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Streit um doppelstöckige Autobahnen„Benzin im Blut statt Zukunft im Kopf“

Die Schweiz debattiert erregt über doppelstöckige Autobahnen. Sind sie eine Fehlinvestition oder die Antwort auf das Stauproblem?

Die Schweizer Grünen halten mehrstöckige Autobahnen, wie hier in Tokio, für eine „Schnapsidee“ Foto: imago/Hoch Zwei

Genf taz | Wie lässt sich der Verkehrskollaps bekämpfen? Die Schweizer Bundesrat – die siebenköpfige Regierung in Bern – prüft dafür jetzt den Bau einer zweiten Etage über der Autobahn A1. Diese längste und wichtigste Straßenverkehrsachse der Schweiz führt von St. Margrethen im Osten des Landes über Zürich, Bern, Lausanne bis nach Genf an der Westgrenze zu Frankreich.

Hauptbefürworter ist Jörg Röthlisberger, Chef des eidgenössischen Bundesamtes für Straßen (Astra). Auf seinen Vorschlag hin wird jetzt zunächst der Bau eines zweiten Stocks über einem besonders überlasteten Teilabschnitt der A1 durch das Limmattal bei Zürich geprüft. „Dort führt die A1 durch ein Flachmoor, weshalb man kaum weiter in die Breite bauen kann“, begründete Röthlisberger in der Neuen Zürcher Zeitung seinen Vorschlag.

Gemäß dem Astra-Chef könnte etwa der Verkehr nach Zürich unten geführt werden, der Richtung Bern auf der oberen Etage. Oder aber die Lastwagen unten und die Autos oben. So ließe sich die Zeit, die die motorisierten NutzerInnen der Schweizer Straßen im Stau verbringen – über 26.000 Stunden im Jahr – selbst bei einer Verkehrszunahme begrenzen oder gar reduzieren, wirbt Röthlisberger für seine Idee.

Auto-Schweiz, der Verband der Kraftfahrzeugimporteure, fordert schon seit Langem mehrstöckige Straßen – und ist begeistert vom Vorstoß des Astra-Chefs. Die Lobbyisten erhoffen sich nebenbei eine Anhebung des von ihnen schon lange bekämpftem Tempolimits von 120 Stundenkilometern auf den Autobahnen. Auf von Auto-Schweiz angefertigten Planungsskizzen für eine doppelstöckige Autobahn fahren unten die Lastwagen und oben die Autos – mit einem Tempolimit von 150 Stundenkilometern.

Widerspruch zum Klimaabkommen

„Mehrstöckige Autobahnen sind die Antwort auf das Stauproblem“, ist Verbandschef Andreas Burgner überzeugt. Und verweist auf angeblich „gut funktionierende“ zwei- oder gar dreistöckige Autobahnen in Mexiko-Stadt, Schanghai, Bangkok und einigen US-Städten.

Regula Rytz, Präsidentin der Schweizer Grünen, hält doppelstöckige Autobahnen dagegen für eine „unverantwortliche Schnapsidee“. Sie erwarte von Verkehrsministerin Doris Leuthard, „dass sie die absurden Pläne ihres Chefbeamten stoppt: Er hat Benzin im Blut statt Zukunft im Kopf.“

Für Rytz wären mehrstöckige Autobahnen „eine gigantische Fehlinvestition, die „im Widerspruch zum Klimaabkommen von Paris“ stünden: „In diesem Hitzesommer haben es doch alle gesehen: Wir brauchen keinen Kapazitätsausbau bei den Autobahnen, sondern endlich eine klimafreundliche und energiesparende Verkehrswende. Die Autobahnen müssen entlastet und nicht verdoppelt werden.“

Das gehe nur mit mehr öffentlichem Verkehr, einer besseren Raumplanung, Mobility Pricing, mehr Home Office und flexibleren Arbeitszeiten. „Nur wenn wir hier endlich vorwärtsmachen, können wir die Staus reduzieren. Doppelstöckige Autobahnen verschieben den Stau in die Städte und Agglomerationen.“ Diesen letzten Einwand der Grünen-Präsidentin bestätigt auch René Stadler, Bauingenieur und Experte für Verkehrsinfrastruktur beim Basler Planungsbüro Rapp, der den Ausbau des Straßennetzes grundsätzlich für notwendig hält.

Zudem, so Stadler, sei es teurer, in die Höhe zu bauen als in die Breite, da mehr Bau- und Unterhaltskosten anfielen. Dafür seien anspruchsvolle Brückenkonstruktionen nötig, die teurer sind. Außerdem seien die notwendigen Maßnahmen für den Lärmschutz bei doppelstöckigen Straßenanlagen umfangreicher als bei normalen Straßenbauten.

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13 Kommentare

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  • Wie immer ein guter Beitrag von Andreas Zumach. Warum die Redaktion aber findet, dass sich die Grünen hier "erregen" (jemand anders kann ja nicht gemeint sein), ist nicht zu verstehen, es sei denn, die taz möchte ihre neuen Leser am Stammtisch gewinnen.

  • Also, co2 freies Beamen mit Solarstrom scheint mir da die beste Lösung zu sein....

  • Zunächst einmal muss Individualmobilität nicht aus Autofahren bestehen. Fuß- und Radverkehr gehören auch dazu.

    Arguente gegen den motorisierten Individualverkehr, auch mit Elektroautos sind vielfältig:

    1. Der Energieverbrauch. Wenn 1-2 Tonnen bewegt werden müssen, um 80 kg Mensch zu transportieren wird viel Energie verschwendet. Egal wo die Energie im MIV herkommt, sie musste zuvor erzeugt werden. Beim derzetigen Strommix in Europa sind Elektroautos keinen Deut besser, sie lösen evtl. lokale Umweltbelastungen

    2. Der Platzverbrauch sowohl für stehenden, als auch für fahrenden Verkehr.

    3. Die Lärmbelastung. Sie sinkt auch mit Elektroautos nicht, da ab 30 km/h die Abroll- und Luftwiderstandsgeräusche am lautesten sind.

    4. Sicherheit. Die Todesopfer und Verletzen die der MIV jedes Jahr fordert sind im Vergleich zu allen anderen Verkehrsträgern exorbitant hoch. Daran ändert die Art des Antriebs nichts.

  • Was machen die Grünen eigentlich, wenn alle mit CO2 neutralen Elektroautos im Stau stehen? Welches Argument muss dann herhalten, um Individualmobilität zu bekämpfen?

    • @schwarzwaldtib:

      Wer will den e Autos in den Städten? Nur die Automobilindustrie und ihre Vasallen.

    • @schwarzwaldtib:

      5. Die Gesellschaftlichen Kosten für die Infrastruktur, die wesentlich höher sind als für Massentransportmittel.

    • @schwarzwaldtib:

      Und was machen die Individualmotorisierten, wenn der Asphalt reißt oder Blasen wirft, der Sturm Sie regelmäßig über die Fahrbahn schiebt, die Straßen unterspült oder von Trümmern blockiert werden? Fragen über Fragen.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @schwarzwaldtib:

      Na da steht es doch, doppelstöckige Autobahnen :-)

    • @schwarzwaldtib:

      Vielleicht das Argument der Lebenszeitverschwendung?

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Tokyo, nicht "Tokio", bitte.



    Deutschland, ein Saxophon wird zum 'Saxofon', Tokyo wird zu 'Tokio', was für ein Problem habt ihr eigentlich?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Es gab vor über 20 Jahren eine Rechtschreibreform... Bei manchen dauert es scheinbar etwas länger.

      • @Mio TM:

        Whaaaaaaaaaaaat???? :)