Räumungsklage für Wohnprojekt: H48 lässt sich nicht räumen
Seit November liegt eine Räumungsklage gegen eine WG in der Neuköllner Hermannstraße vor. Vor Gericht kämpfen die Bewohner*innen für ihr Zuhause.
Heute steht Nika vor dem Landgericht am Tegeler Weg und kämpft um ihre Wohnung. Am Eingang zum Gericht stehen fast so viele Polizist*innen wie Aktivist*innen. „Wir lassen uns nicht räumen“, sagt Nika ins Mikrofon. Ihre Wut liegt in der Luft. Immer wieder quetschen sich Menschen mit gegelten Haaren und Aktenkoffern zwischen Doc Martens und bunten Mützen hindurch. Anwälte verschwinden durch die Holztür, um zu verteidigen oder zu verklagen.
Nika wird auch bald hinter der Holztür verschwinden müssen. Ob die „City Chicken WG“, so der selbstgewählte Name der Wohngemeinschaft, in der Nika lebt, das alte Fabrikgebäude räumen muss, könnte sich heute entscheiden. Der neue Eigentümer hat nach eigenen Angaben bereits einen Nachmieter. Aus den Wohnungen der H48 sollen schicke Büros werden – zum dreifachen Preis, wie kürzlich auf einer Immobilienwebsite geworben wurde.
Nach Auffassung des Eigentümer handelt es sich bei der H48 nicht um Wohn-, sondern um Gewerbeflächen. Damit hätten die Bewohner*innen keinen Kündigungsschutz. Für Nika und ihre Mitbewohner*innen ist jedoch klar, dass es sich um Wohnraum handelt. „Wir werden unsere Wohnungen nicht für Ihre Scheinbüros räumen“, sagt eine Bewohnerin in das Mikrofon vor dem Landgericht. Vor der City Chicken ließ der Eigentümer bereits eine WG in dem Hausprojekt erfolgreich räumen.
City Chicken ist nicht die erste WG
„In Berlin ist nur Platz für Reiche“, sagt Momo von der Linie206, einem umkämpften Wohnprojekt in Mitte. Auf dem Tisch vor ihr stehen Backwaren, zwei Kannen mit Kaffee und Ingwertee, an denen sich alle bedienen. Die H48 ist nicht das einzige Haus, das von Immobilienspekulation bedroht ist, bei Gerichtsterminen leistet man gern Unterstützung.
Zwischen den Reden und Geschichten ertönt laute Musik aus den Lautsprechern. Die Füße gleiten über den weißen Boden. Das Herumzappeln hält die Zehen warm. Heiße Becher wärmen die Finger. Solidarität wärmt die Seele.
Zwei Stunden später wird Nika aus dem Gerichtssaal kommen – ohne eine Entscheidung. Die Räumungsklage muss ausgesetzt werden. Das Verwaltungsgericht wird erst im Juni entscheiden, ob für die Wohnungen in der Hermannstraße 48 Wohn- oder Gewerbemietrecht gilt. Ohne diese Feststellung kann keine Räumung vollstreckt – oder verboten – werden.
Für die Bewohner*innen der H48 bedeutet das keine Entlastung. Sollten sie vor Gericht scheitern, droht ihnen eine Nachzahlung von mehreren zehntausend Euro. Da der Eigentümer behauptet, einen Nachmieter zu haben, besteht er auf Schadenersatz für die entgangene Miete. Warum der Nachmieter nicht einfach die Wohnung beziehen kann, die seit drei Jahren im selben Gebäude leer steht, bleibt unklar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“