Streit um Skulptur an der Uni Flensburg: Frauenbild vs. Kunstfreiheit
An der Uni Flensburg ist die Skulptur einer Nackten entfernt worden, weil sie Frauen aufs Gebären reduziere. Der Asta fordert die Wiederaufstellung.
Gegen das Abräumen an sich wie auch gegen die Vorgehensweise der Hochschulgremien hat jetzt der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (Asta) protestiert. Zuvor hatte der stellvertretende Asta-Vorsitzende Janko Koch eine Petition gestartet mit der Forderung, die „Primavera“ bis auf Weiteres wieder aufzustellen – so lange, bis eine öffentliche Debatte und ein Beschluss des Akademischen Senats über ihre Zukunft entschieden haben. Mehr als 2.000 Menschen haben sie schon unterzeichnet. „Kunst darf nicht einfach so verschwinden“, findet Koch.
Die Bronzeplastik war bis Ende Februar im Eingangsbereich des Uni-Hauptgebäudes, im Haus Oslo, aufgestellt. Sie zeigt eine abstrahierte Frauenfigur mit nach vorn versetztem Bein und hinter dem Kopf verschränkten Armen. Es habe Studentinnen und Wissenschaftlerinnen gegeben, die sich beim Anblick der „Primavera“ unwohl fühlten, sagte die Gleichstellungsbeauftragte der Uni, Martina Spirgatis, dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (SHZ). Der taz gegenüber wollte sich Spirgatis nicht äußern und verwies wegen der Dynamik, die das Thema entfaltet hat, an die Pressestelle.
Spirgatis und dem Uni-Präsidium ist es wichtig festzuhalten, dass es nicht um die Plastik an sich gehe, sondern um den Zusammenhang von Figur und Ort – sprich die Frage, „ob die Gartenplastik als figürliche Darstellung eines Frauenkörpers an einem so prominenten Ort der Universität richtig platziert sei“.
Spirgatis verwies darauf, dass sich die Plastik an dem gleichnamigen Gemälde des Renaissance-Künstlers Sandro Boticelli orientiere. Das Wort „Primavera“ – übersetzt „Frühling“ – stehe unter anderem für „Neuanfang, Gebären“. Die Figur, die ein ausgeprägtes Becken hat, lasse „nicht einen Hauch von Intellektualität zu“, sagte Spirgatis dem SHZ. Sie symbolisiere ein „überkommenes Frauenbild, das nicht geeignet ist, an so zentraler Stelle einer Universität als Empfangsdame“ zu stehen.
„Dass die Darstellung von Weiblichkeit an unserer Universität vollständig von der Interpretation des Gleichstellungs- und Diversitätsausschusses abhängig ist, ist katastrophal“, kritisiert die stellvertretende Asta-Vorsitzende Alina Jacobs. Das Gremium hat sich mit der Petition zum Schutz der Kunstfreiheit ihres Co-Vorsitzenden Koch solidarisiert.
Der Asta-Vorsitzende Frank Ellenberger sagt zwar: „Die Bedenken, die insbesondere Teile der weiblichen Mitglieder der Universität hinsichtlich der Statue geäußert haben, sind selbstverständlich ernst zu nehmen.“ Gleiches gelte aber auch für diejenigen, die in der Entfernung der Statue einen Angriff auf die Kunstfreiheit sehen, obendrein ohne öffentliche Diskussion.
Nicht hinnehmbar sei, dass der Akademische Senat, in dem auch Studenten vertreten sind, bei der Entscheidung übergangen worden sei. Am Ende werde eine Interessen- und Güterabwägung „auch und insbesondere im Lichte des Grundrechts auf Kunstfreiheit“ getroffen werden müssen. Dazu brauche es einen freien Diskurs. Dieser müsse „in einer (eigentlich) öffentlichen Senatssitzung stattfinden“, findet der Asta-Vorsitzende Ellenberger.
Inzwischen hat auch die Universität reagiert. Zur Frage, wie mit der „Primavera“ umzugehen sei, habe das Präsidium das Fach Kunst um Stellungnahme gebeten. Dieses habe empfohlen, „die Plastik (eine solide künstlerische Arbeit ihrer Zeit und ihres Entstehungskontextes) zwar weiterhin auf dem Gelände der EUF auszustellen, aber einen weniger zentralen Ort dafür zu wählen“.
Ihr Schöpfer, Fritz During, Jahrgang 1910, war ein Schüler des von den Nazis als „entarteter Künstler“ verfemten Bildhauers und Glasmalers Ludwig Gies. Sichtbar sind Durings Werke vor allem in Schleswig-Holstein, wo viele von ihnen im Rahmen der Kunst-am-Bau-Programme der 1950er- und 1960er-Jahre entstanden. Durings Nachlass wird seit knapp 30 Jahren in Form einer Stiftung vom Kreis Plön verwaltet und in Ausstellungen zugänglich gemacht.
Das Hochschulpräsidium bedauert in einer Stellungnahme, dass Durings Plastik „entfernt wurde, ohne dass im Vorfeld ein entsprechender Diskurs stattgefunden hat“. Das Fragezeichen, das jetzt den Platz auf dem Marmorsockel von Durings „Primavera“ einnimmt, sei von einer unbekannten Person aufgestellt worden, teilt die Universität mit. Es stelle aus ihrer Sicht keinen Ersatz dar.
Nach der Sommerpause will das Präsidium die Gelegenheit für eine „breit zu führende öffentliche Diskussion“ schaffen. Der Akademische Senat und der Gleichstellungsausschuss sollen sich über das weitere Verfahren einigen. Im Herbst soll auch Durings Bronzeplastik wieder öffentlich zugänglich gemacht werden. Zurzeit steht sie im Büro des Hausmeisters der Universität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht