Streit um Hausprojekt in Neukölln: Keine Büros statt Wohnraum
In der Hermannstraße 48 sorgen Aktivisten mit einer Besetzung für Protest gegen Entmietung. Angekündigt wird, „kein ruhiger Hinterhof für Büros“ zu sein.
Bevor am Sonntag Punkt 14 Uhr Transparente aus dem Fenster gehängt werden, um auf die Besetzung aufmerksam zu machen, geben drei vermummte Aktivist:innen einen Blick ins Innere preis: Die Räumlichkeiten im zweiten Stock des Fabrikgebäudes der Hermannstraße 48 sind großzügig geschnitten. Von weitläufigen Gemeinschaftsflächen gehen 12 Zimmer ab. Vor zwei Jahren noch wohnte hier eine Groß-WG, jetzt ist alles leer. Nur einige Poster und eine Hängematte haben die Besetzer:innen aufgehängt.
Als dann unter interessierten Blicken einiger Nachbar:innen im Hinterhof die ersten Banner herausgehängt werden, bilden weitere Unterstützer:innen eine Sitzblockade vor dem Hauseingang. Die Gruppe nennt sich Aktionsgruppe Unterstützung H48. Ihr politisches Anliegen: Sie wollen die hier geplante Umwandlung von Wohungen in Büros und die Verdrängung aus dem Hausprojekt verhindern, so ein Sprecher. In den anderen WGs des Fabrikgebäudes wohnen etwa 60 Personen.
Der Konflikt um das Haus tobt seit 2021, als die bisherige Alteigentümerin das Haus verkaufte. Der Bezirk hatte mithilfe des Vorkaufsrechts das Gebäudeensemble – Vorder-, Seiten-, Hinterhaus und Fabrikgebäude – eigentlich gesichert, die Bewohner:innen wollten es selbst übernehmen. Doch nach dem gerichtlichen Ende des Vorkaufsrechts musste der Bescheid zurückgezogen werden. Die neuen Eigentümer, die Hermannshof 48 Grundbesitzgesellschaft mbH, mutmaßlich eine Unterfirma der Sahr Immobilien aus dem sächsischen Glauchau, will das Fabrikgebäude entmieten und als Gewerbeflächen weitervermarkten.
Im Mai wurden die Räume auf Inseraten als Büros feilgeboten. Nach Protest, dass es sich um vermietete Wohnungen handelt, verschwanden die Anzeigen wieder von den Immobilienportalen. In der vergangenen Woche dann wurde die erste Kündigung gegen eine WG ausgesprochen. Bereits Ende September sollen die Mieter:innen die Räume übergeben. Mieterschutzrechte werden vom Vermieter mit Verweis, dass es sich um Gewerberäume handele, nicht anerkannt. Obwohl Menschen seit 20 Jahren hier zur Miete wohnen. Die Betroffenen wollen sich juristisch gegen die Kündigung zur Wehr setzen.
Die Polizei ließ sich zumindest in der ersten Stunde der Besetzung nicht blicken. Zeit genug, vor dem Haus viele Flyer an Passant:innen zu verteilen. In einer Mitteilung richteten sich die Besetzer:innen zudem an mögliche interessierte Büromieter:innen: „Das hier ist kein ruhiger Hinterhof für eure Büros. Hier wird gewohnt und gekämpft.“
Leser*innenkommentare
Caroline Elias
Wann wird das gemeinwohlorientierte Vorkaufsrecht als Gesetz so wasserdicht gemacht, dass Erhalt vor Investoreninteressen steht? Denn langfristiger Bestand auch von wenig Begütertern bezahlbaren Wohnraums entlastet die Sozialkassen und das soziale Gefüge einer Stadt. Denn was wollen die Reichen am Ende machen in einer Gemeinde, in der es keine Busfahrerinnen, Kindergärtner, Nachwuchsärztinnen, Übersetzer, Verkäufer, Masseurinnen, Sprechstundenassistenten, Müllkutscherinnen, Pfleger usw. mehr gibt?? (Schaut Euch Paris oder London als abschreckendes Beispiel an.)
Hier sind alle Parteien aufgerufen, auch und gerade die FDP.
Und es ist eine Schande, dass die kleinste Partei auf Bundesebene ihre Koalitionäre ständig am Nasenring durch die Manege zerrt.
Niemals
Unsagbar. Gut, dass sie sich wehren, obwohl vermutlich wenig Aussicht auf Erfolg besteht. Es ist verkauft. Nun werden es Büros. Moralisch absolut verwerflich. Vom System her korrekt. Warum konnte das Vorkaufsrecht nicht umgesetzt werden? Das sind doch gerade jetzt alles wichtige politische Zeichen.
tomás zerolo
Den Besetzer*innen Annerkennung, Dank und Mut ♥