Streit um Verkehrskonzept: Wie Wien autofrei werden will
Österreichs Hauptstadt will motorisierten Verkehr aus dem Zentrum verbannen. Doch so einfach wird es nicht.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) war allerdings nicht eingebunden und zeigte sich entsprechend verstimmt. So sorgt er nun dafür, dass das Projekt zumindest nicht vor den Kommunalwahlen am 11. Oktober realisiert werden kann. Eine nicht öffentliche Verhandlung am Mittwoch, bei der Interessenvertretungen, Vertreter von Nachbarbezirken und die Polizei gehört wurden, brachte serienweise Einwände.
Zwischen Hofburg, Stephansdom und Stadtpark wälzen sich an einem normalen Wochentag durchschnittlich 17.000 Autos durch die engen Gassen innerhalb der Ringstraße. Reisebusse und größere Lkws wurden schon vor einiger Zeit aus diesem Gebiet verbannt. Auspuffgase wird man aber im Stadtzentrum auch künftig noch einatmen müssen, denn erste Entwürfe sehen rund zwei Dutzend Ausnahmen vor.
Hebein wollte sich schon bei der Präsentation im Juni nicht festlegen, ob es eher 20 oder 30 sein würden. Darunter sind Taxen und städtische Kleinbusse, aber auch Autos, die eine Tiefgarage ansteuern oder aus einer solchen kommen, Unternehmer mit Betriebsstandort im Zentrum, Beschäftigte mit sehr frühen oder langen Dienstzeiten, Hotels, Personen mit Behindertenausweis, Pflege- und Servicedienste, Lieferverkehr.
Trotzdem, so Hebein, werde „der unmittelbare Verkehrsrückgang bis zu 30 Prozent betragen“. Nicht nur der fließende, auch der ruhende Verkehr werde gesenkt. Weder für Mopeds noch für Elektroautos soll es Ausnahmen geben.
Während Hebein von der „ersten autofreien Stadt“ im deutschsprachigen Raum schwärmte, gab sich Bezirksvorsteher Figl realistischer: Man wolle das Zentrum Wiens „weitgehend zur autofreien Zone“ machen. Dem steht zunächst noch Michael Ludwig entgegen. Spürbar verärgert durch den Alleingang der grünen Koalitionspartnerin mit dem konservativen Bezirkschef ließ der rote Bürgermeister wissen, er müsse zuerst die Meinung des Dompfarrers und der Wirtschaft einholen.
Die Position der „Wirtschaft“ ist inzwischen bekannt. Leiter von Nobelboutiquen, Juwelierläden und anderen teuren Etablissements fürchten um ihr Geschäft, wenn die Klientel nicht mehr im Privatwagen vorfahren kann. Die Coronakrise habe alle stark und nachhaltig getroffen. „Unseres Erachtens nach wären die Auswirkungen einer Zufahrtsbeschränkung bzw. eines Verbots eine Katastrophe“, so die Interessengemeinschaft der Kaufleute der Wiener Innenstadt. Ähnlich war die Reaktion vor vier Jahrzehnten, als die zentrale Kärntner Straße zur ersten Fußgängerzone erklärt wurde. Heute ist es unvorstellbar, dass über diese Flaniermeile stinkende Motorfahrzeuge rollen.
Es wird ein Wahlkampfthema
Klar ist: Vor den Wahlen am 11. Oktober versuchen sich die Koalitionspartner zu profilieren. Dabei kommt es zu ungewöhnlichen Allianzen. Birgit Hebein hat während des Corona-Lockdowns mehrere Pop-up-Radwege eröffnet, also Verkehrsflächen exklusiv für den Radverkehr umgewidmet, sehr zum Ärger der Autofahrerlobby, aber auch der SPÖ.
Debatten über Verkehrsberuhigung und Einschränkungen des Individualverkehrs werden immer wieder wie Glaubenskriege ausgetragen. Und die SPÖ, die seit dem Krieg in Wien regiert, hat natürlich ein Auge auf ihre Wählerschaft. So hat Ludwig gemeinsam mit dem FPÖ-Bezirkschef des 11. Bezirks einen solchen improvisierten Radweg wieder stillgelegt. Mit seinen Einwänden hat Ludwig zumindest erreicht, dass die verkehrsberuhigte City nicht vor den Wahlen umgesetzt werden kann. Birgit Hebein hätte ja am liebsten im August schon Nägel mit Köpfen gemacht, um mit diesem Erfolg für ihre Klientel in den Wahlkampf ziehen zu können.
So manch andere wollen indes viel weiter gehen als die Grünen. Der verkehrskritische Verkehrsclub Österreich (VCÖ) würde am liebsten auch die fünfspurige Ringstraße in das Konzept einbeziehen. Und der Verkehrsplaner Ulrich Leth von der Technischen Universität Wien weist im Kultursender Österreich 1 darauf hin, dass der Schlüssel zur Verkehrsberuhigung die Parkplatzreduktion sei. „Die Stellschraube ist der Parkraum“, so Leth, denn dieser sei „Quelle und Ziel“ des Autoverkehrs. Wenn man Dauerparkplätze im 1. Bezirk reduziere, würde auch der motorisierte Verkehr zurückgehen. „Denn wenn der öffentliche Raum danach immer noch so ausschaut wie jetzt, hat man von autofrei nicht viel.“
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