zur Einbürgerung abgebaut werden – gerade für die immer noch sogenannten „Gastarbeiter“. Prompt sprechen Uni­ons­po­li­ti­ke­r:in­nen wieder davon, der deutsche Pass würde „verramscht“, sekundiert von Bild und anderen Medien.

Rassistische Diktionen

Szenenwechsel. „Ich denke mir, Deutschland sollte doch nicht so jeden reinlassen“, sagt die ältere Frau, eine Besucherin des traditionellen „Schlachtfestes“ der hessischen CDU; die ARD berichtete. Heute ist der Film von 1999 wieder zu sehen, im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven.

Er ist in mehrfacher Hinsicht interessant – denn er zeigt auch Unterschiede zwischen den Debatten. Denn wenn andere Gäste jener CDU-Veranstaltung in Frankfurt ohne Scham in die Kamera sagen: „Ich bin stolz, Deutsche zu sein“, oder: „Deutschland den Deutschen“, ist das eine rassistische Diktion, die heute bei der CDU so nicht mehr üblich ist – oder soll man eher sagen: bis zum jüngsten Jahreswechsel nicht üblich war? (Noch jedenfalls klingen Christ- oder auch mal Frei­de­mo­kra­t:in­nen nur ausnahmsweise wie Ver­tre­te­r:in­nen der AfD.)

Das Deutsche Auswandererhaus zeigt seine Aufarbeitung jener Diskussion um die Staatsangehörigkeitsreform in den Neunziger- und Nuller-Jahren in seinem „Saal der Debatten“ im 2021 eröffneten Erweiterungsbau; er will „physische Denkräume“ schaffen, die Migration „ganz neu reflektieren lassen“.

Im konkreten Falle muss man sich dies selbst erarbeiten. Im „Saal der Debatten“ werden gleich mehrere historische Konflikte um Mi­gran­t:in­nen parallel thematisiert: Neben der Einbürgerungsdebatte geht es um die Asylrechtsreformen der Achtziger und Neunziger, die Arbeitskämpfe ausländischer Ar­bei­te­r:in­nen in den Sechzigern und Siebzigern und das Lastenausgleichsgesetz aus der Nachkriegszeit.

Flugblätter und Zeitungsausschnitte

Jeweils vier Stationen werfen die vor allem anhand konkreter Biografien unterschiedliche Schlaglichter auf die Debatten: Zu Wort kommen Betroffene, Aktivist:innen, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen kommen, es gibt einen Stadtteiltreff mit Tresen, eine Bühne und eine eigene Bibliothek mit Handapparat, wie man ihn aus der Uni kennt.

An den Wänden dokumentieren Zeitungsausschnitte und Flugblätter die Diskussionen aus analogen Zeiten, am Fenster mit Blick auf den Hafen erinnern lebensgroße Figuren an die Doppelpass-Kampagne der Union sowie zahlreiche Demos.

Be­su­che­r:in­nen sitzen an den Tischen, in Texte, Filme und Interviews vertieft, doch um sie herum herrscht viel Unruhe: Im Hintergrund sind immerzu Gesprächsfetzen zu hören, die man so recht nicht versteht und über schmale Leinwände flimmern unablässig Bilder. Der Saal möchte nicht nur ein Ort für Stillarbeit sein.

„Wir wollen einen Beitrag zur aktuellen Debatte liefern“, sagt Lina Falivena, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Auswandererhaus: „Die Diskussionsmuster wiederholen sich, auch wenn die aktuelle Diskussion nicht so breit geführt wird wie die damalige.“ Im schleswig-holsteinischen Landtag sagte neulich Seyran Papo von der CDU: „Die Einbürgerung steht nicht am Anfang, sondern am Ende eines Integrationsprozesses.“

„Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“

Das hat die CDU damals auch schon gesagt, bestätigt Falivena; ebenso war damals christdemokratische Linie, Mehrstaatlichkeit vermeiden zu wollen. Die in der Türkei geborene Frau Papo etwa sagt, sie habe „sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden“.

Drüben in der Ausstellung erinnert sich derweil Kenan Kolat, 2005 bis 2014 Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, an eine „sehr schädliche Debatte“, in der er an den Ständen der CDU oft die Frage hören musste: „Wo kann ich gegen die Ausländer unterschreiben?“; das habe ihn „sehr gekränkt“. Die doppelte Staatsangehörigkeit ist für Kolat eine „Anerkennung der Realität: Wir können unsere Herkunft nicht wie eine Jacke ablegen.“ Viele wollten sich nicht entscheiden müssen.

Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zufolge stimmt fast je­de:r Zweite der Aussage zu: „Einwanderung hat hauptsächlich einen negativen Einfluss auf Deutschland“. 44 Prozent wollen Einwanderung erschweren – obwohl zugleich eine knappe Mehrheit die Einbürgerung von Fachkräften unterstützt.

Auch Bülent Soyüz ist einer derjenigen, die sich in Deutschland haben einbürgern lassen, 2006 war das. „Ich war kurz davor, den deutschen Pass zurückzugeben“, sagt er heute. Als er bei der Polizei einen Einbruch melden wollte, zeigte er seinen deutschen Passes vor und musste sich trotzdem wiederholt nach seiner Staatsangehörigkeit fragen lassen. „Ich werde nicht wie ein Deutscher behandelt“, sagt Soyüz – und dass er in Deutschland nicht dazugehöre. Da hilft Papier offenbar nur wenig.

Auf dem Papier, immerhin, wurde aber das 1913 etablierte „Recht des Blutes“ im Staatsbürgerschaftsrecht dann 1999 doch reformiert. „Eine späte Anerkennung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist“, sagt Lina Falivena. Die Ausstellung in Bremerhaven wird gleichwohl noch lange aktuell bleiben.

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