Streit um den Straßenraum: Radwende mit Hürden
Der Anteil des Fahrradverkehrs wächst. Doch die Fronten beim Kampf um den begrenzten Raum sind nicht so scharf gezogen, wie man meinen könnte.
Das nervt, aber die größere Anzahl macht die Radler auch zu einem ernst zu nehmenden Faktor. Sie sind drauf und dran, zur „Critical Mass“ zu werden – so wie sie die in vielen Großstädten regelmäßig stattfindenden Fahrradcorsos im Namen tragen. Die Corsos sind keine Demonstrationen, die angemeldet werden müssten – sie machen sich einfach die Straßenverkehrsordnung zunutze, nach der Radfahrer in Gruppen ab 16 Personen zu zweit nebeneinander fahren dürfen.
Die Zahlen der Studie „Mobilität in Deutschland“ bestätigen dieses subjektive Bild. Von 2008 bis 2017 hat die Anzahl der Wege, die per Rad in der Stadt zurückgelegt werden, von 700.000 auf 900.000 zugenommen – bei einer Gesamtzahl von jeweils sechs Millionen Wegen. Die Zahl der Kilometer, die alle Radler zusammen dabei zurückgelegt haben, stieg von 2,2 auf 3,4 Millionen Kilometer pro Tag.
Die Politik auf allen Ebenen hat das Potenzial des Radverkehrs für den Klima- und Umweltschutz und auch die Lebensqualität in den Städten erkannt. Das schlägt sich nieder in neuen Radfahr- und Schutzstreifen, umgestalteten Kreuzungen, Fahrradparkhäusern und Radschnellwegen. Die seit April geltende Novelle der Straßenverkehrsordnung hat die Bedingungen fürs Radfahren noch einmal verbessert. Und das elektrisch unterstützte Pedelec erschließt dem Rad einen neuen Freundeskreis.
Mehr Sichtbarkeit – mehr Sicherheit
Diese Entwicklungen könnten zu einem sich selbst verstärkenden Effekt führen. Denn die Zunahme des Radverkehrs bedeutet mehr Sichtbarkeit und damit Sicherheit. Sie bedeutet aber auch eine zunehmende Konkurrenz um den knappen Straßenraum.
Zwar schafft jeder, der aufs Rad umsteigt, mehrere Quadratmeter Platz im fließenden wie im ruhenden Verkehr, doch auch so mancher Radler hat vielleicht noch ein Auto, das er gern in seiner Straße parken würde, und goutiert es nicht, wenn der Parkstreifen einem Radweg weichen muss, wie es sich im Hamburger Stadtteil Ottensen gezeigt hat.
Überhaupt ist die zentrale Frage: Wer muss was abgeben, wenn mehr Raum fürs Rad geschaffen werden soll? In einem optimistischen Szenario wird es dabei in den kommenden Jahren ein Fließgleichgewicht geben. Je mehr Radler es gibt, desto stärker geht der Autoverkehr zurück und desto eher lässt sich von den Fahrbahnen was abknapsen. Selbst auf einer Landstraße im Kreis Northeim hat es einen entsprechenden Versuch gegeben.
Beim Ausbau des Radverkehrs spielt außerdem die Frage des Schutzstandards eine Rolle. Je höher der geschraubt wird, desto aufwendiger und schwieriger sind Verbesserungen an der Radverkehrsinfrastruktur. Aber nicht jeder traut sich, um seiner selbst oder seiner mitfahrenden Kinder willen, auf einer bloß abmarkierten Radspur neben einem schweren Lkw herzufahren.
Um den Kreis der Radelnden allmählich zu erweitern, gilt es hier – von Übergangslösungen ausgehend –, sukzessive die Standards zu verbessern.
Den gesamten Schwerpunkt zur Radverkehrswende lesen Sie in der taz am Wochenendausgabe am Kiosk oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour